Slowenien
Kriege in Slowenien seit 1945
Jugoslawien (Slowenien, 1991)
AKUF-Datenbanknr.: |
228 |
Kriegsdauer: |
26.06.1991 - 03.07.1991 |
Kriegstyp: |
B-2 |
Kriegsbeendigung |
durch Vermittlung der Europäischen Gemeinschaft |
|
|
Kriegführende |
|
Seite A |
Jugoslawien |
Seite B |
Slowenien |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Die Ursachen des gewaltsamen Zerfalls Jugoslawiens sind in dem Prozeß der Staatsbildung zu suchen, der insbesondere durch die Person des lebenslangen Staatspräsidenten Titos verkörpert wurde. Dem Zerfall Jugoslawiens zu Beginn der 90er Jahre war bereits eine längere Phase der schleichenden Erosion vorangegangen. Jugoslawien wurde 1945 als föderative Volksrepublik gegründet und setzte sich aus den sechs Republiken Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien und den zwei autonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo zusammen. Hatte in der Phase der Regimestabilisierung der Ausbau des Machtmonopols der Kommunistischen Partei (KP) Priorität, so führten seit den 50er Jahren von der Zentralmacht initiierte Devolutionsprozesse und diverse konstitutionelle Änderungen zu einer verstärkten De-zentralisierung der politischen Herrschaft in der bis dato nur nominell bestehenden Föderation. Ausschlaggebend hierfür war einerseits das Erfordernis, nach dem Bruch mit der Sowjetunion den eigenen Weg Jugoslawiens ideologisch zu rechtfertigen, wofür das Projekt des "Sozialismus der Selbstverwaltung" diente. Diese Scheindemokratisierung sollte gleichzeitig die Legitimität des Regimes sichern. Andererseits galt es den Eindruck eines serbisch dominierten Jugoslawien zu vermeiden, weshalb die Republiken 1974 zu selbständigen und nicht majorisierbaren Trägern der gesamtstaatlichen Willensbildung aufgewertet wurden. Den Republiken und autonomen Provinzen wurden im Zuge dieser Reformen weitgehende ökonomische und politische Entscheidungsbefugnisse zugestanden. Die Dezentralisierung umfaßte Bereiche wie die Territorialverteidigung, die polizeilichen Sicherheitskräfte, die Medien, die Ökonomie und nichtzuletzt auch die KP selbst.
Die administrative Devolution führte auf der gliedstaatlichen Ebene zur Ausbildung bürokratischer Strukturen, die bald ein eigenes Schwergewicht entwickelten, indem sie materielle und idelle Interessen generierten, die an der Erhaltung des protostaatlichen Institutionengefüges orientiert waren. Mit dem ins Leben gerufenen System der Arbeiterselbstverwaltung und dem zu seiner Organisation nötigen Verwaltungsapparat bildeten sich in den lokalen Kontexten korporatistische Arrangements heraus, bei denen die Bürokratie der industriellen Arbeiterschaft den Bestand von Arbeitsverhältnissen, Mindestlöhne und diverse materielle Privilegien im Austausch gegen politische Unterstütztung garantierte. Diese informellen Verteilungskoalitionen, die auch an traditionelle Loyalitätsbeziehungen auf der Grundlage erweiterter Familien und lokaler Herkunft anknüpfen konnten, dienten der KP in den Republiken der Sicherung ihrer regionalen Machtbasis und ihrer Appropriationschancen.
