Task Force: Globale Verteilungskämpfe. Migrationsabwehr als Quelle autoritärer Gefährdung der Demokratie
Migrationsabwehr ist gegenwärtig ein zentraler Auslöser von autoritären Transformationsprozessen innerhalb liberaler Demokratien. Das Ziel, Migrant:innen abzuschrecken, zu vergrämen oder abzuschieben, ist nicht nur grundlegend für Wahlerfolge rechtsextremer und/oder autoritär-populistischer Parteien. Es motiviert auch demokratische Parteien, grundgesetzliche Garantien oder rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft zu setzen. Konflikte um Migration stellen daher eine akute Herausforderung für demokratische Strukturen dar. Sie haben das Potential, bestehende Ungleichheitsverhältnisse zu verschärfen und Demokratie grundsätzlich zu gefährden.
Für bestehende Erklärungsansätze autoritärer Effekte migrationspolitischer Auseinanderset-zungen ist ein nationalstaatlicher Fokus charakteristisch (methodologischer Nationalismus): Betont werden unter anderem latent vorhandene rassistische Einstellungsmuster und deren Aktivierung, Konkurrenz um Beschäftigungsverhältnisse oder Wohnraum, Sicherheitsprobleme (bzw. deren diskursive Konstruktion), Social-Media-Diskurse und Machtverhältnisse in der Medienöffentlichkeit oder die Rolle von Sicherheitsbehörden. Die Task Force geht demgegenüber der bislang kaum beachteten Frage nach, wie Konflikte um das Migrationsgeschehen und Strategien der Migrationsabwehr durch globale Verteilungskämpfe geprägt sind.
Im Zuge von eigensinnigen Praktiken der Migration (Benz/Schwenken 2005), die das Migrationsmanagement des europäischen Grenzregimes (Georgi 2019) unterlaufen, wird – so die forschungsleitende These – der für das Alltagsbewusstsein in Deutschland prägende Externalisierungshabitus (Lessenich 2016: 62) brüchig: Globale Ungleichheitsverhältnisse, die sonst im Alltag weitgehend ausgeblendet sind, werden unmittelbar erfahrbar. Über Praktiken der Migration aus dem ‚globalen Süden‘ werden implizit Ansprüche auf Teilhabe an der imperialen Lebensweise (Brand/Wissen 2017) des ‚globalen Nordens‘ formuliert. Die alltägliche Erfahr-barkeit entsprechender Ansprüche kann Quelle von Ängsten und Abwehrreflexen sein, die autoritäre Dispositionen und Positionierungen befördern. Um die eigene relativ privilegierte Position in globalen Ungleichheitsverhältnissen zu wahren – und gleichzeitig der Wahrnehmung zu entziehen –, werden komplementäre politische Praktiken der Sicherung (Ausbau militarisierter Grenzregime, Auslagerung von Asylverfahren in den außereuropäischen Raum) und Entsicherung (Entzug von Sozialleistungen, Abschiebung von Personen ohne Aufenthaltstitel) befürwortet. Migrationsabwehr lässt sich vor diesem Hintergrund als Versuch verstehen, den brüchig gewordenen Externalisierungshabitus mittels autoritärer Maßnahmen zu stabilisieren und die (relativ privilegierte) eigene imperiale Lebensweise zu verteidigen.
Um das demokratiegefährdende Potential gegenwärtiger migrationspolitischer Aushandlungs-prozesse zu begrenzen, ist ein reflexiver Umgang mit globaler sozialer Ungleichheit notwendig, der über den genannten Externalisierungshabitus aufklärt und affektgetriebene Abwehrreflexe durchbricht. Die Task Force soll hierfür Ansatzpunkte im politischen Alltagsbewusstsein identifizieren und alternative Deutungsangebote zu den vorherrschenden Diskursen um Migration anbieten.
Laufzeit: 01.09.2025 - 31.08.2026
Drittmittelgeberin: VolkswagenStiftung
Kontakt
Dr. Nikolai Huke (Ko-Projektleitung)
Universität Hamburg
Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Sozialökonomie
Soziologie
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