Tadschikistan
Kriege in Tadschikistan seit 1945
Tadschikistan (UTO, 1992 - 1998)
AKUF-Datenbanknr.: |
208 |
Kriegsdauer: |
15.08.1992 - 11/1998 |
Kriegstyp: |
A-2 |
Kriegsbeendigung |
durch Vermittlung Dritter (Kämpfe unterhalb der Ebene Krieg |
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Kriegführende |
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Seite A |
Tadschikistan |
Seite B |
United Tajik Opposition (UTO) - Koalition aus der westlich orientierten Democratic Party of Tadschikistan, der nationalistichen Bewegung Liali Badakhshan und der islamistischen Islamic Renaissance Party (IRP) |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Im Anschluß an den Zerfall der Sowjetunion eskalierte in Tadschikistan 1992 eine Vielzahl ideologischer, religiöser, regionaler und entlang ethnischer Grenzen mobilisierter Widersprüche, die der Gesellschaft als Erbe realsozialistischer Modernisierung erhalten geblieben waren. Bei den Kämpfen der ersten Phase des Bürgerkrieges im November 1992, die sich auf die Regionen um die Hauptstadt Duschanbe, die südliche Khatlon-Provinz (Kurgan-Tjube und Kuljab) und das Garmtal konzentrierte, ließen sich kaum klare Frontlinien ausmachen. Etwa fünfzigtausend Menschen verloren ihr Leben, während bis zu 250.000 weitere vor allem nach Afghanistan und Gorno-Badachschan flohen.
Die kriegerische Eskalation begann mit der Konkurrenz um die Regierungsmacht. Dem unter dem Druck der Straße zurückgetretenen, aus Khojand (ehemals Leninabad) stammenden, kommunistischen Präsidenten Nabijew folgte im September 1992 eine nationaldemokratisch-islamistische Koalition unter Führung Iskanderows. Zwei Monate später vermochten die Kommunisten der Khatlon-Provinz mit der militärischen Unterstützung der Volksfront-Milizen die neue Regierung aus dem Amt zu vertreiben und setzten den Kuljab-Kommunisten Rachmonow als Präsident ein.
Den bewaffneten Widerstand gegen die nun einsetzenden "ethnischen Säuberungen" der Volksfront, denen vor allem Garmis, Badachschanis und die "Araber" aus Khatlon zum Opfer fielen, trugen in erster Linie die islamistische "Islamic Renaissance Party" (IRP) und die regional in Gorno-Badachschan (GB) verankerte Bewegung "Liali Badakshan". Die IRP findet ihre Unterstützung in der Garm-Region, in Teilen des Leninabad-Oblastes (Ura-Tjube, Isfara) und unter den Landarbeitern in der Khatlon-Provinz. Hinzu kam ein separatistisch-ethnisch motivierter Widerstand in der südöstlichen Provinz GB. Ein Teil der Badachschanis steht der IRP aber skeptisch gegenüber: Einerseits teilen sie ihr Schicksal als Opfer der Zwangsumsiedlungen mit der islamistischen Opposition, aber andererseits fürchten sie als Ismaeliten die sunnitischen Islamisten der IRP. Im Gegensatz zum kommunistischen Khojand und Kuljab haben die sowjetischen Modernisierungsversuche die Garm-Region und Badachschan nur in Ansätzen durchdrungen; die traditionalen Clanoberhäupter oder religiösen Führer besaßen hier auch zu Sowjetzeiten eine größere Autorität als die Statthalter sowjetischer Herrschaft, was bereits in der Vergangenheit zu Konflikten geführt hatte. Auf der politischen Ebene schlossen sich die IRP, Liali Badakshan und die "Democratic Party" zur "United Tajik Opposition" (UTO) zusammen.
Der Bürgerkrieg, der 1992 als Anti-Regime-Krieg begann, hatte seit 1995 seinen Charakter grundlegend verändert. Bestimmender Hintergrund für das Festhalten der verschiedenen Gruppierungen am Krieg war nicht mehr primär der Kampf um die Regierungsmacht. Vielmehr hatte sich eine Situation herausgebildet, in der einzelne Warlords auf Regierungs- und Oppositionsseite um die regionale Kontrolle ökonomischer Ressourcen (z.B. Baumwolle, Aluminium, Drogen) kämpften. Der Formwandel des Krieges in Tadschikistan vollzog sich vor dem Hintergrund zerfallender zentralstaatlicher Strukturen. Ursache dafür war, daß mit dem Wegfall der regelmäßigen finanziellen Transferleistungen aus Moskau Legitimation und Macht der Zentralregierung in Duschanbe rapide schwanden. Da die tadschikische Regierung seit den vierziger Jahren ohnehin vom industrialisierten kommunistischen Norden Khojand dominiert worden war, standen die anderen Regionen in Tadschikistan plötzlich nicht nur als politischer, sondern auch als ökonomischer Verlierer da.
Die Regionalisierung von Herrschaft wirkte sich auch auf die Kontrolle der ökonomischen Ressourcen aus. Die großen Baumwollproduzenten Kuljab und Kurgan-Tjube z.B. forderten nicht nur mehr politische Macht, sondern sorgten auch dafür, daß ihre regional erwirtschafteten Gewinne nicht mehr an die Zentralregierung abgeführt wurden. Innerhalb kürzester Zeit entzogen sich die Großbetriebe der staatlichen Kontrolle und wurden durch regionale Eliten faktisch privatisiert. Dieser Prozeß der Privatisierung durch regionale Eliten wurde im Bürgerkrieg mit militärischer Gewalt fortgeführt. Die Volksfront-Einheiten aus Kuljab konnten sich mit Duldung der regionalen Machthaber großzügig aus den Waffenlagern der GUS-Streitkräfte bedienen und verfolgten bei ihren nur vordergründig politisch motivierten "ethnischen Säuberungen" hintergründig vor allem das Ziel des schnellen Reichtums durch Plünderungen und der Besetzung fremden Ackerlandes.
Auch nach dem Ende der "ethnischen Säuberungen" im Frühjahr 1993 blieb es den Milizen selbst überlassen, sich um ihre materielle Reproduktion zu kümmern, da die Umwandlung der Volksfront in Einheiten der tadschikischen Streifkräfte keine ausreichende materielle Lebensgrundlage bot. So bildete sich eine Struktur heraus - und das gilt in gleichem Maße für die Einheiten der Opposition -, in der der Kommandeur einer Einheit nicht nur militärischer Führer war, sondern auch für das ökonomische Auskommen der Einheit Sorge zu tragen hatte. Der bewaffnete Verband, gleich ob auf Regierungs- oder Oppositionsseite, wurde zum Privatunternehmen, das seine militärische Macht direkt zur Aneignung ökonomischer Ressourcen oder als Tauschprodukt einsetzt.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Das auf Druck von Rußland im Juni 1997 von Regierung und Opposition unterzeichnete Friedensabkommen erwies sich in den Folgejahren als instabil. Gleichwohl sanken die militärischen Auseinandersetzungen im Jahr 1999 unterhalb die Kriegsschwelle und sind seitdem als bewaffneter Konflikt einzustufen (vgl. Bewaffneter Konflikt in Tadschikistan).
Thomas Dorenwendt
Bewaffnete Konflikte in Tadschikistan seit 1993
- Bewaffnete Konflikte in Tadschikistan (1998 - 2001)