SOZIALWISSENSCHAFTEN
Vom Datensatz zum Prototyp: Studierende im Einsatz für NachhaltigkeitTransfertalk: Warum machen Sie eigentlich Transfer?
27. November 2025, von WiSo-Fakultät

Foto: ROSI
„Mein Herz schlägt für Transfer, für Forschung, die wirkungsorientiert ist und sich ganz konkret an den Nachhaltigkeitszielen orientiert“
Im Gespräch mit der Lehrenden Dr. Larissa Gebken aus dem Fachbereich Sozialökonomie, teilt sie ihre Erfahrungen aus dem transferorientierten Seminar Digitale soziale Innovation. Wie Studierende, Informatik und Nachhaltigkeit im Seminar vereint werden und welche Wirkung sich in diesem Zusammenspiel entfaltet, lesen Sie hier.
- Titel der Veranstaltung: Digitale soziale Innovation
- Anzahl Studis: 30
- Studiengang: M.Sc. Public und Nonprofit Studien (PUNO), MSc Innovation, Business and Sustainability (MIBAS), B.A. Sozialökonomie
- Lehrpersonen: Larissa Gebken (FB Sozialökonomie), Rahel Bekele (Addis Abeba Universität)
- Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren: Extension Worker aus Äthiopien, sowie (werdende) Mütter
- Transferorientierte Veranstaltungen: Science Slam
Warum machen Sie eigentlich Transfer?
„Für mich macht Wissenschaft nur dann Sinn, wenn sie auch wirklich etwas bewirkt. Ich habe einen stark gestaltungsorientierten Forschungsansatz, der aus der Wirtschaftsinformatik kommt, und da geht es immer darum, Probleme nicht nur zu beschreiben, sondern auch Lösungen zu entwickeln. Angesichts der vielen gesellschaftlichen Herausforderungen finde ich es einfach zu wenig, nur im Theoretischen zu bleiben. Mein Herz schlägt für Transfer, für Forschung, die wirkungsorientiert ist und sich ganz konkret an den Nachhaltigkeitszielen orientiert.
Dabei sehe ich auch, wie sehr Studierende davon profitieren. Sie merken, dass ihre Arbeit Sinn hat, sind motivierter und lernen auf eine andere Art, wenn sie mit Praxispartner:innen an echten Projekten arbeiten. Gleichzeitig lässt sich dieses Wissen im Nachgang wieder theoretisch reflektieren – so bleiben Wissenschaft und Praxis eng miteinander verbunden. Rein abstrakte Theorien ohne Anschlussfähigkeit empfinde ich dagegen persönlich als wenig sinnvoll.
Ein wichtiger Punkt ist für mich auch der Nachhaltigkeitsbezug, den wir hier im Team stark machen. Es gibt klare Studien, die zeigen, dass Menschen – insbesondere, wenn sie nicht weiß und cis-männlich sind – sind dann motiviert, wenn sie einen Sinn hinter dem Programmieren sehen. Es reicht eben nicht, im Kurs den x-ten Musicplayer zu entwickeln, den niemand braucht. Spannend wird es erst, wenn ich begreife: Ich kann mit meiner Arbeit tatsächlich ein gesellschaftliches Problem lösen. Genau das begeistert viele, und genau deshalb ist es mir auch ein Anliegen, mehr Frauen und andere bisher unterrepräsentierte Gruppen für die Informatik zu gewinnen.“
Worum ging es in der Lehrveranstaltung?
„Der Kurs heißt ‚Digitale soziale Innovationen‘, und im Kern geht es darum, wie wir gesellschaftliche Herausforderungen adressieren können – immer mit Blick auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN. In diesem Semester liegt der Fokus zum Beispiel auf der Gesundheit von Müttern und Kindern, weil die Müttersterblichkeit in Äthiopien nach wie vor sehr hoch ist. Wir arbeiten dabei immer mit mindestens einer Organisation zusammen und begleiten die Studierenden von der Ideenentwicklung über das Prototyping bis hin zu ethisch verantwortungsvollen Lösungen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, sich frühzeitig mit möglichen Moralkonflikten im Entwicklungsprozess auseinanderzusetzen.
Normalerweise erheben die Studierenden im Kurs selbst empirische Daten und arbeiten direkt damit – dieses Semester war das etwas anders. Die Feldarbeit sollte eigentlich in Äthiopien stattfinden, was von Deutschland aus schwierig war. Deshalb haben wir ein spezielles Konzept entwickelt: Studierende vor Ort in Äthiopien haben Daten erhoben, und hier an der Uni konnten die Studierenden auf ältere Datensätze zurückgreifen, die Rahel zuvor gesammelt hatte. Mit diesen Datensätzen entwickeln sie dann ihre eigenen Anwendungen und Prototypen.
Vom Ablauf her starten wir immer mit den Grundlagen: Was sind eigentlich digitale soziale Innovationen? Welche Designs und Forschungsansätze gibt es? Ein Schwerpunkt liegt auch auf ethischer Technikentwicklung. Später geht es dann praktisch weiter – Daten auswerten, eigene Prototypen bauen und am Ende ihre Projekte etwa in Form eines Science Slams präsentieren. Es ist also eine Mischung aus theoretischem Input, ethischer Reflexion und ganz viel hands-on Praxis – genau das macht den Kurs so spannend.“
Was war besonders an dem Seminar? Wie wird Transfer umgesetzt?
