Jugoslawien
Kriege in Jugoslawien seit 1945
Jugoslawien (Slowenien, 1991)
AKUF-Datenbanknr.: |
228 |
Kriegsdauer: |
26.06.1991 - 03.07.1991 |
Kriegstyp: |
B-2 |
Kriegsbeendigung |
durch Vermittlung der Europäischen Gemeinschaft |
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Jugoslawien |
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Slowenien |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Die Ursachen des gewaltsamen Zerfalls Jugoslawiens sind in dem Prozeß der Staatsbildung zu suchen, der insbesondere durch die Person des lebenslangen Staatspräsidenten Titos verkörpert wurde. Dem Zerfall Jugoslawiens zu Beginn der 90er Jahre war bereits eine längere Phase der schleichenden Erosion vorangegangen. Jugoslawien wurde 1945 als föderative Volksrepublik gegründet und setzte sich aus den sechs Republiken Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien und den zwei autonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo zusammen. Hatte in der Phase der Regimestabilisierung der Ausbau des Machtmonopols der Kommunistischen Partei (KP) Priorität, so führten seit den 50er Jahren von der Zentralmacht initiierte Devolutionsprozesse und diverse konstitutionelle Änderungen zu einer verstärkten De-zentralisierung der politischen Herrschaft in der bis dato nur nominell bestehenden Föderation. Ausschlaggebend hierfür war einerseits das Erfordernis, nach dem Bruch mit der Sowjetunion den eigenen Weg Jugoslawiens ideologisch zu rechtfertigen, wofür das Projekt des "Sozialismus der Selbstverwaltung" diente. Diese Scheindemokratisierung sollte gleichzeitig die Legitimität des Regimes sichern. Andererseits galt es den Eindruck eines serbisch dominierten Jugoslawien zu vermeiden, weshalb die Republiken 1974 zu selbständigen und nicht majorisierbaren Trägern der gesamtstaatlichen Willensbildung aufgewertet wurden. Den Republiken und autonomen Provinzen wurden im Zuge dieser Reformen weitgehende ökonomische und politische Entscheidungsbefugnisse zugestanden. Die Dezentralisierung umfaßte Bereiche wie die Territorialverteidigung, die polizeilichen Sicherheitskräfte, die Medien, die Ökonomie und nichtzuletzt auch die KP selbst.
Die administrative Devolution führte auf der gliedstaatlichen Ebene zur Ausbildung bürokratischer Strukturen, die bald ein eigenes Schwergewicht entwickelten, indem sie materielle und idelle Interessen generierten, die an der Erhaltung des protostaatlichen Institutionengefüges orientiert waren. Mit dem ins Leben gerufenen System der Arbeiterselbstverwaltung und dem zu seiner Organisation nötigen Verwaltungsapparat bildeten sich in den lokalen Kontexten korporatistische Arrangements heraus, bei denen die Bürokratie der industriellen Arbeiterschaft den Bestand von Arbeitsverhältnissen, Mindestlöhne und diverse materielle Privilegien im Austausch gegen politische Unterstütztung garantierte. Diese informellen Verteilungskoalitionen, die auch an traditionelle Loyalitätsbeziehungen auf der Grundlage erweiterter Familien und lokaler Herkunft anknüpfen konnten, dienten der KP in den Republiken der Sicherung ihrer regionalen Machtbasis und ihrer Appropriationschancen.
Mit den Dezentralisierungsmaßnahmen wurde jedoch eine hochgradig segmentierte und unproduktive Ökonomie geschaffen, die sich auf dem Weltmarkt immer weniger als wettbewerbsfähig erwies und seit Ende der 60er Jahre unter Reperipherisierungsdruck geriet. Die korporatistischen Koalitionen in den einzelnen Republiken nahmen im Zuge dieser Entwicklungen die Rolle protektionistischer Enklaven an, deren Funktion die Erhaltung bestehender Privilegien wurde. Diese Strukturen war nicht geeignet eine durch den Ausbau von Hochschulinstitutionen und politische Reformen mobilisierte Intelligenz zu integrieren, deren Beschäftigungsperspektiven sich durch die ökonomische Entwicklung seit Mitte der 70er Jahre zunehmend verschlechtert hatten. Als Reaktion auf die sich abzeichnende weltwirtschaftliche Marginalisierung Jugoslawiens verfolgten die Entscheidungsträger in den Republiken eine Reform des Erziehungssystems, die auf eine drastische Reduzierung akademischer Ausbildungen zugunsten frühzeitiger Spezialisierung in industriellen Fachberufen abzielte. Die Blockierung des Erziehungssystems als Mittel intergenerationeller sozialer Mobilität und Ort kritischer und reformwilliger Eliten sollte gleichzeitig die Kontrolle über die Tendenzen zur Formierung einer bürgerlichen Gesellschaftsbewegung wiederherstellen.
Zu Beginn der 80er Jahre wurde in der von transnationalem Kapital abhängigen jugoslawischen Ökonomie eine Verschuldungskrise offensichtlich, die die internationalen Kreditgeber zur Forderung einschneidener Reformen veranlaßte. Das unter der Regie des Internationalen Währungs-fonds eingeleitete Programm der makroökonomischen Stabilisierung und Liberalisierung erwies sich aber in seinen beschäftigungspolitischen und sozialen Konsequenzen als fatal. Die Reduzierung des öffentlichen Sektors, das Einfrieren von Löhnen und Gehältern bei steigenden Preisen und zunehmender Inflation führte zu einer allgemeinen Verschlechterung des Lebensstandards und hoher Arbeitslosigkeit, von der vor allem jugendliche Bevölkerungsruppen und die urbaniserte Mittelschicht betroffen war. Gegen Ende der 80er Jahre führten diese Entwicklungen zu sozialen Unruhen, bei der sich antikommunistische Proteste und Forderungen der Nichtintegrierten nach bürgerlichen Reformen mit nationalistischen Strömungen verbanden.
Die Idee der Nation auf gliedstaatlicher Ebene wurde einerseits im Zusammenhang mit der Vorstellung propagiert, daß ein geeintes Volk als Souverän der Bildung demokratischer Institutionen vorangehen müsse. Andererseits vollzog die Artikulation nationaler Abgrenzungsmerkmale, die an unterschiedliche historische Entwicklungen der südslawischen Ethnien anknüpfen konnte, den Prozeß der zunehmenden Konföderalisierung und territorialen Fragmentierung Jugoslawiens nach, in deren Folge die gliedstaatlichen Einheiten immer mehr zum Zentrum des politischen Lebens geworden waren. Hatte sich der Ausbau der Infrastruktur und des Handels in erster Linie innerhalb und nicht zwischen den Republiken vollzogen, so zeichnete sich auch eine Entwicklung zu getrennten Öffentlichkeiten ab, in denen überregionalen Entwicklungen wenig Beachtung geschenkt wurde. Nationale Auto- und Heterostereotype, die zum Ende der 80er Jahre vor allem in Serbien in die Interpretation der politischen und ökonomischen Krise der Föderation hineinflossen, wurden von der dortigen Nomenklatura gezielt aufgegriffen. Während Slowenien und wenig später auch Kroatien zunächst in einer nichtnationalistischen Sprache die Reformierbarkeit des jugoslawischen Systems in Frage stellten und einen Übergang zu Pluralismus und Marktwirtschaft nach westeuropäischem Muster befürworteten, sah die serbische Führung um Miloševic die Krise im Machtverlust des Zentrums begründet und machte sich für das Modell einer serbisch-national geprägten Erneuerung stark. Das ungleichzeitige Anknüpfen der Republiken an nationale Denkkategorien kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Nationalismus für die Nomenklatura in allen Gliedstaaten eine willkommene Gelegenheit war, denn er stellte den "nationalen Konsens" zwischen der breiten Bevölkerung, den aufkommenden Demokratisierungseliten und der Nomenkaltura sicher. Letztere konnte sich auf diese Weise auch in der neuen politischen Institutionenordnung reproduzieren.