Mit den Dezentralisierungsmaßnahmen wurde jedoch eine hochgradig segmentierte und unproduktive Ökonomie geschaffen, die sich auf dem Weltmarkt immer weniger als wettbewerbsfähig erwies und seit Ende der 60er Jahre unter Reperipherisierungsdruck geriet. Die korporatistischen Koalitionen in den einzelnen Republiken nahmen im Zuge dieser Entwicklungen die Rolle protektionistischer Enklaven an, deren Funktion die Erhaltung bestehender Privilegien wurde. Diese Strukturen war nicht geeignet eine durch den Ausbau von Hochschulinstitutionen und politische Reformen mobilisierte Intelligenz zu integrieren, deren Beschäftigungsperspektiven sich durch die ökonomische Entwicklung seit Mitte der 70er Jahre zunehmend verschlechtert hatten. Als Reaktion auf die sich abzeichnende weltwirtschaftliche Marginalisierung Jugoslawiens verfolgten die Entscheidungsträger in den Republiken eine Reform des Erziehungssystems, die auf eine drastische Reduzierung akademischer Ausbildungen zugunsten frühzeitiger Spezialisierung in industriellen Fachberufen abzielte. Die Blockierung des Erziehungssystems als Mittel intergenerationeller sozialer Mobilität und Ort kritischer und reformwilliger Eliten sollte gleichzeitig die Kontrolle über die Tendenzen zur Formierung einer bürgerlichen Gesellschaftsbewegung wiederherstellen.
Zu Beginn der 80er Jahre wurde in der von transnationalem Kapital abhängigen jugoslawischen Ökonomie eine Verschuldungskrise offensichtlich, die die internationalen Kreditgeber zur Forderung einschneidener Reformen veranlaßte. Das unter der Regie des Internationalen Währungs-fonds eingeleitete Programm der makroökonomischen Stabilisierung und Liberalisierung erwies sich aber in seinen beschäftigungspolitischen und sozialen Konsequenzen als fatal. Die Reduzierung des öffentlichen Sektors, das Einfrieren von Löhnen und Gehältern bei steigenden Preisen und zunehmender Inflation führte zu einer allgemeinen Verschlechterung des Lebensstandards und hoher Arbeitslosigkeit, von der vor allem jugendliche Bevölkerungsruppen und die urbaniserte Mittelschicht betroffen war. Gegen Ende der 80er Jahre führten diese Entwicklungen zu sozialen Unruhen, bei der sich antikommunistische Proteste und Forderungen der Nichtintegrierten nach bürgerlichen Reformen mit nationalistischen Strömungen verbanden.
Die Idee der Nation auf gliedstaatlicher Ebene wurde einerseits im Zusammenhang mit der Vorstellung propagiert, daß ein geeintes Volk als Souverän der Bildung demokratischer Institutionen vorangehen müsse. Andererseits vollzog die Artikulation nationaler Abgrenzungsmerkmale, die an unterschiedliche historische Entwicklungen der südslawischen Ethnien anknüpfen konnte, den Prozeß der zunehmenden Konföderalisierung und territorialen Fragmentierung Jugoslawiens nach, in deren Folge die gliedstaatlichen Einheiten immer mehr zum Zentrum des politischen Lebens geworden waren. Hatte sich der Ausbau der Infrastruktur und des Handels in erster Linie innerhalb und nicht zwischen den Republiken vollzogen, so zeichnete sich auch eine Entwicklung zu getrennten Öffentlichkeiten ab, in denen überregionalen Entwicklungen wenig Beachtung geschenkt wurde. Nationale Auto- und Heterostereotype, die zum Ende der 80er Jahre vor allem in Serbien in die Interpretation der politischen und ökonomischen Krise der Föderation hineinflossen, wurden von der dortigen Nomenklatura gezielt aufgegriffen. Während Slowenien und wenig später auch Kroatien zunächst in einer nichtnationalistischen Sprache die Reformierbarkeit des jugoslawischen Systems in Frage stellten und einen Übergang zu Pluralismus und Marktwirtschaft nach westeuropäischem Muster befürworteten, sah die serbische Führung um Miloševic die Krise im Machtverlust des Zentrums begründet und machte sich für das Modell einer serbisch-national geprägten Erneuerung stark. Das ungleichzeitige Anknüpfen der Republiken an nationale Denkkategorien kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Nationalismus für die Nomenklatura in allen Gliedstaaten eine willkommene Gelegenheit war, denn er stellte den "nationalen Konsens" zwischen der breiten Bevölkerung, den aufkommenden Demokratisierungseliten und der Nomenkaltura sicher. Letztere konnte sich auf diese Weise auch in der neuen politischen Institutionenordnung reproduzieren.
