Bosnien-Herzegowina
Kriege in Bosnien-Herzegowina seit 1945
Bosnien-Herzegowina (1992 - 1995)
AKUF-Datenbanknr.: |
211 |
Kriegsdauer: |
3/1992 - 14.12.1995 |
Kriegstyp: |
B-1 |
Kriegsbeendigung |
durch Vermittlung der USA |
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Kriegführende |
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Seite A |
Serbische Milizen und Tschetniks |
Seite B |
Bosnische Muslime/Republik Bosnien-Herzegowina |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Ende 1991 begann sich auch in der Republik Bosnien-Herzegowina die Situation krisenhaft zuzuspitzen. Die Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas weist von allen ehemaligen jugoslawischen Republiken nicht nur die größte Nationalitätenvielfalt auf, sondern auch die größte Vermischung der Volksgruppen in den meisten Landesteilen. Ca. 43% der Bevölkerung sind Moslems, die als eigene Nationalität gelten, 31% sind Serben und 17% Kroaten. Schon früh meldeten sowohl Serben als auch Kroaten Anspruch auf weite Teile Bosnien-Herzegowinas an. Nachdem sich das bosnische Parlament am 15.10.1991 mit der Mehrheit der moslemischen und kroatischen Abgeordneten für die Unabhängigkeit der Republik aussprach, riefen die Serben, die zuvor eine Konföderation der drei Völker innerhalb eines föderalistischen Jugoslawiens befürwortet hatten, im Januar 1992 die "Republik des serbischen Volkes in Bosnien-Herzegowina" aus. Derweil endete ein von der EG als Bedingung der Anerkennung Bosnien-Herzegowinas gefordertes und von den Serben boykottiertes Referendum am 1.3.1992 mit einer Mehrheitsentscheidung für die Unabhängigkeit. Die Diskussion zwischen den drei Volksgruppen über mögliche Verfassungsmodelle brachte keine Lösung des Konflikts, der daraufhin im Verlauf des Monats eskalierte.
Zu Beginn kämpften auf der serbischen Seite Freischärlerverbände, die sich Mitte Mai zur "Armee der serbischen Republik Bosnien-Herzegowina" zusammenschlossen. Auf der Gegenseite kämpften muslimische und kroatische Truppen. Erstere setzten sich aus Freischerlerverbänden, aus Polizeireservisten sowie der ehemaligen bosnischen Territorialverteidigung zusammen. Diese Einheiten wurden im Sommer 1992 zur bosnischen Regierungsarmee zusammengefaßt. Die kroatischen Verbände fanden sich im Kroatischen Verteidigungsrat (HVO) zusammen, der als ein verlängerter Arm der Kroatischen Armee agierte und seine Befehle aus Zagreb erhielt. Das militärische Kräftegleichgewicht verschob sich im Verlauf der Kampfhandlungen relativ schnell zugunsten der Serben. Der Grund dafür war die schon in Kroatien bewährte Zusammenarbeit mit der JVA. Die JVA, die in Bosnien mit etwa 100.000 Mann stationiert war, übernahm die Kontrolle über die meisten Depots der Territorialverteidigung, über die Militärbasen und die schweren Waffen, die aus strategischen Gründen unter der kommunistischen Herrschaft in Bosnien konzentriert worden waren. Vier Fünftel der jugoslawischen Rüstungsbetriebe lagen in Bosnien. Bei dem Rückzug der JVA aus Bosnien im Mai 1992 wurden diese Bestände größtenteils zurückgelassen und den Serben übergeben. Teile der JVA gingen auch in der serbischen Armee auf.