„Ich glaube, für mich als Lehrende war es besonders spannend, diese Brücken zwischen den Ländern zu bauen. Durch die Transferförderung konnte ich selbst einmal vor Ort in Äthiopien sein, die Partnerinnen und Partner kennenlernen, mit denen wir zusammenarbeiten, und so ein echtes Gefühl für den Kontext entwickeln. Gleichzeitig ist es natürlich auch herausfordernd – wenn man hier sitzt, wenig Erfahrung mit den lokalen Gegebenheiten hat und dann versucht, etwas Relevantes und Sinnvolles zu gestalten.
Das Besondere an der Studiengruppe war für mich, dass alle Studierenden ganz unterschiedliche Wege gegangen sind. Anfangs hatte ich ein bisschen Bedenken, weil wir alle an einem Thema gearbeitet haben – normalerweise haben Studierende unterschiedliche NGOs oder Projekte. Ich dachte, es könnte sich alles sehr ähneln, aber tatsächlich haben sie alle eigene, kreative Richtungen gefunden. Diese Vielfalt innerhalb eines gemeinsamen Rahmens fand ich unglaublich bereichernd. Dazu kommt noch das kulturelle Brückenbauen zwischen den Lehrenden: Es ist wunderschön zu sehen, wie man Verständnis für unterschiedliche Kontexte schafft und gute Zusammenarbeit ermöglicht.
Was den Kurs wirklich besonders macht, ist, dass die Studierenden oft ins kalte Wasser geworfen werden – es gibt keine perfekt vorgegebene Aufgabenstellung. Stattdessen üben sie, eigene Entscheidungen zu treffen, Prototypen zu entwickeln und mit der Unsicherheit zu arbeiten, die realen Projekten entspricht. Gerade in gestaltungsorientierter Forschung gibt es selten klare Antworten – Entscheidungen sind fast immer nuanciert. Genau das macht den Wert dieses Kurses aus: die Studierenden lernen, sich in komplexen, offenen Situationen zurechtzufinden, zu reflektieren und gemeinsam Erkenntnisgewinn zu erzielen.“
Was hat Ihnen besonders Spaß gemacht?
„Das, was mir an der Lehre grundsätzlich am meisten Spaß macht, ist zu sehen, wenn Studierende richtig aufblühen und sich für ein Thema begeistern. Ein schönes Zeichen ist zum Beispiel, wenn sie am Ende des Kurses noch da bleiben, obwohl sie theoretisch schon gehen könnten. Das klingt vielleicht banal, aber für mich ist das ein echter Indikator: Die Studierenden sind engagiert, sie sind motiviert und lernen nicht nur, weil sie müssen, sondern weil es ihnen Freude macht.
Für mich hat das auch etwas Persönliches. Ich komme aus einer Zeit, in der Lernen in der Schule und teilweise auch im Studium nicht besonders Spaß gemacht hat. Lange dachte ich, das läge an mir – ich hätte einfach nicht den richtigen Zugang gefunden. Erst während meiner Doktorarbeit habe ich selbst erlebt, dass Lernen auch Freude bereiten kann. Durch meine Kurse hoffe ich, dass ich diesen Zugang bei Studierenden früher auslöse: dass sie erkennen, Lernen kann Spaß machen, und dass es sogar ein Weg sein kann, den man beruflich einschlägt. Lehre ist immer subjektiv – was für den einen ein tolles Seminar ist, findet der andere vielleicht gar nicht spannend – aber genau diese Begeisterung bei den Studierenden zu sehen, ist für mich das Schönste.“
Welche Tipps haben Sie für andere Lehrende, die in ihrer Lehre einen Praxisbezug herstellen möchten?
„Ich glaube, für mich ist es besonders wichtig, agil zu sein und flexibel auf die Umstände zu reagieren. Gerade bei Gruppenarbeit bedeutet das, dass man ad hoc auf Situationen eingeht und die Studierenden gleichzeitig die Freiheit hat, ihre Ideen auszuprobieren. Mein Lehrstil ist dabei sehr transparent: Wenn mal eine Antwort nicht sofort da ist, machen wir einfach beim nächsten Mal weiter. Ich liebe außerdem Blogveranstaltungen – gerade bei Transferprojekten macht es Sinn, Ergebnisse zu dokumentieren, auch wenn es manchmal herausfordernd ist, das umzusetzen.
Ein weiteres Thema ist die Struktur der Kurse. Ich setze gerne auf Blockseminare, also viele Stunden am Stück, statt einzelne Termine über Wochen zu verteilen. Das macht für Studierende einen großen Unterschied, weil sie sonst immer wieder neu einsteigen müssen, gerade reindenken und dann wieder pausieren – das ist frustrierend und erschwert echten Fortschritt. Blockseminare erlauben es, tiefer einzutauchen und kontinuierlich zu arbeiten. Natürlich hat das Vor- und Nachteile, aber für mich überwiegt der Vorteil, dass man so wirklich am Stück an Projekten arbeiten und echte Lernerfahrungen sammeln kann.“
Falls auch Sie mehr Transfer in Ihre Lehre integrieren oder Ihre Transferformate sichtbarer machen wollen, schreiben Sie eine E-Mail mit Ihrem Anliegen an: rosi.wiso@uni-hamburg.de(rosi"AT"uni-hamburg.de).

