Nigeria
Kriege in Nigeria seit 1945
Nigeria (Tiv-Aufstand, 1964)
AKUF-Datenbanknr.: |
184 |
Kriegsdauer: |
8/1964 - 12/1964 |
Kriegstyp: |
BE-2 |
Kriegsbeendigung |
durch militärischen Sieg (Seite B) |
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Kriegführende |
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Seite A |
Bewaffnete Tiv-Milizen |
Seite B |
Nigeria |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Die vorwiegend christliche, mit dem United Middle Belt Congress (UMBC) sympathisierende Bevölkerung der Tiv, des größten nicht-muslimischen Volkes in Nordnigeria, erhob sich gegen die Vorherrschaft der muslimischen Haussa-Fulani und des von ihnen dominierten Northern People's Congress (NPC) in Nordnigeria. Darin kam die traditionelle Abneigung der Tiv gegen zentralistische Autorität und Fremdherrschaft zum Ausdruck. Außerdem handelte es sich um Protest gegen die für sie nachteilige Steuererhebung. Ihr Ziel war Selbstverwaltung und die Behauptung der eigenen Identität.
Im Tiv-Gebiet gab es bereits im August/September 1960 massenhafte Übergriffe gegen NPC-Funktionäre und -Sympathisanten, allerdings mehr gegen deren Eigentum als gegen Personen selbst (kaum Todesopfer). Auftakt für die Unruhen 1964 war die Ermordung eines Clan-Chefs am 12. Februar 1964. Danach kam es zur Konfrontation mit der Polizei und zu Übergriffen bewaffneter Banden. Nach der Jahrestagung des UMBC entwickelte sich ein offener Aufstand gegen Anhänger des NPC. [1]
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Erst durch den Einsatz der nigerianischen Armee konnte der Aufstand im Dezember 1964 unter Kontrolle gebracht werden. Die im November 1964 in das Tiv-Gebiet entsandten Truppen blieben bis Juni 1965 dort stationiert. Den Tiv wurde mehr Selbstverwaltung zugesichert. Ihr Aufstand trug zur Aufheizung des innenpolitischen Klimas in Nigeria bei; dies führte 1966 zu zwei Militärcoups und 1967 zum Biafrakrieg (vgl. Krieg Nr. 97).
Der Aufstand forderte bis zu 4.000 Todesopfer und ließ die öffentliche Ordnung in der betroffenen Region weitgehend zusammenbrechen.
ANMERKUNGEN
[1] Eine zentrale Organisation des Aufstandes im engeren Sinne gab es nicht, jedoch lenkenden Einfluß von Seiten einer traditionalen Autorität: des Tarka Tiv.
Peter Körner
Nigeria (Biafra-Krieg, 1967 - 1979)
AKUF-Datenbanknr.: |
97 |
Kriegsdauer: |
06.07.1967 - 15.01.1970 |
Kriegstyp: |
B-2 |
Kriegsbeendigung |
durch militärischen Sieg (Seite A) |
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Kriegführende |
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Seite A |
Nigeria |
Seite B |
Biafra [1] |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Der Biafrakrieg resultierte aus einem älteren Herrschaftskonflikt zwischen der Führungsschicht der muslimischen Haussa-Fulani aus Nordnigeria, die seit Nigerias Unabhängigkeit (1960) die Zentralregierung dominierte, und der Führungsschicht der christlich missionierten Igbo aus der Südostregion Biafra, die im Militär und in der Staatsbürokratie ein Übergewicht besaß. Der Erdölreichtum Biafras, der gerade zur tragenden Säule der nigerianischen Ökonomie emporwuchs, bestärkte den nationalen Dominanzanspruch der Igbo-Führungsschicht, der durch einen blutigen Staatsstreich von Igbo-Offizieren im Januar 1966 vorübergehend umgesetzt wurde. Ein ebenfalls blutiger Gegenputsch stellte im Juli 1966 die politische Vorherrschaft des Nordens wieder her, steigerte zugleich aber den Konflikt zwischen der Igbo-Region und der Zentralregierung. Als die Zentralregierung Ende Mai 1967 Nigeria in zwölf Bundesstaaten aufgliederte und auf diese Weise das Erdölgebiet, das außerhalb des eigentlichen Igbo-Siedlungsgebietes lag, der administrativen Kontrolle der Igbo entwand, war der Kriegsanlaß gegeben. Die staatliche Unabhängigkeit Biafras war der Versuch der Igbo-Führungsschicht, ihren Machtverlust in Nigeria zu kompensieren und den alleinigen Zugriff auf die Erdölreserven zu gewinnen.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Der Krieg endete mit der militärischen Niederlage der Sezessionisten und der Wiedereingliederung Biafras in den föderalen Staat Nigeria. Die Igbo-Führungsschicht verlor ihre bedeutende Rolle in Staat, Bürokratie und Militär.