Die Interpretation des innerjugoslawischen Konflikts und die Diskussion der Möglichkeiten seiner Bewältigung vollzog sich zunehmend auf der Grundlage nationaler Selbst- und Fremdzuschreibungen, die schließlich konstitutiv für die Bestimmung von Feinbildern wurden. Von den Akteuren in den jeweiligen Gliedstaaten wurden die Ursachen des Konflikts auf den nationalen Verdrängungswettbewerb um knappe Ressourcen, auf das Hegemoniestreben einzelner Nationalitäten und die Benachteiligung ethnischer Minderheiten zurückgeführt. Diese jeweilige Deutung des Konflikts erwies sich als legitimierend für den Einsatz bewaffneter Gewalt.
Nachdem Serbien mit der Aufhebung der Autonomie seiner beiden Provinzen 1989 das Ende der auf Ausgleich bedachten jugoslawischen Nationalitätenpolitik eingeleitet und gegen Slowenien wegen angeblicher Unterstützung kosovarischer Sezessionsbestrebungen einen Wirtschaftsboykott verhängt hatte, reagierte Slowenien mit der Einstellung aller Zahlungen an die Bundeskasse. Zu Beginn des Jahres 1990 brach die jugoslawische KP an diesen Widersprüchen auseinander. Im Laufe des Jahres unternahm Slowenien verschiedene Schritte in Richtung einer staatlichen Unabhängigkeit. Als Slowenien am 25.6.1991 die Unabhängigkeit proklamierte, nahm die Jugoslawische Volksarmee (JVA), welche die letzte funktionierende Bundesinstitution darstellte und sich als Sachwalter jugoslawischer Interessen verstand, dies zum Anlaß Slowenien anzugreifen. Der Haupkonfliktpunkt war die Frage der Grenzkontrollen und die Aufstellung einer slowenischen Nationalgarde, die aus Einheiten der Territorialverteidung gebildet wurde. Ziel der Aktion war nicht die militärische Niederwerfung Sloweniens, sondern in erster Linie die Wiederherstellung der jugoslawischen Grenz- und Zolleinheit. Die Taktik der Slowenen die Kasernen der JVA in der Republik zu blockieren, erwies sich, trotz zwischenzeitlicher Zuspitzung der Auseinandersetzung durch den Einsatz der jugoslawischen Luftwaffe, als erfolgreich, um die JVA zum Rückzug zu bewegen.
Entscheidend für das schnelle Abflauen der Kämpfe dürfte der Umstand gewesen sein, daß die JVA ihrer Kommandostruktur und Rekrutenzusammensetzung nach, obgleich das Offizierskorps zu zwei Dritteln aus Serben bestand, alle jugoslawischen Nationalitäten repräsentierte, deren einheitliches Zusammenwirken in der Bundesarmee angesichts des sich abzeichnenden Zerfalls der Föderation nicht mehr vorausgesetzt werden konnte
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Die Kampfhandlungen in Slowenien wurden am 3. Juli 1991 auf Vermittlung der EG durch einen Waffenstillstand und den anschließenden Vertrag von Brioni (8. Juli) weitgehend beendet. Trotz gelegentlicher Zuspitzung der Situation - die JVA bestand anfangs weiter auf der Entwaffnung der slowenischen Nationalgarde - zogen sich die Truppen der JVA bis zum 28. Oktober 1991 endgültig aus Slowenien zurück. Mitte Januar 1992 wurde Slowenien völkerrechtlich anerkannt.
Stephan Hensell
Kroatien (Serben, 1991 - 1995)
AKUF-Datenbanknr.: |
200 |
Kriegsdauer: |
7/1991 - 13.11.1995 |
Kriegstyp: |
B-2 |
Kriegsbeendigung |
durch Vermittlung der USA |
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Kriegführende |
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Serbische Milizen und Tschetniks¹ |
Seite B |
Kroatische Milizen und kroatische Nationalgarde² |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
In Kroatien kam es seit März 1991 immer wieder zu Zusammenstößen zwischen der kroatischen Polizei, der im April des selben Jahres aus Polizeireservisten aufgestellten Nationalgarde (HV) und autonomen Freischärlerverbänden auf der einen und Milizen der serbischen Minderheit in Kroatien, serbischen Freiwilligen und Tschetniks aus Bosnien und Serbien sowie der JVA, welche die Aufstellung einer republikseigenen kroatischen Armee zu verhindern suchte, auf der anderen Seite. Mitte Juli 1991 eskalierten die Zwischenfälle zum offenen Krieg, der vor allem um das mehrheitlich von Serben bewohnte Gebiet der Krajina geführt wurde, von dem aber auch die größeren kroatischen Städte sowie Slawonien und West-Dalmatien nicht verschont blieben. In den letzteren Gebieten stellten die Serben nur eine Minderheit. Ziel Serbiens war es, die Kontrolle über ein zusammenhängendes Territorium zu bekommen, um so den Anschluß der serbisch besiedelten Gebiete an die "Bundesrepublik Jugoslawien" (Restjugoslawien) zu vollziehen, die im April 1992 von Serbien und Montenegro gegründet worden war. Kroaten und Serben betrieben bei diesem Krieg eine Politik der "ethnischen Säuberung", bei der auf beiden Seiten die jeweils andere Volksgruppe aus den eroberten Gebieten vertrieben wurde. Die JVA mischte sich zunächst nicht direkt in die Kämpfe ein, sie unterstützte aber die serbischen Freischerlerverbände. Als sich Kroatien zur Blockade der Kasernen der JVA auf ihrem Territorium entschloß, nahm dies die Armee zum Anlaß offen als kriegführende Partei in Erscheinung zu treten. Daraufhin beteiligte sie sich an dem Beschuß kroatischer Städte wie Vukovar und Dubrovnik und übernahm die Blockade kroatischer Adriahäfen.
Im November 1991 trat eine weitgehende militärische Waffenruhe ein, die allerdings nicht das Ergebnis des von den UN und der EG verhängten Waffenembargos und der Wirtschaftssanktionen war. Vielmehr hatten die serbischen Verbände fast überall rein kroatische Gebiete erreicht, wo die Angreifer nicht mehr mit lokaler Unterstützung rechnen konnten. Ferner hatte die kroatische Armee, die am 26.9.1991 aus der Polizei und der Nationalgarde gebildet wurde, ihre Verteidigungslinien konsolidiert. Nichtzuletzt befand sich die JVA in einer Umbruchphase, da sie im Begriff war von einer jugoslawischen zu einer rein serbisch dominierten Armee zu werden, nachdem das Personal der anderen Republiken aus der Bundesarmee zurückberufen oder entlassen wurde. Somit stand die JVA anfangs vor dem Problem verstärkt serbische Reservisten mobilisieren zu müssen.
