ukraine
Ukraine (Ostukraine, 2014 - )
AKUF-Datenbanknr.: | |
Kriegstyp | B-1 |
Kriegsdauer | 15.04.2014 - |
Kriegsbeendigung | |
Kriegführende Seite | |
Seite A: | Ukraine |
Seite B: | „Luhanska narodna respublika“ (Volksrepublik Luhansk), „Donezka narodna respublika“ (Volksrepublik Donetsk) und Milizen der „Narodnoje opoltschenije“ („Volkswehr“ oder „Volksmiliz“, paramilitärische Truppen in der Ostukraine) mit Unterstützung Russlands |
Konfliktgegenstand und -ziele:
Im 2014 ausgebrochenen Konflikt um den Donbass bezogen sich Akteure inner- und außerhalb der Ukraine schnell auf eine vermeintlich homogene „pro-westliche“ West- und „pro-russische“ Ostukraine. Regionale Spannungen zwischen einzelnen Regionen traten in der Ukraine dabei spätestens mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 zutage. Unter Berücksichtigung der diversen regionalen Geschichts- und Identitätsbilder lassen sich Spuren davon bis Mitte bzw. Ende des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen.
Ein Großteil der heutigen Ukraine stand bis zum Umbruch 1991 unter der Herrschaft verschiedenster Mächte. So beherrschte beispielsweise das polnisch-litauische Königreich vom 16. bis 18. Jahrhundert Teile der westlichen Provinzen, ab 1922 existierte die Ukraine als Sowjetrepublik. Die Mobilisierung einer „nationalen ukrainischen Identität“ erfolgte somit in den östlichen und westlichen Gebieten sehr unterschiedlich. Die westlichen Regionen Transkarpatien und Galizien erlebten als Regionen in der Einflusssphäre zentraleuropäischer Mächte eine erheblich stärkere politische und nationalistische Mobilisierung. Ein wesentlicher Protagonist der nationalen Bewegung war Stepan Bandera. Seit Anfang der 1930er Mitglied im Führungskader der rechtsgerichteten „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN) war sein Ziel die vollständige Unabhängigkeit der Ukraine. Im Donbass hingegen wurden, bedingt durch den besonders starken sowjetischen Einfluss, eigenständige politische Aktivitäten unterdrückt.
Der Zerfall der Sowjetunion gab der Bevölkerung die Möglichkeit zur politischen und gesellschaftlichen Mobilisierung. Entsprechend divergierend und verschiedenartig entwickelten sich sowohl die politische Struktur als auch die vorherrschenden Meinungsbilder. In sich relativ homogen waren lediglich die Regionen in und um das westliche Galizien/Transkarpatien und östliche Donetsk/Symferopil/Lugansk. An diesen zumindest ansatzweise vorhandenen regionalen Gegensätzen innerhalb der Ukraine setzten 2014 sowohl die Kräfte des Euromaidan als auch die ukrainischen Politiker und Separatisten an. Während erstere sich als pro-europäisch/–westlich positionierten und Yanukovych als „russland-hörig“ darstellten, sahen sich die Separatisten und dessen Unterstützer der Kreml im Kampf gegen einen von der US-Regierung und deren Verbündeten unterstützten „faschistischen Coup“ gegen Yanukovych. Mit ein Anlass für diese Darstellung waren die Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine, das in der Ukraine teilweise sehr umstritten war. Die Verschleppung der abschließenden Unterzeichnung des Assoziierungsabkommen durch die Yanukovych-Administration löste schließlich starken Protest aus. Die pro-europäische Interessenartikulation gipfelte dann in den gewaltsamen Protesten auf dem Maidan-Platz in Kiev.1 Obwohl Yanukovych am 21. Februar 2014 infolgedessen durch das Parlament abgesetzt wurde und ins russische Exil flüchtete, sah der Kreml zu dem Zeitpunkt in ihm den legitimen Präsidenten der Ukraine. Der spätere Eingriff russischer Streitkräfte wurde demzufolge mit einem Brief legimitiert, in dem Yanukovych Russland um militärische Hilfe zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung bat.