Bis zu zwei Millionen Menschen, darunter viele Kinder, kamen durch Kampfhandlungen und kriegsbedingte Hungersnöte ums Leben. Die materiellen Schäden waren in Biafra beträchtlich.
ANMERKUNGEN
[1] Erst gegen Ende des Krieges erhielten die Guerillatruppen den Namen Biafran Organization of Freedom Fighters (BOFF).
Petra Marx / Peter Körner
Nigeria (Maitatsine-Aufstand in Kano/Nordnigeria, 1980)
AKUF-Datenbanknr.: |
185 |
Kriegsdauer: |
18.12.1980 - 29.12.1980 [1] |
Kriegstyp: |
A-2 |
Kriegsbeendigung |
durch militärischen Sieg (Seite B) |
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Kriegführende |
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Seite A |
Maitatsine-Bewegung [2] |
Seite B |
Nigeria |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Die Maitatsine-Bewegung wurde vom dem aus Kamerun stammenden Prediger Muhammadu Marwa gegründet und fungierte als Sammlungsbewegung von Armen und Deprivierten im muslimischen Nordnigeria. Die Bewegung unterhielt bewaffnete Garden. Erste Zusammenstöße mit staatlichen Ordnungskräften gab es bereits 1972 in Kano, 1979/80 häuften sich die aufständischen Aktivitäten. Marwa kam bei dem als "Kano Riots" bekannten Aufstand vom Dezember 1980 ums Leben.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Die Maitatsine-Bewegung lebte nach Marwas Tod fort und reorganisierte sich nach militärischen Niederlagen gegen die bewaffnete nigerianische Staatsmacht jeweils an einem anderen Ort, wo sich dann eine neue, allerdings kürzere Konfrontation entwickelte. Schauplätze der späteren Zusammenstöße waren Maiduguri und Kaduna im Oktober 1982, Yola im März 1984 und Gombe im April 1985. Nach der Niederschlagung der Maitatsine-Proteste in Gombe war von der Bewegung nichts mehr zu vernehmen. Die Maitatsine-Erhebung trug zur Verschlechterung des innenpolitischen Klimas und zur Eskalation von organisierter Gewalt in Nigeria bei.
Allein bei den Zusammenstößen in Kano im Dezember 1980 kamen offiziell 4.177 Personen ums Leben; alle Konfrontationen der Maitatsine-Bewegung mit dem Staat von 1980 bis 1985 zusammengerechnet, waren 8.600 Todesopfer zu beklagen (darunter allein 1982 ca. 3.350). Außerdem gab es erhebliche materielle Schäden in den Aufstandsgebieten.