Am 2.1.1992 wurde der Cyrus Vance-Friedensplan unterzeichnet, der die Stationierung von UN-Truppen (United Nations Protection Forces; UNPROFOR)³ ermöglichte. Der Auftrag der 14.000 Mann starken Truppe bestand u.a. in der Einrichtung von Schutzzonen, der Auflösung lokaler Milizen, der Überwachung des Rückzugs der JVA und der HV aus den umkämpften Gebieten sowie die Organisation der Rückkehr der vertriebenen Bevölkerung. Nachdem Kroatien Mitte Januar 1992 völkerrechtlich anerkannt wurde, flauten die Kämpfe ab. Ende Januar 1993, kurz vor Ablauf des UN-Mandats, begannen sie jedoch von neuem. Kroatien startete eine Offensive in die serbisch besetzten Gebiete der Krajina, mit dem Ziel das strategisch wichtige Hinterland von Zadar zurückzuerobern. Serbische Einheitein brachten daraufhin ihre unter UN-Kontrolle stehenden Waffen wieder in ihre Gewalt. Anfang Februar weiteten sich die Kämpfe auch auf das Hinterland von Split aus, wobei jedoch keine Seite entscheidende militärische und strategische Vorteile erzielen konnte. Im März 1994 wurde ein erneuter Waffenstillstand zwischen den Krajina-Serben und Kroatien vereinbart, der sich aber wieder als brüchig erwies.
Nachdem Kroatien im Januar 1995 zunächst beschlossen hatte das UN-Mandat nicht zu verlängern und dann schließlich dem Verbleib einer auf 5.000 Mann verkleinerten Schutztruppe zustimmte, eskalierten die Kämpfe erneut. Anfang Mai des Jahres rückten kroatische Truppen in das seit 1991 von Serben besetzte West-Slawonien ein. Die Serben beschossen daraufhin die kroatische Hauptstadt Zagreb mit Raketen, jedoch konnten sie die Offensive nicht aufhalten. Innerhalb weniger Tage hatten die kroatischen Truppen wichtige Verkehrswege und Städte unter ihre Kontrolle gebracht. Bereits im Juni hatten kroatische Verbände darüber hinaus von bosnischem Territorium aus Knin, die Hauptstadt der Krajina-Serben, angegriffen. Anfang August erfolgte auf mehreren Fronten auch hier eine kroatische Offensive, wobei es den angreifenden Truppen binnen drei Tagen gelang, das ganze Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Als unmittelbare Folge dieser Eroberung ergoß sich ein Flüchtlingsstrom von 120.000 Serben in Richtung Bosnien-Herzegowina und Serbien.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Der Krieg zwischen Serbien und Kroatien fand 1995 ein vertraglich vereinbartes Ende. Der im November in Dayton (USA) paraphierte und am 14.12 in Paris von dem Präsidenten Kroatiens, Bosnien-Herzegowinas und Serbiens unterzeichnete Friedensvertrag von Dayton sah neben den Vereinbarungen für Bosnien-Herzegowina auch die Beendigung des serbisch-kroatischen Konflikts vor. Dem Abschlußdokument war unter starkem amerikanischem Vermittlungsdruck am 12.11.1995 ein Abkommen zwischen der Serbenführung in Ostslawonien und der kroatischen Regierung vorangegangen, das die Wiedereingliederung Ostslawoniens in das kroatische Staatsgebiet vorsah. Die Demilitarisierung des Gebietes und die Rückkehr der Flüchtlinge sollte für die Dauer eines Jahres von einer eigens aufgestellten Implemetation Force (IFOR) der NATO im Auftrag der UN, jedoch in eigener Führungsverantwortung, geleistet werden.
Von 1991 bis 1995 befand sich ein Drittel des kroatischen Territoriums außerhalb staatlicher Kontrolle und wurde entweder durch die UN oder die Serben kontrolliert. Die Territorialgewinne der Serben gingen jedoch 1995 wieder verloren. 40% der Industriekapazität Kroatiens und 38% der Straßenverbindungen sind durch den Krieg zerstört worden. Opferzahlen, die sich ausschließlich auf den serbisch-kroatischen Konflikt beziehen, liegen nicht vor. Insgesamt sollen 200.000 Menschen durch die Kriege im zerfallenden Jugoslawien ihr Leben verloren haben und 2,7 Millionen Menschen innerhalb des Landes vertrieben worden sein. Rund 3,8 Millionen Menschen sollen vor dem Krieg aus Kroatien und Bosnien geflohen sein.
ANMERKUNGEN
[1] Tschetniks: Irreguläre Verbände, die sich in der Tradition der Partisanen des Zweiten Weltkriegs sehen.
[2] Kroatische Nationalgarde: Ursprünglich 1974 als Polizeitruppe aufgebaut; während des Krieges in Slowenien wurden die sich in Kroatien neu bildenden Parteiarmeen in die Nationalgarde integriert.
[3] An der 13.870 Personen starken UNPROFOR beteiligten sich 31 Staaten: Ägypten, Argentinien, Australien, Bangladesch, Belgien, Brasilien, Kanada, Kolumbien, CSFR, Dänemark, Finnland, Frankreich, Ghana, Großbritannien, Irland, Kenia, Luxemburg, Malta, Nepal, Niederlande, Neuseeland, Nigeria, Norwegen, Pakistan, Polen, Portugal, Rußland, Singapur, Schweden, Schweiz und Venezuela.
Stephan Hensell
Bosnien-Herzegowina (1992 - 1995)
AKUF-Datenbanknr.: |
211 |
Kriegsdauer: |
3/1992 - 14.12.1995 |
Kriegstyp: |
B-1 |
Kriegsbeendigung |
durch Vermittlung der USA |
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Kriegführende |
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Seite A |
Serbische Milizen und Tschetniks |
Seite B |
Bosnische Muslime/Republik Bosnien-Herzegowina |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Ende 1991 begann sich auch in der Republik Bosnien-Herzegowina die Situation krisenhaft zuzuspitzen. Die Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas weist von allen ehemaligen jugoslawischen Republiken nicht nur die größte Nationalitätenvielfalt auf, sondern auch die größte Vermischung der Volksgruppen in den meisten Landesteilen. Ca. 43% der Bevölkerung sind Moslems, die als eigene Nationalität gelten, 31% sind Serben und 17% Kroaten. Schon früh meldeten sowohl Serben als auch Kroaten Anspruch auf weite Teile Bosnien-Herzegowinas an. Nachdem sich das bosnische Parlament am 15.10.1991 mit der Mehrheit der moslemischen und kroatischen Abgeordneten für die Unabhängigkeit der Republik aussprach, riefen die Serben, die zuvor eine Konföderation der drei Völker innerhalb eines föderalistischen Jugoslawiens befürwortet hatten, im Januar 1992 die "Republik des serbischen Volkes in Bosnien-Herzegowina" aus. Derweil endete ein von der EG als Bedingung der Anerkennung Bosnien-Herzegowinas gefordertes und von den Serben boykottiertes Referendum am 1.3.1992 mit einer Mehrheitsentscheidung für die Unabhängigkeit. Die Diskussion zwischen den drei Volksgruppen über mögliche Verfassungsmodelle brachte keine Lösung des Konflikts, der daraufhin im Verlauf des Monats eskalierte.
