Augstein-Ringvorlesung mit Sonia Mikich als prominenter Rednerin
22. Dezember 2023

Foto: Janne Dierks
Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die aktuelle Ringvorlesung „Sagen, was ist“ am 19. Dezember mit einem Vortrag von Sonia Mikich. Die Publizistin, ehemalige WDR-Chefredakteurin und Moskau-Korrespondentin sprach über Friedensjournalismus und fragte, ob es dergleichen in kriegerischen Zeiten wie diesen überhaupt geben könne. Die Ringvorlesung ist dem „Spiegel“-Mitgründer Rudolf Augstein gewidmet. Augstein, der auch Ehrensenator der Universität Hamburg war, wäre am 5. November 100 Jahre alt geworden.
Mikich zitierte zu Beginn aus ihrem Tagebuch aus der Zeit Tschetschenien-Kriegs, den sie als Reporterin begleitete. Sie machte deutlich, wie wichtig es ist, vor Ort zu sein und mit allen Seiten zu sprechen. Die Glaubwürdigkeit von Kriegsberichterstattung hänge von der Integrität der Reporter:innen ab. Genaues Hinsehen und Hinhören hilft laut Mikich, Konflikte besser zu verstehen und auch manipulative Inszenierungen einer Kriegspartei rechtzeitig zu erkennen.
Friedensjournalismus ist in Mikichs Verständnis einer, der nicht Vorurteile und Klischees reproduziert und sich auch nicht an der Dehumanisierung von Täter:innen beteiligt. Die Rednerin kritisierte in diesem Zusammenhang den „Spiegel“, der den Hamas-Anführer Yahya Sinwar jüngst als „Monster von Gaza“ tituliert hatte.
Kriegsberichterstattung oder auch Friedensjournalismus sei immer für ein Publikum da, das Aufklärung über die Hintergründe von Konflikten und Kriegen verdient habe. „We go there, because you need to know”, umschrieb die prominente Journalistin und Buchautorin ihr Motto. Aufrechte Journalist:innen suchten das Gespräch auch mit den Krieger:innen. Vor allem aber sollten sie den Opfern ein Gesicht geben – ohne diese entwürdigend zu zeigen.
In Kriegen neutral zu bleiben, sei ihr immer schwergefallen, gab Mikich zu und offenbarte, dass sie sich häufiger „mit einer guten Sache gemein gemacht“ habe (was nach einem berühmten Diktum von Hanns Joachim Friedrichs eigentlich nicht erlaubt ist). Als Beispiele nannte Mikich, dass sie im Fluggepäck ihres Fernsehteams Medikamente mit nach Tschetschenien genommen habe. Und sie organisierte für einen schwerverletzten tschetschenischen Kämpfer eine rettende OP in Deutschland.
Die Referentin hatte sich in der Vorbereitung ihrer Rede auch mit wissenschaftlichen Konzepten von Johan Galtung, Wilhelm Kempf und Nadine Bilke auseinandergesetzt. Nadine Bilke, inzwischen Programmdirektorin des ZDF, hatte in ihrer Dissertation das Ideal eines „konfliktsensitiven Journalismus“ beschrieben. Mikich zeigte dafür große Sympathie. Ebenso verwies sie auf die Bedeutung von Framing und Wording in der Kriegsberichterstattung. Bei all dem müssten verantwortliche Journalist:innen äußerst überlegt vorgehen.
Mikichs Rede war die neunte von 13 „Augstein Lectures“, wie die Ringvorlesung auch genannt wird. Die Veranstaltung wird angeboten von Prof. Dr. Volker Lilienthal im Rahmen des Allgemeinen Vorlesungswesens der Universität Hamburg. Sie steht Studierenden ebenso offen wie interessierten Bürger:innen. Das Programm der gesamten Ringvorlesung, die immer dienstags ab 18 Uhr in Hörsaal B an der Edmund-Siemers-Allee 1 stattfindet, kann hier eingesehen werden. Nächster Redner ist am 9. Januar Dr. Armin Wolf, stellvertretender Chefredakteur des ORF und prominenter Moderator der Nachrichtensendung „ZIB 2“ (in Deutschland auf 3sat zu empfangen). Wolf wird über den Reformbedarf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sprechen.
Dank einer Medienkooperation mit dem Hamburger Bürger:innensender TIDE werden alle Lectures aufgezeichnet und können hinterher auf Youtube angesehen werden. Derzeit sind neun Vorträge online. Die Playlist wird von TIDE nach und nach aktualisiert. Zum Abschluss der Reihe wird am 30. Januar Dr. Franziska Augstein, die Tochter von Rudolf Augstein, über das Journalismus-Verständnis ihres Vaters sprechen. „Sagen, was ist“ – was bedeutete dieses berühmte publizistische Leitmotiv für den „Spiegel“-Chef?