ANMERKUNGEN
[1] Kampfhandlungen zwischen der Maitatsine-Bewegung und der bewaffneten Staatsmacht ereigneten sich vom 18. bis 29. Dezember 1980 in Kano, vom 26. bis 30. Oktober 1982 nahe Maiduguri und Kaduna, Ende Februar/Anfang März 1984 in Yola und Ende April 1985 in Gombe. Die Diskontinuität der Kämpfe war bedingt durch Rückzug, Wanderungen und Reorganisation der Maitatsine-Bewegung nach militärischen Niederlagen. Gegen die Maitatsine-Erhebung in Kano im Dezember 1980 ging der nigerianische Staat mit massivem Militäreinsatz vor, auch mit der Luftwaffe. Nur diese Konfrontation wird hier als Krieg gewertet, wenngleich auch die anderen Ereignisse dicht an der Kriegsdefinition liegen.
[2] Die Maitatsine-Bewegung firmierte auch unter den Bezeichnungen "Yan Tatsine" und "Kalo Kato".
Peter Körner
Nigeria/Kamerun (Bakassi-Halbinsel, 1996)
Nigeria (Ijaw, 1999 - 2000)
AKUF-Datenbanknr.: |
252 |
Kriegsdauer: |
1/1999 - 17.01.2000 |
Kriegstyp: |
BE-2 |
Kriegsbeendigung |
durch militärischen Sieg (Seite B) |
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Kriegführende |
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Seite A |
Ijaw Youth Council (IYC) |
Seite B |
Nigeria |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Auch im Jahre 2000 blieb die Sicherheitslage im Niger-Delta kritisch. Gemeinden der Ethnie der Ijaw lagen weiter im Konflikt mit der nationalen Regierung, Ölkonzernen und einer ihrer Nachbarethnien, den Itsekiri. Im Vergleich zum Vorjahr haben sowohl Anzahl als auch Ausmaß der Zusammenstöße mit Regierungstruppen sowie der interethnischen Kämpfe deutlich und dauerhaft abgenommen, so dass seit der Verkündigung eines Waffenstillstands durch den Ijaw National Congress (INC) am 17. Januar die Kriegsdefinition der AKUF nicht mehr erfüllt ist. Die weiterhin stattfindenden Auseinandersetzungen sind als bewaffneter Konflikt einzustufen. Unverändert prekär blieben die Arbeitsbedingungen für die Ölkonzerne.
Das Niger-Delta ist das Hauptgebiet der Erdölförderung Nigerias und in seiner ökonomischen Bedeutung für das Land kaum zu überschätzen. Von seinen Ölexporten bestreitet Nigeria etwa 90 Prozent seiner Deviseneinnahmen. Demgegenüber nutzt der Ressourcenreichtum der Region selbst seit jeher wenig. Im Gegenteil wurden die traditionalen Lebensgrundlagen der Bevölkerung, Fischfang und Ackerbau, zunehmend zerstört, während selbst der nach der alten Verfassung vorgesehene Rücktransfer von drei Prozent der Erdöl-Einnahmen weitgehend in korrupten Kanälen versickerte. In dieser Situation gewannen Forderungen nach einer selbständigen Ausbeutung der lokalen Ressourcen einige Popularität in der Region.
Anfang der 1990er Jahre führte die Problemlage erstmals zu organisierten, gewaltsamen Auseinandersetzungen. Federführend war damals die Movement for the Survival of Ogoni People (MOSOP), der es durch eine professionelle Pressekampagne gelang, international Gehör zu finden. Nach der Hinrichtung des größten Teils der Führungsriege der MOSOP, darunter ihres Vorsitzenden Ken Saro-Wiwa, durch die damaligen Militärmachthaber hatten die Widerstandsaktivitäten abgenommen und sich die internationale Aufmerksamkeit verringert. Im Zentrum des aktuellen Konfliktgeschehens stehen die Ijaw, die zahlenmäßig viertgrößte Ethnie Nigerias. Einen wichtigen Bestandteil ihres vermehrten Widerstandes bildet der Verweis auf die Existenz einer "Ijaw-Nation". Ethnische Wahrnehmungsmuster bestimmen die Konfliktsicht weiter Bevölkerungsteile und bilden ein ideologisch konstitutives Element des Konfliktes.