Zu Beginn kämpften auf der serbischen Seite Freischärlerverbände, die sich Mitte Mai zur "Armee der serbischen Republik Bosnien-Herzegowina" zusammenschlossen. Auf der Gegenseite kämpften muslimische und kroatische Truppen. Erstere setzten sich aus Freischerlerverbänden, aus Polizeireservisten sowie der ehemaligen bosnischen Territorialverteidigung zusammen. Diese Einheiten wurden im Sommer 1992 zur bosnischen Regierungsarmee zusammengefaßt. Die kroatischen Verbände fanden sich im Kroatischen Verteidigungsrat (HVO) zusammen, der als ein verlängerter Arm der Kroatischen Armee agierte und seine Befehle aus Zagreb erhielt. Das militärische Kräftegleichgewicht verschob sich im Verlauf der Kampfhandlungen relativ schnell zugunsten der Serben. Der Grund dafür war die schon in Kroatien bewährte Zusammenarbeit mit der JVA. Die JVA, die in Bosnien mit etwa 100.000 Mann stationiert war, übernahm die Kontrolle über die meisten Depots der Territorialverteidigung, über die Militärbasen und die schweren Waffen, die aus strategischen Gründen unter der kommunistischen Herrschaft in Bosnien konzentriert worden waren. Vier Fünftel der jugoslawischen Rüstungsbetriebe lagen in Bosnien. Bei dem Rückzug der JVA aus Bosnien im Mai 1992 wurden diese Bestände größtenteils zurückgelassen und den Serben übergeben. Teile der JVA gingen auch in der serbischen Armee auf.
Serbische Attacken führten sehr schnell dazu, daß die Serben weite Teile Bosnien-Herzegowinas kontrollierten, darunter besonders Gebiete mit serbischer Majorität, so die Banja-Luka-Region im Norden und Ostherzegowina im Süden der Republik. Im Norden war es für die Serben wichtig im Raum Brcko einen Korridor zu sichern, der die ostserbischen Gebiete mit Serbien selbst verband. Versuche der Serben in der West-Herzegowina ebenfalls einen Korridor zur Adria zu erstreiten, scheiterten jedoch am massiven kroatischen Widerstand. Anfang Juni 1992 kontrollierten die Serben 60% des bosnischen Territoriums. Den Erfolgen der Serben stand die unbeständige Allianz zwischen Kroaten und Moslems gegenüber. Obgleich im Mai 1992 ein vorübergehendes Abkommen zur Gründung einer kroatisch-bosnischen Föderation abgeschlossen wurde, das in den Folgemonaten um militärische Kooperationsabkommen erweitert wurde, fanden seit Oktober zunehmend Kämpfe zwischen den formal Verbündeten statt. Dabei wurde vor allem Mostar umkämpft, das von den Kroaten zur Hauptstadt der proklamierten autonomen Region "Herceg-Bosna" erklärt wurde. Ziel der Kriegsparteien war es so viel Land wie möglich zu erobern, um auf den seit September parallel laufenden Genfer Friedensverhandlungen eine günstigere Verhandlungsposition für spätere Gebietsaufteilungen zu erzielen.
Diverse Sanktionsmaßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft, wie das von den UN verhängte Wirtschafts- und Erdölembargo gegen Restjugoslawien und die Verhängung einer Flugverbotszone über Bosnien-Herzegowina, die Wirtschaftssanktionen der EU sowie die Durchführung einer Seeblockade durch NATO und WEU konnten den Konflikt nicht eindämmen. Am 8.6.1992 beschloß die UN die Entsendung von Truppen in Höhe von 1100 Mann zur Kontrolle des Flugplatzes in der von Serben belagerten Hauptstadt Sarajevo, zwecks Ermöglichung humanitärer Hilfsflüge. Drei Monate später wurde diese Truppe auf 6.000 Mann aufgestockt.
Während es den muslimischen Truppen im Laufe des Frühlings und Sommers 1993 gelang in südwestlicher Richtung nach Zentralbosnien in kroatisches Gebiet vorzustoßen, begannen die Serben im Winter und Frühling des Jahres eine Offensive gegen muslimische Enklaven in Ostbosnien. Die Erklärung dieser Enklaven zu Schutzzonen der UN konnte eine Belagerung der betroffenen Städte und schwere Vergehen gegen die Zivilbevölkerung nach ihrer Einnahme nicht verhindern. Alle Kriegsparteien betrieben eine Politik der ethnischen Säuberung, bei der auf beiden Seiten die jeweils andere Volksgruppe aus den eroberten Gebieten vertrieben oder einem Apartheidregime unterworfen wurde. Massenhinrichtungen und -vergewaltigungen und der Betrieb von "Konzentrationslagern" stehen für die extreme Brutalität, mit der die Kriegsparteien dabei vorgingen.
Das Jahr 1993 war von mehreren gescheiterten Friedensplänen und zahllosen eingegangenen und kurz darauf wieder gebrochenen Waffenstillständen gekennzeichnet. Dabei wurden die militärischen Fronten durch das Aufkommen lokaler warlords, die ohne Bindung an eine übergeordnete Führung agierten und kleinere befreite Gebiete zu politisch autonomen Regionen erklärten, zunehmend verworrener. Im Jahr 1994 kam Bewegung in die festgefahrene Lage. Unter Regie der USA wurde am 18.3.1994 zwischen Kroaten und Moslems das "Washington-Abkommen" über die Bildung einer bereits vor zwei Jahren vereinbarten aber nicht umgesetzten muslimisch-kroatischen Föderation in Bosnien-Herzegowina unterzeichnet. Mit dem Abkommen wurde auch das Ende der Kampfhandlungen zwischen den beiden Parteien vereinbart.
Im zweiten Halbjahr 1994 konzentrierte sich das Kampfgeschehen auf die Bihac-Enklave im äu-ßersten Nordwesten Bosnien-Herzegowinas. Hier hatte im nördlichen Teil ein abtrünniger muslimischer warlord eine eigene Republik ausgerufen, während der südliche Teil der Enklave von muslimischen Regierungstruppen gehalten wurde. Nach einer erfolgreichen Offensive der Regierungsarmee und der Zurückdrängung der gegnerischen Verbände auf das Gebiet der Krajina-Serben, gelang es den muslimischen Regierungstruppen auch den serbischen Belagerungsring um Bihac zu durchbrechen und die Serben auf einem großen Gebiet Richtung Bosanska Krupa zurückzudrängen. Der bald darauf erfolgende Gegenangriff der serbischen Einheiten ging auch von den in Kroatien besetzten Gebieten aus, er konnte jedoch die Gebietsverluste nicht vollständig rückgängig machen.
Im Sommer des folgenden Jahres entschloß sich die internationale Staatengemeinschaft zu einem aktiveren Eingreifen in den Konflikt. Nachdem die Serben im Juli 1995 die UN-Schutzzonen Srebrenica und Zepa erobert hatten und auch Sarajevo wieder unter Beschuß stand, trotz einem dort zuvor erreichten Rückzug der Serben, nahm die NATO im Auftrag der UN erstmals massive Bombardements serbischer Stellungen auf. Dabei wurden über 3.000 Lufteinsätze auf strategische Ziele in ganz Bosnien geflogen. Ferner wurde der Einsatz einer 10.000 Mann starken "schnellen Eingreiftruppe" beschlossen, die einen effektiven Schutz der UN-Truppen und ihres Einsatzes ermöglichen sollte.
Mitte September eröffnete die mittlerweile schlagkräftigere bosnische Regierungsarmee und die mit ihr verbündeten Kroaten eine großangelegte Offensive, in deren Verlauf sie weite Gebiete ein Nordwest- und Zentralbosnien eroberten und Geländegewinne von über 4.000 Quadratkilometern erzielten. Die von den Serben bislang gehaltene lange Frontlinie in Bosnien brach daraufhin zusammen. Unter amerikanischer Regie wurde schließlich ein Waffenstillstand ausgehandelt, der am 12.10.1995 in Kraft trat.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Der Konflikt fand eine vertraglich vereinbare Lösung mit dem Friedensvertrag von Dayton, der am 14.12.1995 von Serben, Kroaten und Muslimen unterzeichnet wurde. Bosnien-Herzegowina blieb nach dem Dayton-Abkommen als souveräner Staat bestehen, sollte sich aber fortan aus den zwei Einheiten der "Muslimisch-Kroatischen Föderation Bosnien-Herzegowina" und der "Serbischen Republik in Bosnien" zusammensetzen. Eine 60.000 Mann starke NATO-Truppe wurde im Auftrag der UN als Implementation Force (IFOR) zur Wahrnehmung friedensbewahrender Aufgaben eingesetzt.
