Zukünfte der Nachhaltigkeit (laufend)
Programm
Kurzdarstellung der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe
Zukünfte der Nachhaltigkeit: Modernisierung, Transformation, Kontrolle
Nachhaltigkeit ist in den letzten drei Jahrzehnten zu einem Leitbegriff gesellschaftlichen Wandels geworden, der weltweit von Staaten, Organisationen, Unternehmen und sozialen Bewegungen als normatives Prinzip proklamiert wird. Hat Nachhaltigkeit damit die Gestalt eines unhintergehbaren Entwicklungsmodells angenommen, so werden doch ganz unterschiedliche Ziele und Zukunftsvorstellungen mit demselben Begriff der Nachhaltigkeit verbunden.
So sehen Vertreter einer „Green Economy“ Nachhaltigkeit als eine künftig unabdingbare Voraussetzung wirtschaftlichen Wachstums an und setzen auf eine Modernisierung der Gesellschaft, die insbesondere die Ökonomie auf Nachhaltigkeit ausrichten soll. Kritiker ökologischer Modernisierung zielen hingegen auf eine fundamentale gesellschaftliche Transformation ab, da gerade der Zwang zum ökonomischen Wachstum als Hindernis einer nachhaltigen Entwicklung betrachtet wird. Demgegenüber steht drittens der Versuch, Probleme der Nachhaltigkeit durch eine umfassende Politik der Kontrolle zu lösen, deren Instrumente der ökologische Notstand, geschützte Enklaven für privilegierte Bevölkerungsgruppen und Maßnahmen zur Resilienzsteigerung vulnerabler Mehrheiten sind.
Mit Modernisierung, Transformation und Kontrolle sind unterschiedliche Entwicklungspfade von Nachhaltigkeit umrissen, bei denen es sich um drei Möglichkeitsräume gesellschaftlichen Wandels handelt. Sie markieren keine bereits feststehenden Entwicklungen, sondern zeigen vor allem an, welche Imaginationen von Zukunft gegenwärtig konflikthaft ausgetragen werden. Imaginationen strukturieren die Praktiken der Nachhaltigkeit, die in gesellschaftlichen Feldern wie Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft vollzogen werden. Diese Praktiken befinden sich in Interdependenzen mit vorgängigen Strukturen wie gesellschaftlichen Institutionen, materiellen Infrastrukturen und dem ökologischen Weltsystem.
Anhand des theoretischen Registers von Imaginationen, Praktiken und Strukturen sollen in der Kollegforschungsgruppe die verschiedenen Zukünfte der Nachhaltigkeit in den besonderen Ausprägungen und den wechselseitigen Verschränkungen von Modernisierung, Transformation und Kontrolle sozialwissenschaftlich untersucht werden.
Die hierbei verfolgte reflexive Perspektive bezieht sich auf Nachhaltigkeit nicht als per se wünschenswerte normative Leitidee, sondern nimmt eine problemorientierte und kritische Perspektive ein, die Widersprüchlichkeiten, Dilemmata und Paradoxien von Nachhaltigkeit nicht ausspart. Nachhaltigkeit dient als eine soziologische Beobachtungskategorie, die Aufschluss darüber zu geben verspricht, welcher sozialökonomische Wandel sich vollzieht, welche neuartigen Konfliktlinien entstehen, welche Ungleichheiten und Hierarchien sich herausbilden, welche neuen Rechtfertigungen der gesellschaftlichen Ordnung auszumachen sind, wenn Gesellschaften Kriterien von Nachhaltigkeit in ihre Funktionsbereiche, Institutionen und kulturellen Wertmuster integrieren.
Das Programm, die Zukünfte von Nachhaltigkeit zu entschlüsseln, beabsichtigt keine Prognostik, sondern strebt eine Gegenwartsanalyse an, deren zentrale Frage lautet, wie sich moderne Gesellschaften verändern, wenn sie sich von verschiedenen Imaginationen von Nachhaltigkeit leiten lassen.
Die (zunächst) vierjährige Laufzeit des Kollegs, das primär der Theoriebildung dient und eine diskursive Arbeitsweise verfolgt, unterteilt sich in fünf Abschnitte. Im ersten Semester wird der zentrale theoretische Begriff der Imagination ins Zentrum gerückt. Danach folgen jeweils zwei Semester zu einem der Entwicklungspfade Modernisierung, Transformation und Kontrolle, während das letzte Semester analytische Synthesen anstrebt und weiterführende Forschungsfragen entwirft. Die Kolleg-Forschungsgruppe lädt hierzu internationale Fellows aus den Sozial- und Geisteswissenschaften zur forschenden Mitarbeit ein und veranstaltet in regelmäßigen Abständen Seminare, Workshops und Konferenzen.