Das Konfliktgeschehen strukturiert sich seit mehreren Jahren entlang der oben genannten Frontlinien. Die Ursachen für die Konfrontation mit den Ölkonzernen und der Regierung ergeben sich unmittelbar aus der Konfliktlage. Die Itsekiri wiederum gelten als Kontrahenten, da sie über relativ mehr politisch-ökonomischen Einfluss im Delta verfügen und daher von großen Teilen der Ijaw als bevorteilt angesehen werden.
Der schwelende Konflikt zwischen Ijaw und Itsekiri eskalierte im März 1997 erstmals gewaltsam. Der Versuch eines Militärverwalters, die Verwaltung der Ölstadt Warri im Bundesstaat Delta umzustrukturieren und dabei einen Verwaltungssitz von dem Ijaw-dominierten Igbo-Ijoh in die Itsekiri-Gemeinde Ogidigben zu verlegen, bot Anlass für verschiedene Zusammenstöße. Der Zugang zu Staatspfründen ist in Nigeria eng mit dem Zugang zu Regierungsinstitutionen verbunden, welchen die Ijaw nun gefährdet sahen. Ab der zweiten Jahreshälfte 1998 wurden von Ijaw-Gruppen darüber hinaus vermehrt Ölplattformen besetzt, Mitarbeiter von Ölkonzernen entführt und Ölleitungen sabotiert.
Der Konflikt im Niger-Delta trat mit der Gründung des Ijaw Youth Council (IYC) am 11. Dezember 1998 auf einer von etwa 500 Delegierten verschiedener Jugendorganisationen besuchten Konferenz in eine neue Phase ein. Auf dieser Konferenz wurde mit Wirkung zum 30. Dezember die so genannte Kaiama-Deklaration verabschiedet, die den Widerstand in seiner Zielsetzung klarer ausrichten sollte und die verschiedenen Jugendorganisationen in einer gemeinsamen Plattform zusammenführte. Zentrale Forderungen der Deklaration sind der ultimative Rückzug des Militärs, ein vorläufiger Ölförderstopp, die Umstrukturierung der Bundesstaaten nach ethnischen Kriterien sowie die volle Kontrolle über die Ressourcen des Ijaw-Territoriums. Ein weiterer bedeutender Zusammenschluss ist der Ijaw National Congress (INC), der aus Wahlen der verschiedenen Ijaw-Gemeinden hervorgeht und eng mit dem IYC kooperiert. Die Niger Delta Volunteer Force (NDVF) galt allgemein als bewaffneter Arm des Widerstands. Sie verfügte 1999 nach eigenen, vermutlich stark übertriebenen Angaben über 6.500 Kämpfer und rekrutierte sich vor allem aus arbeitslosen Jugendlichen sowie entlassenen Soldaten der nigerianischen Armee.
Im Jahr 1999 überschritt der Konflikt auf Grund einer verfestigten organisatorischen Basis und gesteigerten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften erstmals die Schwelle zum Krieg. Das ganze Jahr über kam es zu kleineren Kämpfen mit diesen und mit Itsekiri. Vielfach wurden Ölplattformen und Firmensitze besetzt, Ölarbeiter entführt und Pipelines sabotiert. Drei Höhepunkte dominierten jedoch das Konfliktgeschehen. In Erwartung der Durchsetzung der Kaiama-Deklaration war seit Ende Dezember 1998 mit der Stationierung von etwa 15.000 Soldaten im Delta begonnen worden. Ab dem 30. Dezember kam es im Bundesstaat Bayelsa zu mehreren Demonstrationen und Blockaden durch Ijaw-Jugendliche. In deren Verlauf wurden mehrere Polizeireviere und öffentliche Gebäude gestürmt und geplündert. Nach Angaben von Human Rights Watch erschoss das Militär bei der versuchten Niederschlagung der Aktionen 25 Menschen, und mindestens drei Soldaten wurden während der Demonstrationen und bei anschließenden Attacken von Milizen auf Straßensperren getötet. Bei Vergeltungsmaßnahmen des Militärs wurden in den folgenden Tagen weitere 100 bis 200 Menschen getötet und mehrere Dörfer niedergebrannt. Im Mai erhielten die Auseinandersetzungen zwischen Ijaw und Itsekiri neuen Auftrieb. Fast zeitgleich mit der Amtseinführung des neu gewählten Präsidenten Olusegun Obasanjo am 29. Mai verübten uniformierte und mit Maschinengewehren ausgerüstete Ijaw eine Vergeltungsaktion an den Itsekiri. Bei der Brandschatzung eines Dorfes kamen rund 100 Menschen ums Leben und die Unruhen weiteten sich auf die weitere Umgebung aus. In den zwei Wochen nach der Amtseinführung Obasanjos kamen insgesamt rund 200 Menschen ums Leben, Schätzungen sprechen von bis zu 300.000 Flüchtlingen.