Im Ergebnis konnte weder die serbische noch die kroatische Seite ihre großnationalen Pläne verwirklichen. Die Vertreibungen und die Migration zahlreicher Flüchtlinge haben jedoch zur Verschiebung der ethnischen Balance und zur Aufteilung Bosniens in mehr oder minder ethnisch homogene Gebiete geführt, die nachträglich durch das Dayton-Abkommen bestätigt wurden. Für den Bosnienkrieg liegen bezüglich der Opferzahlen keine glaubwürdigen Einzelerhebungen vor. Insgesamt sollen 200.000 Menschen durch die Kriege im zerfallenden Jugoslawien ihr Leben verloren haben. Rund 2,7 Millionen Menschen sollen innerhalb des Landes vertrieben worden sein und 3,8 Millionen sollen vor dem Krieg aus Kroatien und Bosnien geflohen sein.
Stephan Hensell
Jugoslawien (Kosovo, UCK, 1998 - 1999)
AKUF-Datenbanknr.: |
216 |
Kriegsdauer: |
3/1998 - 11.06.1999 |
Kriegstyp: |
B-2/BC-2 |
Kriegsbeendigung |
durch Vermittlung Dritter |
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Kriegführende |
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Seite A |
Ushtria Çlirimtare e Kosovës (UÇK) |
Seite B |
Jugoslawien |
Intervention zugunsten A: |
NATO |
KONFLIKTGEGENSTAND UND ZIELE
Der bewaffnete Konfliktaustrag zwischen der albanischen Guerillabewegung "Ushtria Çlirimtare e Kosovës" (UÇK, Befreiungsarmee Kosovo) und serbischen Polizei- und Militäreinheiten im Kosovo, der 1998 die Kriegsschwelle überschritten hatte, stand seit März 1999 ganz im Zeichen der NATO-Intervention. Damit wurde der ursprünglich innerstaatliche Sezessionskrieg um eine zwischenstaatliche Dimension erweitert. Der elfwöchige Luftkrieg der NATO gegen Ziele im Kosovo und in Serbien endete mit dem Abzug der serbischen Sicherheitskräfte aus dem Kosovo und der Errichtung eines Protektorats in der südserbischen Provinz unter Aufsicht der UN im Juni 1999.
Ursächlich geht der Konflikt zwischen Serben und Kosovo-Albanern, der im wesentlichen entlang ethnischer Grenzziehungen ausgetragen wurde, auf eine seit Ende der achtziger Jahre verfolgte serbische Diskriminierungspolitik gegenüber den Kosovo-Albanern zurück. Nach einer Volkszählung von 1991 zählte das zu Jugoslawien gehörende Kosovo 1,7 Millionen Einwohner, von denen 90 Prozent als Kosovo-Albaner eingeordnet wurden. Die verbleibenden 10 Prozent setzten sich aus Serben, Montenegrinern und anderen nationalen Zuordnungen zusammen. Bis zum Zusammenbruch des osteuropäischen Sozialismus hatte die Region Kosovo einen Autonomiestatus inne, welcher der Existenz einer gemeinsamen Identität unter der kosovoalbanischen Bevölkerung Rechnung trug. Im Zuge der Machtkonsolidierung des von Slobodan Milošević beherrschten Regierungssystems wurde dieser 1989/90 faktisch aufgehoben und die staatliche Diskriminierung der als Kosovo-Albaner betrachteten Bevölkerungsgruppen stetig verschärft, in bestimmten Gesellschaftsbereichen geradezu in der Form eines Apartheitssystems institutionalisiert. Beispielhaft hierfür war die Universität in Priština, der Hauptstadt der Region Kosovo, die unter serbische Verwaltung gestellt und durch die Entlassung nahezu des gesamten kosovoalbanischen Lehrpersonals sowie den Ausschluß kosovoalbanischer Studenten gezielt zu einer rein serbischen Institution gemacht wurde. In ähnlicher Weise wurden die Einrichtungen des Gesundheitssystems ausgerichtet und kosovoalbanische Beschäftigte aus nahezu allen staatlich kontrollierten Betrieben entlassen.
Die kosovoalbanischen Bevölkerungsteile der Region reagierten auf ihre Ausgrenzung mit einer schrittweisen Etablierung paralleler Staatsstrukturen. Die parallelen Bildungsinstitutionen umfaßten Grund- und Mittelschulen und führten zur Gründung einer kosovoalbanischen Universität, in der bis 1998 mehr als 1.000 Dozenten 16.000 Studenten unterrichteten. Auch im Bereich der Krankenversorgung und politischer Organisationen entstanden kosovoalbanische Institutionen. Die Errichtung gesonderter politischer Strukturen gipfelte nach einem Referendum 1992 in der Ausrufung einer Republik Kosovo, die international (außer von Albanien) zwar keine Anerkennung fand, jedoch von den kosovoalbanischen Bevölkerungsteilen als ihre Interessenvertretung angesehen wurde.
Die Entstehung der Parallelstrukturen ermöglichte insofern eine kurzfristige Stabilisierung der Lage im Kosovo, als daß durch sie die Ausgrenzung der Bevölkerungsmehrheit der Region zu keinen unmittelbaren gewalttätigen Auseinandersetzungen führte. Dies fügte sich auch in das Bestreben der damaligen politischen Führung der Opposition ein, mittels einer friedlichen Oppositionspolitik den kosovoalbanisch-serbischen Konflikt aus den Auflösungskriegen des zerfallenden Jugoslawiens herauszuhalten.
Auf der anderen Seite jedoch verfestigte sich mit der Etablierung umfassender Parallelstrukturen eine grundsätzliche Trennung von albanischen und serbischen Lebenswegen, wie sie tendenziell bereits vorher bestand. Der unmittelbare Kontakt zwischen kosovoalbanischen und serbischen Bürgern verringerte sich bis zu einem Punkt, an dem besonders die städtischen Gruppen keinerlei konsensualen Umgang mehr miteinander hatten. Zu der staatlichen Ungleichbehandlung der anhand ethnischer Zuordnungen voneinander unterschiedenen Bevölkerungsgruppen trat damit die Entstehung von zwei strikt getrennten Öffentlichkeiten, innerhalb derer sich die jeweiligen Gruppen ihrer gesellschaftlichen Konfliktlage, deren Ursachen und der Möglichkeiten ihrer Bewältigung vergewisserten. Ethnische Selbst- und Fremdzuordnungen wurden so zum integralen Bestandteil der Konfliktinterpretation der Akteursgruppen, ermöglichten eine als trennscharf erachtete Schuldzuweisung und erfüllten mit der Schaffung gemeinschaftlicher Feindbilder schließlich eine wesentliche Voraussetzung für die gewaltsame Eskalation des Konfliktes. Unmittelbaren Ausdruck fand die Entstehung zweier Öffentlichkeiten im Bewußtsein jugendlicher Gruppen und einer Studentenbewegung, die seit Oktober 1997 Träger einer sich ausweitenden Oppositionstätigkeit wurde. Anfang 1998 verschärfte sich der Konflikt und überschritt die Kriegsschwelle, als die Guerillabewegung "Ushtria Çlirimtare e Kosovës" (UÇK ) ihre gewaltsamen Aktionen mit dem Ziel einer Unabhängigkeit des Kosovo intensivierte.