Die Interpretation des innerjugoslawischen Konflikts und die Diskussion der Möglichkeiten seiner Bewältigung vollzog sich zunehmend auf der Grundlage nationaler Selbst- und Fremdzuschreibungen, die schließlich konstitutiv für die Bestimmung von Feinbildern wurden. Von den Akteuren in den jeweiligen Gliedstaaten wurden die Ursachen des Konflikts auf den nationalen Verdrängungswettbewerb um knappe Ressourcen, auf das Hegemoniestreben einzelner Nationalitäten und die Benachteiligung ethnischer Minderheiten zurückgeführt. Diese jeweilige Deutung des Konflikts erwies sich als legitimierend für den Einsatz bewaffneter Gewalt.
Nachdem Serbien mit der Aufhebung der Autonomie seiner beiden Provinzen 1989 das Ende der auf Ausgleich bedachten jugoslawischen Nationalitätenpolitik eingeleitet und gegen Slowenien wegen angeblicher Unterstützung kosovarischer Sezessionsbestrebungen einen Wirtschaftsboykott verhängt hatte, reagierte Slowenien mit der Einstellung aller Zahlungen an die Bundeskasse. Zu Beginn des Jahres 1990 brach die jugoslawische KP an diesen Widersprüchen auseinander. Im Laufe des Jahres unternahm Slowenien verschiedene Schritte in Richtung einer staatlichen Unabhängigkeit. Als Slowenien am 25.6.1991 die Unabhängigkeit proklamierte, nahm die Jugoslawische Volksarmee (JVA), welche die letzte funktionierende Bundesinstitution darstellte und sich als Sachwalter jugoslawischer Interessen verstand, dies zum Anlaß Slowenien anzugreifen. Der Haupkonfliktpunkt war die Frage der Grenzkontrollen und die Aufstellung einer slowenischen Nationalgarde, die aus Einheiten der Territorialverteidung gebildet wurde. Ziel der Aktion war nicht die militärische Niederwerfung Sloweniens, sondern in erster Linie die Wiederherstellung der jugoslawischen Grenz- und Zolleinheit. Die Taktik der Slowenen die Kasernen der JVA in der Republik zu blockieren, erwies sich, trotz zwischenzeitlicher Zuspitzung der Auseinandersetzung durch den Einsatz der jugoslawischen Luftwaffe, als erfolgreich, um die JVA zum Rückzug zu bewegen.
Entscheidend für das schnelle Abflauen der Kämpfe dürfte der Umstand gewesen sein, daß die JVA ihrer Kommandostruktur und Rekrutenzusammensetzung nach, obgleich das Offizierskorps zu zwei Dritteln aus Serben bestand, alle jugoslawischen Nationalitäten repräsentierte, deren einheitliches Zusammenwirken in der Bundesarmee angesichts des sich abzeichnenden Zerfalls der Föderation nicht mehr vorausgesetzt werden konnte
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Die Kampfhandlungen in Slowenien wurden am 3. Juli 1991 auf Vermittlung der EG durch einen Waffenstillstand und den anschließenden Vertrag von Brioni (8. Juli) weitgehend beendet. Trotz gelegentlicher Zuspitzung der Situation - die JVA bestand anfangs weiter auf der Entwaffnung der slowenischen Nationalgarde - zogen sich die Truppen der JVA bis zum 28. Oktober 1991 endgültig aus Slowenien zurück. Mitte Januar 1992 wurde Slowenien völkerrechtlich anerkannt.
Stephan Hensell