Algerien
Kriege in Algerien seit 1945
Algerien (Dekolonisation, FLN, 1954 - 1962)
AKUF-Datenbanknr.: |
35 |
Kriegsdauer: |
01.11.1954 - 19.03.1962 |
Kriegstyp: |
D-2 |
Kriegsbeendigung |
durch Vereinbarung ohne Vermittlung |
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Kriegführende |
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Seite A |
Front de Libération Nationale (FLN) und deren Armée de Libération Nationale (ALN), bis 1955 als Comité Revolutionaire pour l`Unité et l'Action (CRVA) / Mouvement National Algérien (MNA) (11/1954 - 5/1956) |
Seite B |
Frankreich |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Am 1. November 1954 begann die FLN den bewaffneten Kampf gegen die französische Kolonialmacht, um die Unabhängigkeit Algeriens durchzusetzen. Innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung konkurrierte die FLN mit der MNA, die vor allem von algerischen Arbeitern in Frankreich getragen wurde. In Frankreich kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Organisationen.¹ Der Krieg in Algerien eskalierte, als die französische Kolonialmacht auf Gesprächsangebote der Nationalisten nicht einging und stattdessen mit umfangreichen militärischen Einsätzen und Counter-Insurgency-Maßnahmen reagierte. 1961 waren schließlich mehr als 400.000 französische Soldaten in Algerien stationiert.
Im Laufe des Krieges bildete sich aus Kreisen der französischen Siedlerschaft die OAS, die im Verein mit französischen Militäreinheiten durch Terror erzwingen wollte, daß Algerien Teil Frankreichs bleibt. Die Übergriffe der OAS dauerten nach Unterzeichnung des Waffenstillstands zwischen der FLN und Frankreich im März 1962 noch über ein Jahr an. In Algier kam es 1961 zu einem Putschversuch von Teilen der französischen Armee und Siedlern, der aber von loyalen Truppen de Gaulles niedergeschlagen wurde.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Der Krieg war mitursächlich für das Ende der Vierten Republik und die Machtübernahme de Gaulles. Erst nach zweijährigen Gesprächen gelang es, den Krieg und die mehr als dreizehn Dekaden dauernde Kolonialherrschaft Frankreichs über Algerien zu beenden. Mit schweren Hypotheken wurde Algerien 1962 in die Unabhängigkeit entlassen. Die Zahlenangaben über Kriegsopfer schwanken zwischen 250.000 und zwei Millionen. Über 20.000 Dörfer wurden zerstört, durch die Kriegsgeschehnisse wurden große Waldgebiete und weite Teile der landwirtschaftlichen Nutzfläche verwüstet. Neun Zehntel der über eine Million französischer Siedler verließen Algerien. Mehr als 700.000 Flüchtlinge mußten repatriiert werden. Die Arbeitslosigkeit stieg unmittelbar nach dem Krieg auf 70% an. Die finanziellen Aufwendungen Frankreichs für den Krieg werden auf mindestens 20 Mrd. US-$ geschätzt.
ANMERKUNGEN
[1] Bis 1958 gab es einen erbitterten Kleinkrieg der MNA gegen die FLN. Die MNA ("Messalisten"), ursprünglich die tragende Unabhängigkeitsbewegung mit Massenverankerung zunächst in der algerischen Arbeiterschaft, dann auch in der ländlichen Bevölkerung, verlor ihre Basis und Massenunterstützung zunehmend an die FLN, spaltete sich schließlich von der Unabhängigkeitsbewegung ab, unterlag dann immer mehr der FLN und wurde schließlich bedeutungslos.
Klaus Schlichte
Algerien / Marokko ("Tindouf-Krieg", 1963 - 1964)
AKUF-Datenbanknr.: |
70 |
Kriegsdauer: |
10/1963 - 2/1964¹ |
Kriegstyp: |
C-2 |
Kriegsbeendigung |
durch Vermittlung Dritter (Regionalstaat(en)) |
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Kriegführende |
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Seite A |
Algerien |
Seite B |
Marokko |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Da es im westlichen Teil der algerischen Sahara keine exakt festgelegte Grenzlinie gibt, ließ König Hasssan II von Marokko seine Truppen ins Tindouf-Gebiet (westlicher Teil des algerischen Sahara-Gebiets) einmarschieren, um es dem von ihm, aber auch der Opposition Istiqlal angestrebten "Groß-Marokko" einzugliedern. Das Tindouf-Gebiet betrachtete Marokko als strategisch sehr bedeutsam, da es Algeriens einzigen Landzugang zur Westsahara darstellt. Daneben sind die reichen Bodenschätze (Erze und Phosphate) in der Region als wesentliches Motiv für den Grenzkonflikt zu betrachten.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
Die marokkanischen Truppen wurden von algerischen Truppen zurückgedrängt. Die Kriegsbeendigung erfolgte durch Verhandlungen, vermittelt durch Äthiopien. Der Status quo ante wurde zwar wiederhergestellt; aber erst 1972 unterzeichnete Marokko einen Grenzvertrag mit Algerien, in dem es seine Ansprüche auf Tindouf aufgab. Der Vertrag wurde schließlich im Mai 1989 ratifiziert und am 22. Juni 1992 im marokkanischen "Bulletin Official" veröffentlicht. Bei den Kämpfen kamen ca. 1.000 Soldaten ums Leben.