Mit der durch die Intensivierung der Kampfhandlungen und der Verfolgung der kosovoalbanischen Zivilbevölkerung sprunghaft gestiegenen Zahl von Flüchtlingen nahm auch das aktive Engagement der westlichen Industrienationen in dem Konflikt zu. Die ursprünglich für die Umsetzung des Dayton-Abkommens eingerichtete Jugoslawien-Kontaktgruppe, der die USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Rußland und Italien angehören, hatte sich Ende September 1997 erstmals zum Kosovo-Problem geäußert und sich hierbei für eine vermehrte Autonomie Kosovos im jugoslawischen Staatsverband, jedoch gegen dessen staatliche Unabhängigkeit ausgesprochen. Nachdem im ersten Halbjahr 1998 von der Kontaktgruppe verschiedene Sanktionen wie das Verbot von Waffenlieferungen, das Einfrieren serbischer und jugoslawischer Auslandskonten und ein Investitionsstop beschlossen worden waren, wurde Ende Mai 1998 durch den Einbezug der NATO auch der militärische Druck zu erhöhen versucht.
Die verstärkte Einbeziehung militärischer Zwangsmittel führte bald zu einer deutlichen Verschiebungen innerhalb der Konfliktkonstellation. Zum einen wurden auf Seiten der westlichen Industrienationen die USA zum entscheidenden Akteur. In realistischer Abschätzung der geringen militärischen Möglichkeiten einer auf sich allein gestellten EU wurden Vermittlungsversuche von europäischen Institutionen und Staaten sowohl von der serbischen Regierung als auch von den kosovoalbanischen Repräsentanten nur mit Vorbehalten akzeptiert, soweit sie nicht offensichtlich von den USA unterstützt wurden. Zum anderen bedeutete die Betonung militärischer Zwangsmaßnahmen, daß die westlichen Staaten trotz aller Versicherungen, eine neutrale Vermittlungsposition einnehmen zu wollen, zum eigentlichen Kontrahenten der Milošević-Regierung wurden. Denn die UÇK war im Winter 1998 in militärischer Hinsicht geschlagen. Zudem bildeten die von der NATO angedrohten Militäraktionen, die im wesentlichen aus Luftangriffen bestehen sollten, eine Bedrohung primär für die serbischen Streitkräfte, während die Guerillaaktivitäten der UÇK hierdurch nur in sehr beschränktem Maße eingeschränkt werden konnten.
Zu Beginn des Berichtsjahres standen die bewaffneten Auseinandersetzungen im Zeichen der sogenannten "Operation Hufeisen", mit der die serbischen Truppen die kosovoalbanische Zivilbevölkerung entlang eines breiten Streifens beidseitig der Hauptverbindungsstraßen im Kosovo aus ihren Dörfern vertrieben. Diese Aktion konzentrierte sich zunächst auf die UÇK-Hochburgen in der Llap- und Shala-Region. Nachdem die UÇK im Januar vor allem im Norden des Kosovo im Raum Podujevo und Mitrovica bekämpft wurde, drängten serbische Kräfte die Guerilla im Februar aus der Fläche von beiden Seiten in die West- und Osthänge der i avica-Berge ab und gingen von Osten her in der Gegend um Atimlje gegen die UÇK vor. Erstmals kam es auch zu Kampfhandlungen in Grenznähe zu Mazedonien im Raum Ka anik. Während die serbischen Soldaten im Zeitraum von Januar bis März von 1.500 auf 9.000 Mann und die Polizisten von 10.000 auf 15.000 Mann verstärkt worden waren, wurden die Kämpfe im März schließlich in die Drenica-Region und in den Raum Pe-Djakovica ausgeweitet. Der Schwerpunkt der serbischen Offensive verlagerte sich damit auf den Westen des Kosovo. Im März des Berichtsjahres befand sich die UÇK überall in der Defensive. Mit der Zurückdrängung der Guerilla stieg auch die Zahl der gerade erst im Oktober des Vorjahres größtenteils zurückgekehrten Flüchtlinge wieder sprunghaft an. Im März 1999 soll es 210.000 bis 280.000 Binnenflüchtlinge und 60.000 bis 250.000 Vertriebene außerhalb des Kosovo gegeben haben.
Wie bereits im Vorjahr setzten die serbischen Sicherheitskräfte auch im ersten Quartal des Berichtsjahres wieder auf die Strategie einer "ethnischen Säuberung", um die eroberten Gebiete zu kontrollieren. Ortschaften mit mehrheitlich kosovoalbanischer Bevölkerung wurden mit leichter und schwerer Artillerie beschossen. Die daraufhin erfolgende Flucht der kosovoalbanischen Zivilbevölkerung wurde von serbischer Seite mitunter gesteuert, indem die Einwohner zu den Grenzübergängen der Nachbarstaaten transportiert wurden. Die außerordentlich brutale Vorgehensweise der serbischen Einsatzkräfte zeigte sich an zahlreichen Sexualverbrechen gegen Frauen und der häufig durchgeführten Selektion und Tötung oder Deportation von Männern als vermeintlichen UÇK-Aktivisten. Der Vertreibung der Bevölkerung und der Verwüstung kosovoalbanischer Dörfer folgte vielfach die systematische Tilgung von Nachweisen einer kosovoalbanischen Bewohnerschaft. Beispielhaft hierfür ist die Zerstörung von Katasterämtern und Grundbüchern sowie die Beschlagnahmung von Personalpapieren und Autonummernschildern. Auch mögliche Bezugspunkte einer kosovoalbanischen Identität wie Kirchen, Friedhöfe, Kulturdenkmäler oder Bibliotheken wurden zerstört. Eine gezielte Vertreibung der kosovoalbanischen Bevölkerung erfolgte ebenfalls in den Städten und den Ortschaften mit serbischer Bevölkerungsmehrheit.
In Reaktion auf die intensivierten Konfrontationen unternahmen die USA und ihre europäischen Verbündeten den Versuch, durch die Anberaumung einer Friedenskonferenz im französischen Rambouillet erneuten Einfluß auf den Konfliktverlauf zu erlangen. Die Schwäche der kosovoalbanischen Opposition ließ allerdings keine wirklichen Verhandlungen zu. Nicht nur war die UÇK-Guerilla zu keiner militärischen Gefährdung der serbischen Herrschaft in der Lage. Darüber hinaus verfügten die Kosovo-Albaner trotz intensivster westlicher Einigungsversuche über keine repräsentative Organisation, die eine Befolgung etwaiger Übereinkünfte innerhalb der kosovoalbanischen Opposition hätte gewährleisten können. Der ehemals dominierende Oppositionspolitiker und gewählte Präsident des kosovarischen Parallelstaates Ibrahim Rugova hatte mit seiner Politik des gewaltlosen Widerstandes 1998, angesichts der anfänglichen militärischen Erfolge der UÇK, rapide an Legitimität verloren. Er verfügte zudem über keinerlei Einfluß auf die UÇK, die mit Adem Demaai einen eigenen politischen Vertreter ernannt hatte. Die Spaltung der kosovoalbanischen Opposition fand ihren Ausdruck vor allem in dem Bestreben der kosovarischen Exilregierung des Rugova-Flügels eine eigene Befreiungsarmee aufzustellen, die sogenannte "Forcave Armatosure A« Republikes A« Kosoves" (FARK, Bewaffnete Kräfte der Republik Kosovo). Diese im Vergleich zur UÇK angeblich besser ausgerüstete und ausgebildete Einheit hatte sich jedoch zu keiner eigenständigen Kraft im Kosovo entwickeln können und war offenbar schon im Verlauf des Jahres 1998 in die Ränge der UÇK integriert worden. Allerdings hatten die Offiziere der FARK teilweise eine Neuordnung der Kommandostrukturen in der UÇK durchsetzen können.
