Jacob Sello, wie entstehen eigentlich neue Musikinstrumente?
Jacob Sello (Hochschule für Musik und Theater Hamburg):
"Die klassischen Orchesterinstrumente oder z. B. auch das Klavier nähern sich nach Jahrhunderten meisterhafter Innovation und steter Optimierung ihrer Perfektion. Noch heute gelten die rund 350 Jahre alten Stradivari oder Guarneri Violinen als Maß aller Dinge. Auch der Steinway D-274 Konzertflügel wird seit bald 150 Jahren weitgehend unverändert gebaut. Sogar vergleichsweise junge Instrumente wie die E-Gitarre oder das Schlagzeug aus Jazz, Rock und Pop erscheinen weitgehend ausentwickelt - eine Fender Stratocaster Gitarre der späten 1960er Jahre erzielt Rekordpreise nicht nur bei Sammlern.
Dennoch findet intensive Forschung zu neuen Musikinstrumenten statt, auch an Musikhochschulen. Denn diese verstehen sich nicht als allein museale Konservatorien, wo das große kulturhistorische Erbe erhalten und verwaltet wird, sondern auch hier gilt der Anspruch das eigene Fach – die Musik – weiterzuentwickeln, fest verankert etwa auch im Hamburgischen Hochschulgesetz.
Die Suche nach neuen Ausdrucksformen und Werkzeugen spiegelt sich auch im Schaffen vieler Komponist:innen – besonders auffällig seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Oft stehen neue Kompositionsstrategien und neues Klangmaterial im Fokus, um die gängigen Hörgewohnheiten zu durchbrechen. Doch nicht nur neue Spieltechniken auf etablierten Instrumenten, sondern insbesondere der experimentelle Einsatz und die Adaption zeitgenössischer Technologien spielt eine Schlüsselrolle. Waren es Mitte des 20. Jahrhunderts insbesondere die elektronischen Klänge, ob synthetisch erzeugt oder per Mikrofon aufgezeichnet, die das Klangspektrum massiv erweiterten, so mag wohl zuletzt der Siegeszug des Computers zu den weitreichendsten Umbrüchen in der Musik geführt haben. Nicht nur die Musikproduktion wurde durch die Digitaltechnik revolutioniert, sondern auch die kompositorische Praxis hat sich radikal verändert: Notenpapier und Bleistift sind heute die Ausnahme, meist ist der Laptop das Tool der Wahl und bietet nicht nur einen schier unermesslichen Fundus an Klängen, sondern liefert eine große Palette neuer Hilfsmittel bis hin zum KI-basierten Kompositionsassistenten, für eine interaktive und multimediale Musik der Zukunft.
Sicherlich ist nicht jedes musikalische Experiment derart zukunftsweisend, dass sich daraus nachhaltige Neuerungen für eine künftige Musikpraxis ergäben, wie etwa im Falle der Experimente von Pionieren wie Karlheinz Stockhausen und seiner Elektronischen Musik der 1950er Jahre, die sich von einer avantgardistischen Expertenmusik zum Mainstream entwickelte und zum Sound nachfolgender Generationen wurde. Doch oft liefern die künstlerischen Experimente neue Erkenntnisse, als Keimzelle innovativer Ideen für neue Ausdrucksformen. Diese sind notwendig, wenn sich die Musik als Kunstform weiterentwickeln soll.
Das Innovationslabor der Hochschule für Musik und Theater Hamburg bietet den Raum und die Werkzeuge für entsprechende Experimente sowie Hilfestellung bei der angemessenen Präsentation auf der Bühne. Ob intuitiv nutzbare Sensor-Schnittstellen zur gestischen Interaktion mit Computern, echtzeitfähige Notationssysteme für Tabletcomputer, Netzwerktechnologien für das Musizieren im Internet oder gänzlich neue Musikinstrumente. Das Ziel bleibt gleich: es geht um neue Ausdrucks- und Erlebnisdimensionen, die sich unter dem kritischen Urteil der Öffentlichkeit auf der Bühne beweisen müssen. Wissenstransfer als Katalysator musikalischer Evolution."
