Asien
Kriege und bewaffnete Konflikte in Asien seit 1945
Entwicklungstrends seit 1945
Mit 57 Kriegen von 1945 bis 1997 ist Asien die am stärksten von Kriegen betroffene Weltregion. Die große Zahl der Kriege relativiert sich allerdings durch die im Vergleich zu anderen Regionen sehr große Anzahl von Staaten und Einwohnern. Die Großregion Asien umfaßt ungefähr ein Drittel der Landmasse der Erde, in ihr lebt knapp über die Hälfte der Weltbevölkerung. Entsprechend der geographischen Weite finden sich eine Vielzahl von Völkern und Gesellschaften verschiedener Organisationsformen und -grade, Wirtschaftsweisen, Kulturen, Sprachen und Religionen. Die gängige Unterteilung in die Subregionen Südasien (Pakistan, Indien, Malediven, Nepal, Bhutan, Bangladesch, Sri Lanka), Südostasien (Myanmar, Thailand, Laos, Kambodscha, Vietnam, Malaysia, Singapur, Brunei, Indonesien, Philippinen), Ostasien (VR China, Taiwan, Mongolei, Nord- und Südkorea, Japan) und Ozeanien (Papua-Neuguinea, Australien, Neuseeland sowie die zahlreichen Inselstaaten) erleichtert den analytischen Zugang zum komplexen Kriegsgeschehen der Region. Unberücksichtigt bleiben hier die asiatischen Gebiete der ehemaligen Sowjetunion sowie der zur asiatischen Landmasse gehörende Vordere und Mittlere Orient; beide bilden eine eigene Region.
Statistisch auffällig für ganz Asien ist der im Vergleich zu anderen Weltregionen mit fast einem Drittel aller Kriege relativ hohe Anteil zwischenstaatlicher Kriege am Kriegsgeschehen, der primär auf den kriegerischen Staatsbildungsprozeß Indiens, Pakistans und Chinas zurückzuführen ist. Hinzu kommt, daß Indien und China wiederholt versucht haben, ihrem regionalen Hegemonieanspruch gewaltsam Geltung zu verschaffen. Dagegen sind in Asien sind nur drei Dekolonisationskriege geführt worden. Während Großbritannien die von ihm unterworfenen Völker fast ohne kriegerische Auseinandersetzungen in die Unabhängigkeit entließ, wurden im französischen Indochina und im holländischen Indonesien Dekolonisationskriege geführt. Bemerkenswert ist die lange Dauer einiger gewaltsamer Konflikte Asiens: Mit Indien/Pakistan, Indochina und Myanmar (Birma) wurden drei Konflikte seit der Dekolonisation permanent am Rande oder oberhalb der Kriegsschwelle geführt. Auch in West-Papua, Ost-Timor und auf den Philippinen dauerten Kriege fast ein Vierteljahrhundert an, und auch für den seit 1983 andauernden Krieg in Sri Lanka ist keine Ende in Sicht.
Ein Blick auf die staatlichen Akteure am Kriegsgeschehen in Asien zeigt, daß Indien mit vierzehn Kriegen eindeutig am häufigsten an Kriegen beteiligt war. Es folgen die VR China und Indonesien mit jeweils acht Kriegen sowie Pakistan mit sechs Kriegsbeteiligungen. Bei der Untergliederung nach Subregionen fällt die geographisch-diachrone Verlagerung der Kriegshäufigkeit von Ostasien über Südostasien nach Südasien auf: Ostasien war mit sieben Kriegen nur bis zum Anfang der 60er Jahre im Zuge der Staatskonsolidierung der Volksrepublik China als Krisenherd zu betrachten. In der Folgezeit lag der Schwerpunkt des Kriegsgeschehens bis in die späten 60er Jahre in Südostasien. Nach dem indochinesischen Dekolonisationskrieg folgten Kriege um die Durchsetzung und Konsolidierung staatssozialistischer Systeme. Seit dem Ende der 60er Jahre ist in Südasien der deutlichste Anstieg der Kriegshäufigkeit zu verzeichnen.