Die Rambouillet-Konferenz war so trotz ihrer Bezeichnung als Verhandlung von der Konfrontation zwischen dem serbischen Regime und den westlichen Industrienationen bestimmt. Dies kam in zweierlei Hinsicht zum Ausdruck. Erstens richtete sich die von der NATO für den Fall eines Scheiterns des Kongresses angedrohten Militäraktionen de facto weiter allein gegen das serbische Regime. Zweitens sollte die Konferenz nicht zur Findung eines Kompromisses zwischen der serbischen Regierung und der kosovoalbanischen Opposition dienen, sondern dazu, die Akteure zur Unterzeichnung eines Kompromisses zu führen, dessen Grundzüge die westlichen Akteure bereits vorher festgelegt hatten und die im wesentlichen dem sogenannten Hill-Plan des amerikanischen Kosovo-Beauftragten Christopher Hill entsprachen. Dieser sah ein substantielles Maß an Autonomie für den Kosovo ohne eine Veränderung der Staatsgrenzen Jugoslawiens vor. Die Androhung eines militärischen Angriffes konnte die serbische Regierung jedoch nicht zur Unterzeichnung des vorgefertigten Abkommens bringen. Mit dem offensichtlichen Scheitern der Konferenz leitete die OSZE das Verlassen der mittlerweile auf 1.700 Männer und Frauen angewachsenen Beobachtermission aus dem Kosovo ein.
Am 24. März 1999 schließlich begannen NATO-Streitkräfte die Bombardierung Jugoslawiens. Der ursprünglich innerstaatliche Sezessionskrieg wurde hierdurch um eine zwischenstaatliche Dimension erweitert. Dabei erfolgte der Angriff ohne eine Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat. Während Rußland sowohl dem Waffenembargo gegen Jugoslawien am 31. März 1998 als auch der Forderung eines sofortigen Waffenstillstandes im Kosovo und die Zulassung internationaler Beobachter und Hilfsorganisationen in der Region zugestimmt hatte, stellte es sich ebenso wie China, das 1998 bereits die Verhängung eines UN-Waffenembargos mit seinem Veto verhindert hatte, gegen einen Angriff auf Jugoslawien. Mitte August 1998 hatte Frankreich noch ein UN-Mandat zur Voraussetzung eines militärischen Eingreifens der NATO gemacht, dann jedoch nach der Ablehnung einer Unterzeichnung des Rambouillet-Dokuments den Bombardements auch ohne eine solche Autorisierung zugestimmt.
Nachdem die Schläge der NATO in der ersten Phase des Luftkrieges vor allem auf die Ausschaltung der serbischen Luftabwehr ausgerichtet waren, ging das Bündnis in einer zweiten Phase seit dem 28.3. dazu über, Einheiten der Jugoslawischen Volksarmee direkt anzugreifen. Ab dem 31.3. wurden mit der dritten Phase der Luftangriffe auch zentrale Hauptquartiere und Führungsanlagen als Ziele freigegeben. Der Versuch, die Mobilität der serbischen Streitkräfte einzuschränken, schlug weitgehend fehl, da diese entsprechend der noch unter dem ehemaligen jugoslawischen Staatspräsidenten Tito entwickelten Defensivdoktrin nahezu bewegungslos in Verstecken verharrten, um keine Ziele für die Luftwaffe abzugeben. Da sich die NATO-Staaten schon früh darauf festgelegt hatten, keine Bodentruppen zum Einsatz zu bringen, waren die serbischen Verbände nicht zu auffälligen Truppenkonzentrationen oder Marschbewegungen gezwungen. Daraufhin richtete die NATO ihre Angriffe im April verstärkt auf infrastrukturelle Einrichtungen, die zur Unterstützung militärischer Operationen als wichtig erachtet wurden. Hierzu zählten Brücken, Straßen, Flughäfen, Fabriken sowie Raffinerien und Rundfunkstationen. Auch die landesweite Zerstörung dieser Infrastrukturen mußte jedoch gegen eine Armee weitgehend erfolglos bleiben, die in ihrer ursprünglich dezentralen Struktur als Partisanenarmee eben gerade nicht von solchen Infrastrukturen abhängig ist, sondern von versteckten, logistischen Einrichtungen und Ressourcen vor Ort. Demgegenüber häuften sich durch fehlgeleitete Angriffe auf Personenzüge und Flüchtlingskonvois die Opfer unter der serbischen und kosovoalbanischen Zivilbevölkerung. Auch die chinesische Botschaft in Belgrad wurde getroffen. Ab Mai 1999 schließlich ging die US-amerikanische Luftwaffe dazu über, Kraftwerke in Jugoslawien zu bombardieren, wobei zum ersten Mal Graphitbomben eingesetzt wurden. Da die bislang eingesetzten Mittel die fortgesetzte Vertreibungspolitik im Kosovo nicht hatten verhindern können, hoffte das Bündnis mit diesem Schritt, die serbische Bevölkerung gegen das Milošević-Regime aufzubringen.
Jedoch zeitigte auch diese Taktik keine unmittelbaren Erfolge. Statt dessen hatten die NATO-Luftangriffe der serbischen Führung Möglichkeiten eröffnet, die der Durchsetzung ihrer Zielsetzungen in zweierlei Hinsicht von erheblichen Nutzen waren. Zum einen ermöglichten diese es ihnen, die internationale Umwelt als den eigentlichen Aggressor erscheinen zu lassen und so ihre Machtbasis innerhalb der bereits vor dem Ausbruch des Krieges eine schwere ökonomische Krise durchleidenden Bevölkerung zu stabilisieren. Zum anderen machte die militärische Eskalation des Konfliktes mit den NATO-Staaten die Rücksichtnahme auf deren Kritik am Vorgehen der serbischen Streitkräfte obsolet. Beide Vorteile wurden von serbischer Seite genutzt. Neben der Gleichschaltung der unabhängigen Medien und der Neutralisierung der ohnehin nur schwach entwickelten innerserbischen Opposition führten die serbischen Streitkräfte auch nach Beginn des NATO-Bombardements ihre großflächige Vertreibungspolitik fort, die dem Ziel einer endgültigen Niederschlagung der UÇK-Guerillas sowie darüber hinaus der Umkehrung der Mehrheitsverhältnisse im Kosovo diente. Im April hatten die serbischen Militär- und Polizeieinheiten, die mittlerweile auf über 40.000 Mann aufgestockt worden waren, sämtliche Verkehrswege im Kosovo unter ihre Kontrolle gebracht. Die UÇK war zu diesem Zeitpunkt bis auf einige versprengte Einheiten im Westkosovo weitgehend geschlagen und nach Nordalbanien abgedrängt. Weder sie noch die Luftschläge der NATO konnten die serbische Vertreibungspolitik wesentlich eindämmen, die in der zweiten Maihälfte mit 500.000 Binnenflüchtlingen und 850.000 Vertriebenen außerhalb des Kosovo einen neuen Höhepunkt erreicht hatte. Damit waren mehr als drei Viertel der kosovoalbanischen Zivilbevölkerung auf der Flucht.