Im November eskalierte die Lage erneut, vor allem Bayelsa war hiervon betroffen. Zuvor waren in einem Vorort von Lagos bei mehrtägigen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der extremistischen Yoruba-Organisation Ooduas Peoples Congress (OPC) und Ijaw bereits zwölf Menschen ums Leben gekommen. Anfang November wurden in der 60.000 Einwohner Stadt Odi im Bundesstaat Bayelsa zwölf Polizisten entführt und ermordet. Die Entführer hatten angenommen, dass diese Yoruba seien. Präsident Obasanjo bezichtigte den Gouverneur Bayelsas offen der Komplizenschaft mit den Tätern und forderte ihn auf, die Festnahme sicher zu stellen. Als diese nicht erfolgte und in den nächsten zwei Wochen weitere Sicherheitskräfte getötet wurden, begann ab dem 19. November eine Stationierung von 2.000 Soldaten in den Bundesstaaten Delta und Bayelsa. Odi wurde vom Militär besetzt und dabei anscheinend aus Rache für Attacken von Milizen nahezu vollständig zerstört. Zwischen 65 und 200 Menschen sollen bei der Erstürmung ums Leben gekommen sein.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Im Berichtsjahr 2000 nahmen die Auseinandersetzungen zwischen Ijaw-Rebellen und Sicherheitskräften deutlich ab. Der INC verkündete am 17. Januar 2000 einen Waffenstillstand, womit er auf die offensichtliche militärische Unterlegenheit der Milizen reagierte. Unklar ist, ob die NDVF weiterhin besteht. Nach Angaben aus dem Umfeld des INC soll sie aufgelöst und ihre Mitglieder in den IYC integriert worden sein. Auch die Bemühungen des IYC und anderer Ijaw-Organisationen, die interethnischen Auseinandersetzungen mit den Itsekiri zu stoppen und den politischen Charakter des Widerstands herauszustellen, scheinen Erfolge zu zeigen. Die Rückkehr von Itsekiri-Flüchtlingen führte Anfang April noch zu kurzen Auseinandersetzungen, die sich diesmal aber nicht ausweiteten. Auch Polizei und Militär schienen sich in Zurückhaltung zu üben, obwohl die Angriffe auf Ölplattformen, Terminals, Schiffe, Geschäftssitze und Kontraktfirmen quantitativ eher zugenommen und zur Verlegung vieler Geschäftsaktivitäten geführt haben. Shell fuhr zum Jahresende die Ölproduktion um ein Drittel zurück. Fast wöchentlich kam es zu Zwischenfällen, insgesamt wurden weit über 230 Geiseln genommen. Die Aktionen schienen in der Mehrzahl der Fälle dezentral organisiert und von Dorfgemeinden, die in dem Fördergebiet der Ölkonzerne ansässig sind, durchgeführt worden zu sein. Sie beschränkten sich auch nicht auf das Ijaw-Gebiet. Forderungen waren in erster Linie Entwicklungsleistungen der Ölkonzerne, häufig ging es auch um Kompensationszahlungen für Ölunfälle. Gegen Jahresende drohte die Situation erneut zu eskalieren. Bei dem angeblichen Versuch von Ijaw-Jugendlichen, Mitte Oktober eine Plattform des Ölkonzerns Agip in Bayelsa zu stürmen, schossen Sicherheitskräfte und töteten mindestens zwei der Angreifer. Mindestens zehn weitere Tote gab es bei verschiedenen Gefechten zwischen Spezialeinheiten der Polizei und Pipeline-Saboteuren. Einer Mitte September eingesetzten Einheit wird in einem Parlamentsbericht vorgeworfen, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben, darunter mindestens eine Exekution und die Brandschatzung mehrerer Dörfer.