Kriege in Ostasien
An allen von den sieben in Ostasien geführten Kriegen war China beteiligt. Der chinesische Bürgerkrieg stand wie andere Kriege der Region im Zeichen der Systemauseinandersetzung. Die zwei Tibetkriege und die drei Kriege gegen Taiwan waren als Versuche der territorialen Restauration des Kaiserreiches auch durch Chinas den regionalen Hegemonieanspruch geprägt. Die beiden letztgenannten Konfliktarten spielten auch im Koreakrieg eine wichtige Rolle. Im "Erziehungsfeldzug" gegen Vietnam spielen hegemoniale Interessen, aber auch Systemgegensätze zwischen den USA und der ehemaligen Sowjetunion sowie der sino-sowjetische Konflikt auf Seiten Chinas eine zentrale Rolle. Seit Ende der 1950er Jahre ist die Region kriegsfrei.
Kriege in Südasien
In Südasien ist kaum ein Staat von Kriegen verschont geblieben. Auffällig ist die regionale Konzentration des Kriegsgeschehen im Nordwesten (Indien/Pakistan, Kaschmir) und im Nordosten (Bangladesch, Assam, Bodos, Nagas, Mizos) des Subkontinents. Dazu kommen neben einigen anderen die Kriege auf Sri Lanka, in Nepal, zwischen Indien und China sowie die gewaltsame Eingliederung des einstigen Fürstentums Hyderabad in den indischen Staat.
Die indo-pakistanischen Territorial- und Hegemoniekonflikte (Erster und Zweiter Kaschmirkrieg, Rann von Kuch, Siachengletscher, Bangladesch, Hyderabad) stehen alle in einem engen Zusammenhang mit der im Rahmen der Dekolonisation im Jahre 1947 vollzogenen Teilung Britisch-Indiens in Indien und Pakistan. Seither kam es immer wieder zur Konfrontation zwischen den sich auf antagonistischer Basis legitimierenden Nachbarn. Der Konflikt um die ungeklärte Zugehörigkeit des einstigen Fürstentums Kaschmir, das seit dem Ersten Kaschmirkrieg im Norden von Pakistan und im Süden von Indien verwaltet wird, gibt dem nunmehr nuklear aufgeladenen indo-pakistanischen Konflikt stets neue Nahrung. Darüber hinaus nutzen die beiden verfeindeten Nachbarn nutzen die jeweiligen innerstaatlichen Konflikte zur Destabilisierung des anderen.
Die innerstaatlichen Kriege im Punjab (Indien) und im Sind (Pakistan) stehen ebenfalls in engen Zusammenhang mit der Teilung des indischen Subkontinents. Der "Bevölkerungsaustausch" im Zuge der Teilung hat in beiden Fällen das demographische und politische Gefüge einer ökonomisch und politisch bedeutsamen Regionen erschüttert. Beide Konflikte trugen bzw. tragen erheblich zur innenpolitischen Destabilisierung der Staaten Indien und Pakistan bei. Eine Reihe weiterer innerstaatlicher Kriege in Indien und Pakistan ist an der politischen und ökonomischen Peripherie angesiedelt. Hierzu zählen die Kriege im indischen Nordosten (Assam, Bodos, Mizos, Nagas), Pakistan (Belutschistan) und der innere Krieg in Bangladesch (Chittagong Hill Tracts). In diesen Konflikten sind Intensität und Kontinuität der Kampfhandlungen geringer.
Kriege in Südostasien
Die beiden Kriege im Norden der Philippinen entzündeten sich an der ungerechten Verteilung von Ressourcen zugunsten einer großgrundbesitzenden Bildungselite, der eine eine Masse von besitzlosen und verarmten Kleinbauern, Pächtern und Landarbeitern gegenüberstand. Letztere unterstützten schließlich auf breiter Basis den zunächst antijapanischen, dann systemreformistischen und später sozialistischen Widerstand der Guerillagruppen HUK und NPA. Der Krieg zwischen muslimischen Guerillagruppen und dem philippinischen Staat im Süden des Landes ist ein Krieg um Sezession bzw. Autonomierechte einer religiösen Minderheit im Lande.
Die insgesamt acht Kriege mit Beteiligung Indonesiens sind fast alle ursächlich mit kriegerischen Erringung der staatlichen Unabhängigkeit (Dekolonisationskrieg 1945-49) durch die niederländische (bzw. portugiesische: Ost-Timor, 1975) Kolonialmacht verknüpft. Dabei bediente sich der territorial nicht gefestigte indonesische Staat einer vergleichsweise offensiven Annexions- und Assimilierungspolitik, um die zumeist kulturell und religiös codierten Konflikte (West Papua/West Irian, Ost-Timor, Provenz Aceh) zu seinen Gunsten zu entscheiden. Die Befassung der Vereinten Nationen ´hat bisher erst in einem Falle Ost-Timors zu einer zumindest vorübergehenden Befriedung geführt, die Sezssionskonflikte in West-Papua/West-Irian und Aceh dauern noch an.