Parallel zu der Durchführung der Luftangriffe hatten Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft seit Beginn der NATO-Intervention verschiedene Anläufe zur politischen Lösung des Konflikts unternommen. Nachdem sich die Haltung Rußlands gegenüber dem NATO-Bündnis mit Beginn der Luftschläge zunächst verschärft hatte und Moskau das Ende des NATO-Kooperationsprogramms "Partnership-for-Peace", den Stopp der nuklearen Abrüstung sowie die Entsendung eines Kriegsschiffs ins Mittelmeer angekündigt hatte, zeichnete sich Anfang Mai erstmals ein Zusammengehen mit der westlichen Staatengemeinschaft ab.
Anfang Juni begann Belgrad einzulenken. Ursache hierfür dürfte eine Kombination mehrerer Faktoren gewesen sein. Der UAK war es Ende Mai gelungen, im Süden des Kosovo eine neue Offensive zu starten. Seit 1998 hatte die UÇK den Norden Albaniens als Aufmarschgebiet und Nachschubbasis genutzt. Nachdem hier neue Kämpfer aus den Flüchtlingslagern rekrutiert und der Nachschub an Waffen organisiert worden war, lieferte sich die UÇK schwere Kämpfe mit den serbischen Truppen im Südkosovo. Die dadurch erzwungene Operation der serbischen Einheiten auf offenem Feld ermöglichte es der NATO-Luftwaffe erstmals, den serbischen Truppen einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Ferner hatte das Bündnis den Druck auf die Milošević-Regierung erhöht, in dem am 25.5. die Aufstellung einer "Kosovo Force" (KFOR) beschlossen wurde, die damit beauftragt wurde, die Rückkehr der Flüchtlinge nach einem förmlichen Ende der Kampfhandlungen vorzubereiten. Zu diesem Zweck wurden die in Mazedonien stationierten NATO-Truppen von 14.000 auf 50.000 Mann aufgestockt. Schließlich hatte Moskau in Belgrad mit Nachdruck auf die Annahme der westlichen Friedensbedingungen gedrängt, denen auch Rußland zugestimmt hatte.
Am 3.6.1999 nahm die jugoslawische Führung einen von dem EU-Vermittler Ahtisaari und dem russischen Jugoslawien-Beauftragten Tschernomyrdin unterbreiteten internationalen Friedensplan an. Dieser basierte in seinen Bestimmungen im wesentlichen auf den schon im Mai von den G-8-Staaten beschlossenen Prinzipien zur Lösung des Kosovo-Konflikts und sah unter anderem eine substantielle Beteiligung der NATO an der internationalen Friedenstruppe vor. Am 9.6. verpflichtete sich Belgrad mit der Unterzeichnung des militärtechnischen Abkommens von Kumanovo alle bewaffneten Kräfte innerhalb von 11 Tagen vollständig aus der südserbischen Provinz zurückzuziehen. Mit dem Rückzug der serbischen Truppen und der Einstellung der NATO-Luftangriffe am darauffolgenden Tag wurde der Weg für die Resolution des UN-Sicherheitsrates freigemacht, die noch am Abend desselben Tages verabschiedet wurde. Die UN-Resolution sieht neben dem zeitlich unbegrenzten Mandat für eine Friedenstruppe, die Demilitarisierung der UÇK, die Rückkehr der Flüchtlinge, die Einrichtung einer vorübergehenden zivilen Verwaltung unter UN-Aufsicht im Kosovo und den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Region unter internationaler Beteiligung vor. Am 11.6.1999 begann der Einmarsch der internationalen Friedenstruppe, KFOR, in den Kosovo.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Insgesamt ist der Erfolg der NATO-Intervention kritisch zu beurteilen. Die NATO hatte trotz ihrer diesbezüglich erklärten Zielsetzungen nicht verhindern können, daß am Ende des Krieges bis zu 1,5 Millionen Menschen innerhalb und außerhalb des Kosovo auf der Flucht waren. Auch der Genozid an den Kosovo-Albanern konnte durch den NATO-Einsatz nicht verhindert werden. Schätzungen über die Zahl der getöteten Kosovo-Albaner variieren allerdings stark. Das britische Außenministerium und albanische Menschenrechtsorganisationen rechnen mit über 10.000 getöteten Kosovo-Albanern. Andere Schätzungen gehen demgegenüber höchstens von 2.500 getöteten Kosovo-Albanern aus. Nach der jüngsten Einschätzung der Chefanklägerin des internationalen Kriegsverbrechertribunals für das frühere Jugoslawien beläuft sich die Anzahl der Ermordeten jedoch auf über 11.000 Menschen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker geht sogar von 30.000 Albanern und Angehörigen nichtserbischer Minderheiten aus, die entweder getötet oder durch Vertreibung und Flucht ums Leben gekommen sind.
Die Bilanz der taktisch-operativen Luftkriegsführung nimmt sich ebenfalls bescheiden aus. Nach Abschluß des elfwöchigen Luftkrieges hatte die NATO zwar keinerlei eigene Verluste durch feindliches Feuer zu beklagen. Schätzungen gehen jedoch davon aus, daß auch keinesfalls mehr als ein Viertel der schweren Waffen der serbischen Truppen im Kosovo zerstört wurden. Hinzu kommt, daß von den bei den Bombardements eingesetzten Splitterbomben eine zukünftige Gefahr für die Zivilbevölkerung und die KFOR-Einsatzkräfte ausgeht. Die verwendeten Splitterbomben stoßen in geringer Höhe über dem Erdboden jeweils bis zu 200 kleine Einzelbomben aus, von denen jedoch statistisch gesehen mehr als 10 Prozent nicht explodieren, sondern in scharfem Zustand am Boden liegen bleiben, wo sie ähnlich wie Antipersonenminen erst bei Berührung detonieren. Neben einer nicht bekannten Zahl von britischen Kampfflugzeugen abgeworfener Splitterbomben haben allein die USA mehr als 1.000 Bomben dieses Typs gegen serbische Ziele vor allem im Nordwesten und Südwesten des Kosovo eingesetzt. Insgesamt haben die USA damit mehr als 200.000 kleine Einzelbomben abgeworfen, von denen rein rechnerisch 20.000 nicht explodiert sind und in instabilem Zustand am Boden liegengeblieben sind.
Die Kosten des Militäreinsatzes und die immensen Kriegsschäden in der Region werden sehr unterschiedlich angesetzt. Schätzungen reichen von 37 bis 190 Milliarden Mark. Im Kosovo selbst wurden seit März 1998 etwa 650 kosovoalbanische Dörfer ganz oder teilweise zerstört. 50.000 Häuser sind damit schwer beschädigt oder ganz zerstört.
Mit der Stationierung der internationalen Friedenstruppe im Kosovo und der Demilitarisierung der UAK wurde zwar ein Ende der Kampfhandlungen erreicht, jedoch prozessiert der Konflikt unterhalb der Schwelle kriegerischer Auseinandersetzungen weiter. Dies belegen zahlreiche Übergriffe zwischen den Volksgruppen, welche nunmehr jedoch in erster Linie von Kosovo-Albanern und der UAK gegenüber der serbischen Minderheit erfolgen, die jetzt in hohem Maße Gewalt und Vertreibung ausgesetzt ist. Auch ein ökonomisch erschüttertes und infrastrukturell zerstörtes Serbien sowie eine in ihrer antiwestlichen Haltung gefestigte serbische Bevölkerung stellt eine dauernde Gefahr für die Region dar. Der Konfliktverlauf hat somit eine Lösung des Kosovo-Konflikts und die politische Stabilisierung der Region nicht gefördert, sondern vielmehr vorhandene Konfliktlinien intensiviert und die Grundlage für weitere Konflikte geschaffen.
Stephan Hensell / Thomas Rabehl
Bewaffnete Konflikte in Jugoslawien seit 1993
- Jugoslawien (Kosovo, 1999 - 2001)