Serbische Attacken führten sehr schnell dazu, daß die Serben weite Teile Bosnien-Herzegowinas kontrollierten, darunter besonders Gebiete mit serbischer Majorität, so die Banja-Luka-Region im Norden und Ostherzegowina im Süden der Republik. Im Norden war es für die Serben wichtig im Raum Brcko einen Korridor zu sichern, der die ostserbischen Gebiete mit Serbien selbst verband. Versuche der Serben in der West-Herzegowina ebenfalls einen Korridor zur Adria zu erstreiten, scheiterten jedoch am massiven kroatischen Widerstand. Anfang Juni 1992 kontrollierten die Serben 60% des bosnischen Territoriums. Den Erfolgen der Serben stand die unbeständige Allianz zwischen Kroaten und Moslems gegenüber. Obgleich im Mai 1992 ein vorübergehendes Abkommen zur Gründung einer kroatisch-bosnischen Föderation abgeschlossen wurde, das in den Folgemonaten um militärische Kooperationsabkommen erweitert wurde, fanden seit Oktober zunehmend Kämpfe zwischen den formal Verbündeten statt. Dabei wurde vor allem Mostar umkämpft, das von den Kroaten zur Hauptstadt der proklamierten autonomen Region "Herceg-Bosna" erklärt wurde. Ziel der Kriegsparteien war es so viel Land wie möglich zu erobern, um auf den seit September parallel laufenden Genfer Friedensverhandlungen eine günstigere Verhandlungsposition für spätere Gebietsaufteilungen zu erzielen.
Diverse Sanktionsmaßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft, wie das von den UN verhängte Wirtschafts- und Erdölembargo gegen Restjugoslawien und die Verhängung einer Flugverbotszone über Bosnien-Herzegowina, die Wirtschaftssanktionen der EU sowie die Durchführung einer Seeblockade durch NATO und WEU konnten den Konflikt nicht eindämmen. Am 8.6.1992 beschloß die UN die Entsendung von Truppen in Höhe von 1100 Mann zur Kontrolle des Flugplatzes in der von Serben belagerten Hauptstadt Sarajevo, zwecks Ermöglichung humanitärer Hilfsflüge. Drei Monate später wurde diese Truppe auf 6.000 Mann aufgestockt.
Während es den muslimischen Truppen im Laufe des Frühlings und Sommers 1993 gelang in südwestlicher Richtung nach Zentralbosnien in kroatisches Gebiet vorzustoßen, begannen die Serben im Winter und Frühling des Jahres eine Offensive gegen muslimische Enklaven in Ostbosnien. Die Erklärung dieser Enklaven zu Schutzzonen der UN konnte eine Belagerung der betroffenen Städte und schwere Vergehen gegen die Zivilbevölkerung nach ihrer Einnahme nicht verhindern. Alle Kriegsparteien betrieben eine Politik der ethnischen Säuberung, bei der auf beiden Seiten die jeweils andere Volksgruppe aus den eroberten Gebieten vertrieben oder einem Apartheidregime unterworfen wurde. Massenhinrichtungen und -vergewaltigungen und der Betrieb von "Konzentrationslagern" stehen für die extreme Brutalität, mit der die Kriegsparteien dabei vorgingen.
Das Jahr 1993 war von mehreren gescheiterten Friedensplänen und zahllosen eingegangenen und kurz darauf wieder gebrochenen Waffenstillständen gekennzeichnet. Dabei wurden die militärischen Fronten durch das Aufkommen lokaler warlords, die ohne Bindung an eine übergeordnete Führung agierten und kleinere befreite Gebiete zu politisch autonomen Regionen erklärten, zunehmend verworrener. Im Jahr 1994 kam Bewegung in die festgefahrene Lage. Unter Regie der USA wurde am 18.3.1994 zwischen Kroaten und Moslems das "Washington-Abkommen" über die Bildung einer bereits vor zwei Jahren vereinbarten aber nicht umgesetzten muslimisch-kroatischen Föderation in Bosnien-Herzegowina unterzeichnet. Mit dem Abkommen wurde auch das Ende der Kampfhandlungen zwischen den beiden Parteien vereinbart.
