Hauptaussagen
Zentrale Aussagen des Klimawende Ausblicks 2025:
Der vorliegende Klimawende Ausblick 2025 ist der zweite Band unserer Studienreihe zu den gesellschaftlichen Dynamiken der Transformation zur Klimaneutralität in Deutschland. Ziel der Reihe ist es, die Plausibilität eines Erreichens der deutschen Klimaziele sozialwissenschaftlich fundiert einzuschätzen. Die dafür nötigen Beobachtungs- und Analysekapazitäten bauen wir über die Jahre schrittweise auf.
Der Übergang zur Klimaneutralität ist nicht nur ein technisches Unterfangen, sondern erfordert einen tiefgreifenden, umfassenden und langfristigen sozialen Wandel. Neben neuen Technologien und Märkten braucht es auch eine Gesellschaft der Klimawende – eine Gesellschaft, in der staatliche Handlungskapazitäten zur Planung und Umsetzung der Klimawende auf allen Ebenen gestärkt werden, klimapolitische Maßnahmen gesellschaftliche Resonanz finden und breite zivilgesellschaftliche Kräfte die Transformation aktiv unterstützen und auch eigenständig vorantreiben.
Allerdings zeigt unsere Analyse, dass angesichts aktuell beobachtbarer und zukünftig erwartbarer Entwicklungen ein Erreichen der Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 momentan wenig plausibel erscheint. Zu diesem Ergebnis kommen wir auf Grundlage einer eingehenden Untersuchung von Schlüsselprozessen bzw. gesellschaftlichen Treibern in den Handlungsfeldern der Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Entwicklungen in diesen Schlüsselprozessen sowie in ihren Rahmenbedingungen beobachten und analysieren wir kontinuierlich und schätzen anhand dessen ab, wie diese Treiber die Plausibilität eines Erreichens der Klimaziele beeinflussen.
Im Vergleich zum letzten Bericht stellen wir im Beobachtungszeitraum insgesamt eine nachlassende Dynamik für den Klimaschutz fest. Kein untersuchter gesellschaftlicher Treiber unterstützt die Klimawende umfassend. Zwei – der kommunale Klimaschutz und die Klimaklagen – wirken überwiegend unterstützend, reichen jedoch nicht aus, um Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Drei Treiber – deutsche Klimapolitik im europäischen Rahmen, globale Klimagovernance sowie Klimabewegung und -proteste – tragen teilweise zur Klimawende bei, bleiben aber deutlich unzureichend. Unternehmenshandeln zeigt sich ambivalent im Hinblick auf die Transformation zur Klimaneutralität, während aktuelle Konsummuster die Klimawende sogar ausbremsen.
Im Handlungsfeld der Politik bestehen zwar zentrale Regelwerke wie das Bundes-Klimaschutzgesetz, der EU Green Deal oder das Pariser Klimaabkommen fort und sorgen für eine gewisse politische und wirtschaftliche Stabilität bei der Zielorientierung, doch dürften sich bestehende Umsetzungslücken in absehbarer Zukunft weiter vergrößern. Zudem lässt sich in Teilen der Bevölkerung und Politik eine abnehmende Resonanz für Klimaschutzmaßnahmen und ein zunehmender anti-ökologischer Backlash feststellen, der sich in den vergangenen Jahren etwa in den Konflikten rund um das „Heizungsgesetz“ oder bei den „Bauernprotesten“ zeigte. Indem schon beschlossene Ziele und Maßnahmen durch zentrale politische Akteure infrage gestellt werden, wächst die Unsicherheit für Kommunen, Verbraucher*innen und Marktakteure.
Im Handlungsfeld der Wirtschaft stellen insbesondere die demokratisch legitimierende Funktion von Wirtschaftswachstum sowie wachsende soziale Ungleichheiten hemmende Faktoren für eine umfassende Transformation dar. Infolgedessen bremsen aktuelle Konsummuster den Übergang zur Klimaneutralität aus, während sich beim Unternehmenshandeln gegenläufige Entwicklungen in verschiedenen Wirtschaftssektoren und je nach Unternehmensgrößen zeigen. Veränderungen aus nur einem gesellschaftlichen Bereich heraus erscheinen wenig erfolgversprechend: Weder individuelle Verhaltensänderungen noch freiwillige Selbstverpflichtungen entwickeln eine ausreichende Dynamik für die Transformation, solange die zugrundeliegenden strukturellen Bedingungen nicht mitverändert werden. Unterliegende Triebkräfte der Emissionsentwicklung werden in politischen Lösungsansätzen aber oft ausgeblendet.