ANMERKUNGEN
[1] Die Dauer des Krieges wird in der Literatur unterschiedlich angegeben: ORAE: Oktober 1963 bis Februar 1964; Dingemann: 1962; Small/Singer 1963 bis 1964.
Ulrike Borchardt
Algerien (AIS, GIA, GSPC, AQMI, 1992 - andauernd)
AKUF-Datenbanknr.: |
206 |
Kriegsdauer: |
2/1992 - andauernd |
Kriegstyp: |
A-2 |
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Kriegführende |
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Seite A |
Algerien |
Seite B |
Mouvement Islamique Armé (MIA), 1994 umbenannt in Armée Islamique du Salut (AIS) / Groupe Islamique Armé (GIA) (seit 1993) |
KONFLIKTGEGENSTAND UND -ZIELE
Bei den ersten demokratischen Wahlen vom 26. Dezember 1991 gewann die Front Islamique du Salut (FIS, Islamische Heilsfront). Um eine legale Machtübernahme der FIS zu verhindern, zwang die algerische Militärführung unter General Khale Nezzar den bis dahin amtierenden Regierungschef Chadli Bendjedid am 11. Januar 1992 zum Rücktritt, da dieser zu einer Zusammenarbeit mit der FIS bereit war. Stattdessen setzte die Militärführung einen "Hohen Staatsrat" (HCE) ein und ernannte den 73jährigen Boudiaf zum Präsidenten. Boudiaf, der aus fast 30-jährigem marokkanischen Exil zurückgekehrt war und bald nach seinem Amtsantritt "Versöhnungsgesten" ankündigte, die zu einer Demokratisierung und zu baldigen Parlamentswahlen führen sollte, wurde am 29. Juni 1992 von einem Mitglied seiner Sicherheitsgarde getötet.
Zwei Gruppierungen wird ein Großteil der zahlreichen Attentate und Überfälle auf Militäreinheiten, öffentliche Gebäude und Fabriken zur Last gelegt. Es ist zum einen das Mouvement Islamique Armé (MIA), das allgemein als bewaffneter Arm der im März 1992 verbotenen FIS angesehen wird. Viele Mitglieder des MIA waren in den Internierungslagern in der Sahara gefangen, die zu wahrhaften Schulungslagern für zukünftige Islamisten wurden. Seit dem Frühjahr 1994 nennt sich diese Gruppierung Armée Islamique du Salut (AIS). Im Gegensatz zur Groupe Islamique Armé (GIA) lehnt sie Anschläge auf Ausländer, Schulen und soziale Einrichtungen des Staates ausdrücklich ab. Die GIA dagegen, die insbesondere seit 1994 durch immer mehr Zivilisten treffende Terroranschläge von sich Reden machte, scheint das größte Hindernis für eine Beendigung des Bürgerkrieges zu sein. 1995 dehnte sie ihre Terroranschläge auch auf Frankreich aus, wo sie für die im Sommer und Herbst begangenen Anschläge auf Metro-Stationen und andere öffentliche Einrichtungen verantwortlich gemacht wurde. Sie rekrutiert sich vorwiegend aus armen Jugendlichen der Vorstädte. Entstanden ist die Gruppierung im Juli 1992 als Reaktion auf die Ermordung und Verhaftung mehrerer islamistischer Untergrundführer. Im Sommer 1994 verkündete sie die Einrichtung eines "Kalifats" als islamistische Gegenregierung, um sich ausdrücklich von der FIS abzugrenzen, die immer wieder ihre Dialogbereitschaft mit den demokratischen Parteien Algeriens, einschließlich der Staatsführung, beteuert hatte. Entsprechend ihrer ablehnenden Haltung gegenüber jedweder Form des Dialogs mit der amtierenden Regierung lehnte sie auch die im Januar 1995 zwischen der FIS, der Front de Libération Nationale (FLN) und Front des Forces Socialistes (FFS) verabschiedete "Plattform von Rom" entschieden ab. Dieses Dokument verstand sich als "Nationalvertrag" und sollte der "Wiederherstellung des souveränen, demokratischen und sozialen algerischen Staates im Rahmen der Prinzipien des Islam" dienen. Da es jedoch nicht nur von der radikalen GIA, sondern ebenso von der amtierenden Regierung negiert wurde, blieb es ohne Einfluß auf die weitere Entwicklung des Bürgerkrieges.
ERGEBNISSE DES KRIEGES
vgl. Algerien aktuell
Ulrike Borchardt