Relotius-Überprüfungsrecherche sorgt für großes Medienecho
18 June 2019

Photo: Screenshot Message
Ein Factchecking-Projekt zu Claas Relotius war zunächst nur eine Übung im Seminar „Recherche II“. Doch die Ergebnisse der Studierenden waren so gewichtig, dass Kursleiter Prof. Dr. Volker Lilienthal sie kurzerhand veröffentlichte. Mit überragendem Erfolg.
Die Masterstudierenden der Journalistik und Kommunikationswissenschaft (JKW) an der Universität Hamburg bekamen diesmal eine besondere Aufgabe: Zehn Texte von Claas Relotius sollten einer systematischen Überprüfungsrecherche unterworfen werden. Was an an den faktizierbaren Angaben in den Artikeln stimmte, was vermutlich nicht? Das Übungsmaterial kam aus der Financial Times Deutschland (FTD), wo Relotius zwischen 2010 und 2012 freier Mitarbeiter war, zeitweise schon während seines Studiums an der Hamburg Media School.
Keine Redaktion, keine Aufklärung
Da die FTD im Jahr 2012 eingestellt worden war, erfolgte bisher keine Aufarbeitung dieser Artikel, die vorgeblich aus aller Welt stammten. Die JKW-Studierenden machten sich also erstmals an das Frühwerk des Fälschers, der den Spiegel in seine bisher größte Identitätskrise geführt hatte.
Tatsächlich fanden die Studierenden in vielen der Relotius-Texte Ungenauigkeiten und Plagiate, teilweise auch offensichtliche Fälschungen. Die Ergebnisse der Überprüfungsrecherche veröffentlichte das von Prof. Lilienthal mitherausgegebene Onlinemagazin Message unter dem Titel „Schädliche Neigungen“, sie stießen auf starkes Interesse der Leserschaft. Der Report wurde nach Angaben des Magazins bis zu 500 Mal täglich gelesen.
Relotius erlag schon früh seinen Neigungen
Zur Bedeutung der Funde seiner Studierenden sagt Prof. Volker Lilienthal: „Bisher hieß es immer, Relotius sei unter dem Leistungsdruck des Spiegels zum Fälscher geworden. Zusätzlich hätten ihn die vielen Journalistenpreise verführt. Unsere Rekonstruktion zeigt: Schon als Student und Mittzwanziger erlag er seinen Neigungen. Unsere Studierenden sind mit Feuereifer an die Sache gegangen, haben per Mail und telefonisch auch im Ausland recherchiert und überhaupt große Sorgfalt walten lassen. Nach meinem Eindruck wollten sie quasi einem Generationsgenossen mal zeigen, was eine Harke ist. Und sie erlebten anhand dieses Anschauungsmaterial, wie wichtig ein Journalismus ist, der sich strikt an die Tatsachen hält. Auf die Realität gibt es bei uns keinen Rabatt.“
Lob auch von Kollegen
Schon vor der Veröffentlichung hatte das Hamburger Abendblatt Wind von der Sache bekommen und berichtete vorab. Es folgten unter anderem Berichte bei Meedia, Zapp und im Medienmagazin auf Radioeins. In letzterem war Masterstudent Tom Gerntke zugeschaltet und schilderte seine Sicht als junger Journalist auf den Fall. Über die Überprüfungsrecherche des Frühwerks von Relotius sagte Gerntke: „Wir konnten zeigen, dass nicht erst die Atmosphäre beim Spiegel oder der Druck durch Journalistenpreise zu einem unsauberen Arbeiten von Relotius geführt haben. Es ging schon früher los.“
Auch das Echo in den sozialen Netzwerken war groß. Für das Rechercheprojekt der Hamburger Journalistik und Kommunikationswissenschaft kam viel Lob von zahlreichen namhaften Journalisten. sowie von Freischreiber e.V., dem Verband der freien Journalisten.
Journalistik-Studierende der Uni Hamburg haben mit @LilienthalV frühe #Relotius-Texte aus der eingestellten FTD faktengecheckt. Eine Arbeit, die eigentlich hätte Gruner+Jahr leisten sollen. https://t.co/mJU0nPBW5N
— Matthias Daniel (@matthiasdan) 17. Mai 2019
.@LilienthalV und Studenten der @JKW_UHH haben die mittlerweile eingestellte FTD ausgegraben und die alten Artikel von #Relotius mit unfassbarem Aufwand gecheckt. Ergebnis: Er hat wohl schon als Student Details seiner Storys verfälscht. https://t.co/BZ9fSQRHGE
— Alexander Triesch (@alextriesch) 17. Mai 2019