Usbekistan
Kriege in Usbekistan seit 1945
Usbekistan (IMU, 1999 - 2000)
AKUF-Datenbanknr.: |
254 |
Kriegsdauer: |
06.08.1999 - 9/2000 |
Kriegstyp: |
AE-1 |
Kriegsbeendigung |
durch Abbruch der Kämpfe (Kämpfe unterhalb der Ebene Krieg) |
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Kriegführende |
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Seite A |
Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) |
Seite B |
Usbekistan, Kirgistan |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Im Gegensatz zu den Jahren 1999 und 2000 verhielt es sich dieses Jahr im Konflikt der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) gegen Usbekistan und Kirgistan vergleichsweise ruhig. Nachdem in den vergangenen zwei Jahren etwa 150 Menschen den Kämpfen zum Opfer fielen, gab es im Sommer des Berichtsjahres in der kirgisischen Region Batken nur wenige, kleinere Scharmützel mit geringer Opferzahl. Dahingegen erlitt die IMU bei den Kämpfen in Afghanistan im Herbst des Berichtjahres große Verluste. Dies muss aber nicht das Ende des Konfliktes um das Ferganatal bedeuten.
Das geographische Zentrum der Auseinandersetzungen ist das fruchtbare Ferganatal, welches zu ungleichen Teilen Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan angehört. Im Ferganatal hat sich vom 8. Jahrhundert an der Islam anders entwickelt als in anderen Teilen des sonst größtenteils gebirgigen Ostens Zentralasiens. Die im Tal ansässigen Bewohner waren schon lange vor ihren Nachbarn sesshaft geworden und betrieben Ackerbau, wohingegen andere Völker in der Region als Nomaden lebten. So entwickelten sich mit dem Eintreffen des Islam verschiedene religiöse Orientierungen in der Region: Eine sehr synkretistische Glaubenspraxis im Gebirge und eine orthodoxere im Ferganatal. Dieser Unterschied macht sich bis heute bemerkbar. So kam es mit dem Ende der kommunistischen Herrschaft 1989/91 und unter dem Eindruck herrschender Orientierungslosigkeit sowie einer sich verschlechternden sozialen und wirtschaftlichen Lage im Ferganatal im Vergleich zur übrigen Region zu einer grundlegenderen Rückbesinnung auf den Islam. Es wäre aber unangebracht, daraus einen politisch orientierten Hang zum radikalen Islamismus abzuleiten. Der usbekischen Führung unter Präsident Islam Karimov war diese Entwicklung jedoch von Anfang an suspekt. Sie nahm den 1992 beginnenden Bürgerkrieg in Tadschikistan, in welchem auch religiös motivierte Gruppen verstrickt waren, zum Anlass, gegen religiöse wie auch gegen andere Oppositionelle in Usbekistan vorzugehen, welche daraufhin zum Teil ins benachbarte Ausland, unter anderem nach Afghanistan, flohen. Darunter befanden sich auch die Führer der IMU, Juma Namangani und Tahir Joldaschew, beide aus Namangan, die sich während des Krieges in Tadschikistan aktiv auf die Seite der Opposition schlugen, um später bei den Taliban Unterschlupf zu finden. Dies hielt sie aber nicht davon ab, auch in Usbekistan mit Gewalt gegen das Regime vorzugehen. Die usbekische Regierung antwortete auf derlei Aktivitäten wiederum mit Härte und inhaftierte tausende mutmaßliche Fundamentalisten. Die Situation spitzte sich mit einer Serie von Bombenanschlägen in Taschkent am 16. Februar 1999 zu, deren Ziel unter anderen Präsident Karimov selbst war, der aber unbeschadet blieb. Auch wenn bis heute die Urheberschaft der Anschläge nicht abschließend geklärt ist, sah sich die usbekische Regierung zu einer noch härteren Gangart veranlasst. Sie ließ in der Folgezeit zahlreiche Personen festnehmen und machte ihnen den Prozess.
Die skizzierte innenpolitische Entwicklung Usbekistans verbindet sich mit anderen regionalen Faktoren zu einer höchst destabilisierenden Mischung, welche letzten Endes zum Krieg führte. So ist es durch die anhaltenden Konflikte in Tadschikistan und Afghanistan im Laufe der 1990er Jahre zu einer Verschärfung der sicherheitspolitischen Lage gekommen. Der Waffen- und Drogenhandel hat inzwischen enorme Ausmaße angenommen und ist als eine der Hauptgefahren für die regionale Sicherheit anzusehen. Waffenmaterial ist billig und jedem ohne große Probleme zugänglich. Ebenso hat sich im Zuge der zunehmenden Mobilität von kriegserfahrenen Männern aus Tadschikistan und Afghanistan ein Netzwerk von Kämpfern in der Region entwickelt. Dieses führt zum einen dazu, dass nicht mehr benötigtes Kriegspersonal zunehmend seiner eigenen Wege geht und sich an anderen Konflikten beteiligt, wie vor allem seit dem Friedensschluss in Tadschikistan geschehen. Zum anderen kommen die Oppositionellen eines Landes unter den radikalen Einfluss von Gruppierungen eines anderen Landes, wie dies im Falle der IMU mit den Taliban geschehen ist. Im Rahmen allgemeiner wirtschaftlicher Depression, gesellschaftlicher Entwurzelung und Auflösung traditionaler Sozialstrukturen haben die geschilderten Entwicklungen beträchtliche Folgen.