Im Gegensatz zu Indonesien ist Malaysia nach Erlangung seiner staatlichen Unabhängigkeit von Kriegen weitgehend verschont geblieben. Allerdings wurde die politische und ökonomische Grundausrichtung des unabhängigen malayischen Staates erst in einem zwölf Jahre dauernden Anti-Regime-Krieg ("Malayian Emergency") entschieden, unter massiver Beteiligung der ehemaligen britischen Kolonialmacht. Die kriegerische "Kontrontation" mit Indonesien stand im Zeichen des Ringens um regionale Vorherrschaft.
Die Wurzeln des Krieges in Myanmar sind wenigstens zum Teil in der Kolonialzeit zu suchen. Die britischen Kolonialherren teilten das Land administrativ in ein direkt verwaltetes "Inner-" und ein indirekt verwaltetes, eigenständigeres "Outer-Burma" und legten somit den Grundstein für die Herausbildung ethnischer Abgrenzungen und Identitäten und die Zuspitzung innerstaatlicher Gegensätze. Auch aus ehemaligen Guomindang-Truppen stammende Warlords kämpften sowohl gegeneinander als auch gegen den Staat um die Kontrolle und Nutzung der ökonomischen Ressourcen der Bergregionen.
Die intensivstem kriegerischen Auseinandersetzungen ereigneten sich im Zusammenhang mit dem Ringen der Völker Indochinas (Vietnam, Kambaodscha, Laos) um politische Unabhängigkeit. Dabei wurden die drei Indochinakriegen, die vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die neunziger Jahre die wechselnde Teile der Region mit zum Teil sehr heftigen bewaffneten Auseinandersetzungen überzogen, zunehmend vom Ost-West-Konflikt beherrscht, obwohl er ursächlich in der Weigerung der französichen Kolonialmacht, von ihrem Herrschaftsanspruch zu lassen, begründet war. Nach dem Abzug der französischen Kolonialherren und der in der Logik der Systemauseinandersetzungen intervenierenden der US-Truppen (1973) wurden die kriegerischen Auseinandersetzungen um die politische Gestaltung des nachkolonialen Indochina im Dritten Indochinakrieg (Kambodscha) bis in die neunziger Jahre fortgeführt. Die Tatsache, dass Kambodscha auch nach den von den Vereinten Nationen beaufsichtigten Wahlen (1993) noch von kriegerischer Gewalt betroffen war, deutet darauf hin, dass der Wiederaufbau des vom Krieg völlig zerstörten Landes noch Jahre in Anspruch nehmend wird.
Der fünfzehnjährige Krieg in Thailand ist einerseits auf die ungleiche Verteilung der ökonomischen Ressourcen des Landes, andererseits auf die Welle von Kriegen in Indochina um staatliche Unabhängigkeit und die Errichtung kommunistischer Systeme zurückzuführen. Die Kommunistische Partei Thailands versuchte, mit zunächst breiter Unterstützung durch die Landbevölkerung, das repressive Militärregime zu stürzen und die halbfeudalen Strukturen der Landwirtschaft zu beseitigen.
Kriege in Ozeanien
In Ozeanien war das 1975 in die Unabhängigkeit entlassene Papua-Neuguinea (PNG) Schauplatz eines nahezu ein Jahrzehnt währenden Krieges. Dort eskalierten Auseinandersetzungen, die durch die ökologischen und sozialen Folgen eines großen Bergbauprojektes auf der Insel Bougainville verursacht wurden, zwischen der lokalen Bevölkerung im Minengebiet einerseits und den staatlichen Institutionen sowie dem Bergbaukonzern andererseits Ende der 80er Jahre gewaltförmig und überschritten 1989 die Schwelle zum Krieg. Seither bekämpften sich auf Bougainville die Bougainville Revolutionary Army (BRA) und die - von Australien unterstützten - Streitkräfte der Zentralregierung PNG's. Die BRA forderte alsbald die Sezession Bougainvilles und proklamierte 1990 die "Republik Bougainville". Erst 1998 konnten die Kampfhandlungen durch einen Waffenstillstand dauerhaft beendet werden; seither bemühen sich die Konfliktparteien um eine politische Lösung.
Boris Wilke / Volker Böge, Stand 1997