Im zweiten Halbjahr 1994 konzentrierte sich das Kampfgeschehen auf die Bihac-Enklave im äu-ßersten Nordwesten Bosnien-Herzegowinas. Hier hatte im nördlichen Teil ein abtrünniger muslimischer warlord eine eigene Republik ausgerufen, während der südliche Teil der Enklave von muslimischen Regierungstruppen gehalten wurde. Nach einer erfolgreichen Offensive der Regierungsarmee und der Zurückdrängung der gegnerischen Verbände auf das Gebiet der Krajina-Serben, gelang es den muslimischen Regierungstruppen auch den serbischen Belagerungsring um Bihac zu durchbrechen und die Serben auf einem großen Gebiet Richtung Bosanska Krupa zurückzudrängen. Der bald darauf erfolgende Gegenangriff der serbischen Einheiten ging auch von den in Kroatien besetzten Gebieten aus, er konnte jedoch die Gebietsverluste nicht vollständig rückgängig machen.
Im Sommer des folgenden Jahres entschloß sich die internationale Staatengemeinschaft zu einem aktiveren Eingreifen in den Konflikt. Nachdem die Serben im Juli 1995 die UN-Schutzzonen Srebrenica und Zepa erobert hatten und auch Sarajevo wieder unter Beschuß stand, trotz einem dort zuvor erreichten Rückzug der Serben, nahm die NATO im Auftrag der UN erstmals massive Bombardements serbischer Stellungen auf. Dabei wurden über 3.000 Lufteinsätze auf strategische Ziele in ganz Bosnien geflogen. Ferner wurde der Einsatz einer 10.000 Mann starken "schnellen Eingreiftruppe" beschlossen, die einen effektiven Schutz der UN-Truppen und ihres Einsatzes ermöglichen sollte.
Mitte September eröffnete die mittlerweile schlagkräftigere bosnische Regierungsarmee und die mit ihr verbündeten Kroaten eine großangelegte Offensive, in deren Verlauf sie weite Gebiete ein Nordwest- und Zentralbosnien eroberten und Geländegewinne von über 4.000 Quadratkilometern erzielten. Die von den Serben bislang gehaltene lange Frontlinie in Bosnien brach daraufhin zusammen. Unter amerikanischer Regie wurde schließlich ein Waffenstillstand ausgehandelt, der am 12.10.1995 in Kraft trat.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Der Konflikt fand eine vertraglich vereinbare Lösung mit dem Friedensvertrag von Dayton, der am 14.12.1995 von Serben, Kroaten und Muslimen unterzeichnet wurde. Bosnien-Herzegowina blieb nach dem Dayton-Abkommen als souveräner Staat bestehen, sollte sich aber fortan aus den zwei Einheiten der "Muslimisch-Kroatischen Föderation Bosnien-Herzegowina" und der "Serbischen Republik in Bosnien" zusammensetzen. Eine 60.000 Mann starke NATO-Truppe wurde im Auftrag der UN als Implementation Force (IFOR) zur Wahrnehmung friedensbewahrender Aufgaben eingesetzt.
Im Ergebnis konnte weder die serbische noch die kroatische Seite ihre großnationalen Pläne verwirklichen. Die Vertreibungen und die Migration zahlreicher Flüchtlinge haben jedoch zur Verschiebung der ethnischen Balance und zur Aufteilung Bosniens in mehr oder minder ethnisch homogene Gebiete geführt, die nachträglich durch das Dayton-Abkommen bestätigt wurden. Für den Bosnienkrieg liegen bezüglich der Opferzahlen keine glaubwürdigen Einzelerhebungen vor. Insgesamt sollen 200.000 Menschen durch die Kriege im zerfallenden Jugoslawien ihr Leben verloren haben. Rund 2,7 Millionen Menschen sollen innerhalb des Landes vertrieben worden sein und 3,8 Millionen sollen vor dem Krieg aus Kroatien und Bosnien geflohen sein.
Stephan Hensell