Im April 2014 wurden zeitgleich die Gebäude der Lokalbehörden in Lugansk und Donetsk durch pro-russische Separatisten besetzt und die jeweiligen unabhängigen Volksrepubliken ausgerufen. Die ukrainische Regierung reagierte mit einem Ultimatum an die Besetzer, sich bis zum 14. April zurückzuziehen. Als eine Reaktion darauf ausblieb begann die ukrainische Armee mit Operationen gegen die überraschend gut organisierten und bewaffneten Separatisten. Bereits in den ersten Wochen des Konflikts wurden dabei von beiden Seiten schwere Waffen, Artillerie und Panzer eingesetzt. Die separatistischen Kräfte werden dabei von Kiev als „Terroristen“ bezeichnet und im Verlauf der Auseinandersetzungen Entsendungen der ukrainischen Armee als „Anti-Terror Einsätze“ geführt. Zur weiteren Eskalation trug auch die Unterstützung durch russische Waffen- und Medikamentenlieferungen für die Separatisten bei. Dass russische Truppen direkt an den Kampfhandlungen beteiligt sind, wird jedoch vom Kreml dementiert.
Ergebnisse des Krieges:
Bis Mai 2014 hatten die Separatisten bereits Gebiete von bedeutender Größe eingenommen. Dadurch ermutigt führten die selbstproklamierten Volksrepubliken am 11. Mai ein Unabhängigkeitsreferendum durch, das in Donetsk und Lugansk mit 89,7 % bzw. ca. 98 % die Unabhängigkeit von der Ukraine bestätigte. Die Ergebnisse der Abstimmungen werden von vielen Stellen angezweifelt, darunter auch die OSZE und mehrere Staaten der EU wie Deutschland, Frankreich und Schweden. Einzig Russland und die Autonome Republik Krim erkennen die Abstimmung an. Im Gegensatz zur Krim bestehen die „Volksrepubliken“ allerdings auf einer undefinierten substaatlichen Ebene und ein Anschluss an russisches Hoheitsgebiet fand nicht statt. Kiev sieht die russische Unterstützung der Separatisten als Verletzung internationalen Rechts an.
Am 5. September 2014 wurde unter Vermittlung der OSZE und Russlands ein erster Friedensplan (Minsk I) erstellt. Kernpunkte waren hierbei ein Waffenstillstand, die Festsetzung konkreter Rückzugslinien für beide Parteien und die Einrichtung einer Pufferzone in der schwere Waffen verboten wurden. Bereits in den ersten Wochen nach der Unterzeichnung war jedoch klar, dass das Abkommen nicht halten würde. Die neuerlich eskalierenden Kämpfe führten schließlich zu einer zweiten Verhandlungsrunde unter internationaler Vermittlung. Auch dabei konnte keine grundlegende Lösung ausgearbeitet werden. Das ausgehandelte Abkommen „Minsk II“ enthält nur wenig konkretere Forderungen als Minsk II. Zudem wurden 2015 gegen die Vorgaben von Minsk II in den Separatistengebieten eigene Regionalwahlen durchgeführt. Die Kämpfe halten, wenn auch mit teilweise geringerer Intensität, weiter an.
Bis Anfang 2017 starben in den Regionen um Donetsk und Lugansk nach Angaben des UNHCR über 9.900 Menschen.
Anmerkungen:
1 Das bei den Protesten des Euromaidan Portraits Stepan Banderas auftauchten führte zu einem sehr gemischten Echo. Tendenziell pro-russisch eingestellte Kreise sahen Verbindungen zu rassistischen „Blut-und-Boden“-Gruppen in der Ukraine, von anderen Seiten wurden die Maidan-Protesten dadurch als das „Erwachen“ einer gesamtukrainischen Identität gewertet. In beiden Fällen wurde der Geist Banderas im Sinne der jeweiligen Interessen instrumentalisiert.
Roman Brandt
Literatur:
Hrytsak, Yaroslav (2009): On the Relevance and Irrelevance of Nationalism in Contemporary Ukraine, In: Kasianov, Georgiy u. Philipp Ther (Hrsg.): A Laboratory of Transnational History: Ukraine and Recent Ukrainian Historiography.
Himka, John-Paul (2015): The History Behind the Regional Conflict in Ukraine, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History, Vol. 16:1, 129-136
Diuk, Nadia (2014): Finding Ukraine, in: Journal of Democracy, Vol. 25:3, 83-89
Jaitner, Felix, Olteanu, Tina u. Tobias Spöri (2015): Die Ukraine – postsowjetische Staatenbildung in der Krise, in: WeltTrends, Vol. 105, 28-33
Pradetto, August (2015): Failing State Ukraine? It’s the Enemy, Stupid! Die Inszenierung des Ukrainekonflikts als Kalter Krieg, in: WeltTrends, Vol. 105, 45-50
Karagiannis, Emmanuel (2014): The Russian Interventions in South Ossetia and Crimea Compared: Military Performance, Legitimacy and Goals, in: Contemporary Security Policy, Vol. 35:3, 400-420