Die IMU machte sich diese Situation lange Zeit zu Nutze. Sie unterhielt rege Kontakte zu den Taliban in Afghanistan, wo viele ihrer Mitglieder Kampfausbildung und Indoktrination durchliefen und von wo die IMU auch Waffenmaterial und finanzielle Unterstützung erhielt. In der Region Kunduz unterhielt sie mehrere Lager. Namangani soll in den letzten Monaten des Berichtsjahres die Truppen der Taliban und befreundeter Verbände im Norden Afghanistans bis zu deren Niederlage kommandiert haben. Die IMU setzte sich vorwiegend aus Usbeken, aber auch aus tadschikischen Freischärlern und Kämpfern aus Afghanistan und anderen Ländern zusammen. Ihre Anzahl wurde auf ungefähr 2.500 Mann geschätzt. Es blieb stets unsicher, welche Ziele Namangani und seine Truppen verfolgten. Die fundamentalistische Rhetorik über die (Wieder-)Errichtung eines islamischen Kalifats im Ferganatal lässt sicher die Grundtendenz der Bewegung erkennen. Sie sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hierbei um eine usbekische Opposition handelte, welche sich in Jahren der Unterdrückung zu einer militanten Bewegung entwickelte und die auch auf gewisse Sympathien im Ferganatal stieß. Der oben erwähnte umfangreiche Drogenhandel spielte nach Angaben regionaler Diplomaten ebenfalls eine bedeutende Rolle bei den Aktionen der Rebellenbewegung.
Vor diesem mehrschichtigen Hintergrund sind die Geschehnisse der letzten Jahre im kirgisisch-tadschikisch-usbekischen Grenzgebiet zu betrachten. 1999 und 2000 kam es jeweils im Spätsommer zu einem Aufeinandertreffen der Kriegsparteien. Die Kämpfe fanden dabei am südlichen Rand des Ferganatals, in den Höhen des kirgisisch-tadschikischen Grenzgebirges und auch im Süden sowie im Nord-Osten Usbekistans statt. Die nicht sonderlich gut ausgerüsteten kirgisischen, aber auch die usbekischen Truppen sahen sich durch diese Aktionen vor große Probleme gestellt.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Der Grund für das weitgehende Ausbleiben von kriegerischen Auseinandersetzungen im Berichtsjahr ist unklar. Die Einheiten der IMU hatten sich im Verlaufe des Jahres mehrfach in Tadschikistan gezeigt, waren aber immer wieder nach Afghanistan abgezogen. Nur Ende Juli kam es zu wenigen, kurzen Schusswechseln in der südkirgisischen Region Batken, welche keine Todesopfer forderten. Ob die Bewegung schon im Vorfeld des erweiterten Krieges in Afghanistan ihre Taktik änderte und mehr auf eine unauffällige Infiltration des Gebietes setzte, oder ob sie durch Geschehnisse in Afghanistan von einer neuerlichen Offensive abgehalten wurde, kann nicht beantwortet werden. In jedem Falle haben die Luftangriffe der USA und die Bodenoffensive der Nordallianz in Afghanistan die Infrastruktur und den Zusammenhalt der IMU weitgehend zerstört. Viele ihrer Kämpfer wurden getötet oder gefangen genommen, wobei sich unter den Todesopfern auch Namangani befinden soll. Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass dies das Ende der usbekischen Rebellenbewegung bedeutet. Zahlreiche Angehörige der IMU sollen sich mit ihren Waffen in entlegene Gebiete Tadschikistans zurückgezogen haben. Da eine Richtungsänderung der usbekischen Regierung im Hinblick auf die Duldung von Opposition ebenso wenig wahrscheinlich ist wie eine substanzielle Verbesserung der sozio-ökonomischen Lebensgrundlagen der zentralasiatischen Bevölkerung, ist mittelfristig die Gefahr bewaffneter Auseinandersetzungen nicht gebannt.
Aus diesem Grunde werden weiterhin auch Spannungen unter den zentralasiatischen Staaten bestehen. Hinzu kommt, dass Grenzstreitigkeiten, Ressourcenabhängigkeit und eine verbreitete Verminung auf usbekischer Seite, welche schon einige zivile Todesopfer forderte, für genügend Streitpunkte in der Region sorgen. Mit dem Abklingen der Kämpfe in Afghanistan werden diese wieder verstärkt zum Vorschein kommen.
Burkhard Conrad