Auf nationaler Ebene dominierte eine Debatte um die Aufstellung einer Niger Delta Development Commission (NDDC) die Niger-Delta-Frage. Über diese soll ein Teil des 13-prozentigen Ressourcenrückflusses verwaltet werden, der den Öl produzierenden Bundesstaaten nach der am 29. Mai 1999 in Kraft getretenen neuen Verfassung zusteht. Ein Machtkampf zwischen Parlament und Regierung verzögerte die Entscheidungsfindung, bis das entsprechende Gesetz Anfang Juni 2000 doch noch verabschiedet werden konnte. Hiervon hatte Obasanjo die Auszahlung des Anteils der Staaten abhängig gemacht. Diese fand kurz danach statt, allerdings ohne die Geltungszeit der Verfassung im Jahre 1999 zu berücksichtigen. Zumindest begonnen wurden Bemühungen, das konfliktträchtige Abfackeln von Erdgas zu unterbinden. Strittig ist hierbei vor allem der Zeitplan, während die Ölkonzerne einen Ausstieg bis 2008 für möglich halten, verlangt die Regierung einen solchen bis 2003. Darüber hinaus hat sie die Ölmultis aufgefordert, Pläne für die Beseitigung von Umweltschäden im Delta vorzulegen.
Der IYC und der INC scheinen im Berichtsjahr 2000 ihre Rolle als Wortführer des Widerstands ausgebaut haben zu können. Die Aussichten auf Verhandlungserfolge sind im Berichtszeitraum durch eine erhöhte Kompromissbereitschaft und innere Geschlossenheit der Ijaw-Organisationen gestiegen. Wurden im Vorjahr noch Verhandlungen auf einer anderen Basis als der Kaiama-Deklaration kategorisch abgelehnt, so sind 2000 verschiedene Regierungsvorhaben von einigen Ijaw-Führern ausdrücklich begrüßt worden. Die Regierung Obasanjo scheint den Forderungen der Delta-Bewohner deutlich aufgeschlossener gegenüber zu stehen als die vorangehenden Militärregierungen, ist jedoch in Folge von Machtkämpfen durch Ineffizienz gekennzeichnet. Sie wird nicht nur die bisher angerichteten ökologischen Schäden bewältigen, sondern auch neue Unfälle verhindern müssen. Viele der Pipelines rotten seit 20 bis 30 Jahren im Brackwasser vor sich hin. Die Nigerian National Petroleum Corporation (NNPC), über die der Staat seine Anteile an den Ölkonzernen verwaltet, meldete 2000 fast 800 Fälle von Pipeline-Manipulationen, sprich Ölaustritten. Nach Ansicht der Weltbank sind mindestens 70 Prozent der Ölunfälle im Delta auf mangelnde Wartung zurückzuführen.
Felix Gerdes
Bewaffnete Konflikte im Niger seit 1993
- Nigeria (Sharia-Unruhen, 1999-2002)
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Nigeria (Tiv, Junkun, 2000 - 2002)
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Nigeria (Niger-Delta, 2003 - )
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Nigeria (Nord- und Zentralnigeria, 2004 - )