Im Handlungsfeld der Zivilgesellschaft zeigen sich widersprüchliche Tendenzen. Die Klimabewegung befindet sich in einer Phase der strategischen Neuorientierung. Auch wenn die strukturellen und kulturellen Wirkungen vergangener Mobilisierungswellen präsent bleiben, hat der öffentliche Druck, den sie entfalten kann, zuletzt abgenommen. Die Bedeutung von Klimaklagen nimmt hingegen zu. Diese erscheinen zunehmend als antizyklischer Treiber, der der politischen Stagnation entgegenwirkt, Ambitionsniveaus aufrechterhält und gesellschaftlichen Druck in rechtliche Prozesse übersetzt. Allerdings ist auch die Wirkung von Klimaklagen letztlich begrenzt und Erfolge beschränken sich bisher auf bestimmte Kategorien von Klagen. Hinzu kommt die zunehmende Einschränkung von Grundfreiheiten, die die Mobilisierungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft insgesamt verringert.
Wir erwarten zunehmende Spannungen aus dem Zusammenspiel von gesetzlich verankerten Klimazielen, wachsenden Umsetzungslücken und sozialen Schieflagen in der Transformation. Dadurch steigt mittelbar der rechtliche und politische Handlungsdruck, während zugleich die ungleichen Verteilungswirkungen der Klimawende sichtbarer werden und Mobilisierungspotenziale gegen Klimaschutz eröffnen, etwa, wenn Sofortmaßnahmen zur Einhaltung der Klimaziele die Preise für Energie, Konsumgüter oder Dienstleistungen erhöhen. Werden solche Spannungen nicht entschärft, können sie sich zu selbstverstärkenden Blockade- und Eskalationskaskaden aus Verzögerung, Verteuerung, Konflikt und Resonanzverlust verdichten, die das Risiko ernsthafter klimapolitischer und gesellschaftlicher Rückschritte bergen.
Chancen sehen wir in der nach wie vor vergleichsweise starken grundsätzlichen Unterstützung für Klimaschutz in der Bevölkerung, in der anhaltenden Dynamik bei Klimaklagen und im kommunalen Klimaschutz, sowie in einer stärkeren Verbindung von Klimapolitik mit anderen politischen Anliegen. In den letzten Jahren wurden rechtliche Hebel, administrative Kapazitäten und zivilgesellschaftliche Netzwerke – etwa im kommunalen Klimamanagement und lokalen Klimaschutzbündnissen – aufgebaut, die jetzt genutzt werden können, um die Klimawende zu stärken. Zudem wird Klimaschutz zunehmend mit Themen wie Energiesicherheit, Industriepolitik, sozialer Gerechtigkeit oder lokaler Wertschöpfung verknüpft – und damit widerstandsfähiger gegenüber politischen Versuchen, Klimaschutz zurückzufahren.
Wir beobachten außerdem eine zunehmende Verdichtung von Wechselwirkungen zwischen den untersuchten Schlüsselprozessen: Gesetzliche Berichtspflichten schaffen Transparenz über Unternehmens- und Investitionsemissionen, die wiederum gerichtliche Verfahren, Nachhaltigkeitsprüfungen und politische Entscheidungen befördern. Globale Klimakonferenzen erzeugen Resonanzräume für unternehmerische Initiativen und zivilgesellschaftliche Mobilisierung. Solche Rückkopplungen könnten künftig gezielter genutzt werden, um gesellschaftliche Trägerschaften für die Klimawende zu stärken.
Die kommenden Jahre werden voraussichtlich von einer Phase politischer Verteidigung und Konsolidierung geprägt sein: Vorrangig wird es darum gehen, bestehende Ziele, Gesetze und Institutionen gegen Rückbauversuche zu schützen. Gleichzeitig sollten bereits jetzt gesellschaftliche Allianzen aufgebaut werden, die mittelfristig in der Lage sind, neue Impulse zu setzen – etwa rund um kommunale Infrastruktur- und Wärmewenden, um neue strategische Klageformen vorzubereiten, oder um Bündnisse zwischen Kommunen, Wissenschaft, Wirtschaft und sozialen Bewegungen zu knüpfen.
Außerdem gilt es, Möglichkeitsfenster frühzeitig zu erkennen und strategisch vorzubereiten – etwa im Zuge künftiger Auseinandersetzungen um klimabedingte Extremereignisse oder um ein Verfehlen nationaler Klimaziele. Solche Momente können genutzt werden, um die klimapolitische Handlungsfähigkeit in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu stärken und langfristig auf eine Verschiebung der Plausibilität der Klimawende hinzuarbeiten.