Nils Hoffmann, wie lehren und lernen wir Musik in der Zukunft?
Nils Hoffmann (Musiker, Musiklehrer, Autor):
"Mit der Digitalisierung der Musikproduktion beobachte ich massive Umbrüche im Bezug auf das Lernen und Lehren von Musik. Aber zum Teil sind die fundamentalen Veränderungen erst auf den zweiten Blick erkennbar: An die Stelle des Nachspielens und Übens von Etüden tritt der frühzeitige Wunsch, eigene Musikstücke zu produzieren. Diese Musik steht auch eher in der Tradition von afro-cubanischer Musik, von Techno und EDM und hat weniger Wurzeln in der klassischen, europäischen Musiktradition. Noten und handwerkliche Fähigkeiten an einem Instrument sind keinesfalls mehr eine notwendige Voraussetzung.
Es geht in der Zielsetzung vieler Lernenden eher um Streams und Clicks als um Konzerte und Plattenverträge. Das Sounddesign nimmt einen großen Raum im Lernprozess ein – hingegen sind Themen wie Musiktheorie und das Entwickeln von Virtuosität auf einem Instrument weiter in den Hintergrund gerückt. Dafür tauchen im Unterricht schon frühzeitig Fragen zu kreativen Prozessen und kompositorischen Konzepten auf. Einen gemeinsamen Proberaum oder realen Unterrichtsraum sucht man oft vergeblich; stattdessen betrachten es viele Lernende als selbstverständlich, sich mit (fast) allen Aspekten der Musikproduktion auseinander zu setzen und quasi im Alleingang die Musik zu erschaffen. Dabei ist es durchaus üblich, digitale Instrumente nach den eigenen Vorstellungen zu verändern oder sogar eigene Instrumente und „Patches“ zu entwerfen, die der eigenen Musik auch eine individuelle Soundästhetik verleihen sollen.
Aus meiner Perspektive als Lehrer ist das ein großer Vorteil für die persönliche Entwicklung der Schüler*innen, wenn sie sich gleichermaßen mit Beat, Bass, Akkorden und Melodien, Arrangement und Variationstechniken, Sound und digitaler Vermarktung auseinander setzen – zumal eine langjährige Ausbildung an einem Instrument nicht mehr zwingend erforderlich ist, um z. B. eine komplexe Bassline zu bauen. In meiner Wahrnehmung steht die Digitalisierung im Bereich der Musik für den Beginn einer neuen Epoche, die auch einen oft rückwärts gewandten Musikunterricht hoffentlich beendet, in dem zwar die Instrumente noch ohne Updates auskamen, aber der Unterricht sich an traditionellen Lehrwerken orientierte und kreative Aspekte nur eine untergeordnete Rolle spielten.
Wo in der Vergangenheit eher viel Zeit auf das Erlernen eines Instrumentes verwendet werden musste, benötigen die Schüler*innen heute ähnlich viel Zeit, um sich mit den vielfältigen Aspekten der digitalen Musikproduktion auseinander zu setzen. In dieser Hinsicht hat sich also nichts verändert."