„Ich möchte lieber nicht“. Das Unbehagen mit der Organspende und die Praxis der Kritik. Eine soziologische und ethische Analyse.
Basisinformationen:
- Typ: Drittmittelprojekt
- Laufzeit: 2018 – 2020
- Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 252341816
Projektbeschreibung:
Aktuelle Umfragen der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) verweisen auf eine Diskrepanz zwischen einer generellen Zustimmung zur Organspende und der fehlenden Dokumentation der Entscheidung in Form des Organspendeausweises. Das deutsche Transplantationsgesetz baut jedoch auf eine enge Zustimmungsregelung auf, anders als beispielsweise in Österreich oder Spanien. Im Jahr 2017 erreichte die Zahl der gespendeten Organe ein historisches Tief, welches von öffentlicher Seite mit fehlendem Wissen und sinkendem Vertrauen der Bevölkerung in Verbindung gebracht wird. Fortlaufend wird aber nicht nur ein akuter „Organmangel“ konstatiert, sondern die Bevölkerung auch zu erhöhter Spendebereitschaft aufgerufen. Dabei wird die Organspende meist als altruistischer Akt der Nächstenliebe und Geschenk des Lebens gerahmt. Dass diese starken moralischen Imperative Skeptiker der Organspende nicht überzeugen oder sogar abschreckend wirken können, wurde von 2014-2016 im Projekt ,,Ich möchte lieber nicht. Das Unbehagen mit der Organspende und die Praxis der Kritik‘‘ aus ethischer und soziologischer Sicht, analysiert.
Das Vorhaben ist die Fortsetzung des Kooperations-Projektes der Universität Erlangen-Nürnberg und der Universitätsmedizin Göttingen, in welchem die Motive der Verweigerer der Organspende sowie die zahlreichen Poster deutscher Organspende-Kampagnen der letzten 20 Jahre untersucht wurden. Die zentralen Ergebnisse zeigen vier Typen von Kritik, die keinen direkten Zusammenhang mit den jüngsten Vorkommnissen in der Transplantationsmedizin aufweisen, demgegenüber aber sechs verschiedene moralische Botschaften in den Postern erkennen lassen, die historisch im Zusammenhang mit zentralen Ereignissen und Umbrüchen im Transplantationssystem stehen. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass bestimmte Positionen und Aspekte im öffentlichen Diskurs und in der Gesundheitspolitik selbst keinen Platz finden, mithin sogar ausgeschlossen werden. In Zusammenarbeit beider Projekte wird rekonstruiert, wie dieser mediale Interdiskurs, der zwischen alltäglichem und wissenschaftlichen Diskurs vermittelt an den Schnittstellen von konkreten Events, Stellungnahmen/Pressemitteilungen und Websites/Social Media Deutungshoheiten gewinnen und systematisch Ausgrenzungen, Abwertungen oder Umdeutungen der vier skeptischen Positionen des Unbehagens produzieren kann.
Während das soziologische Teilprojekt diesen Interdiskurs samt seiner Inklusions- und Exklusionsmechanismen genauer analysiert, sollen im ethischen Teilprojekt nebst einer normativen Kritik auch normative Kriterien öffentlicher Kommunikation für umstrittene Themen wie die Organtransplantation erarbeitet werden. Durch die Weiterentwicklung sozialtheoretischer und normativer Ansätze soll somit zur Reflexion und kritischen Auseinandersetzung mit der hohen symbolischen Wirkung der Organtransplantation für das Selbstverständnis moderner Hightech-Medizin beigetragen werden. Darüber hinaus nimmt das Fortsetzungsprojekt die Organspende als Thema von öffentlichem Interesse ernst und plant eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, indem die Projektergebnisse am Ende als eigener Interdiskurs durch eine Website zugänglich gemacht werden.
Beteiligte Personen:
Universität Hamburg: | Universitätsmedizin Göttingen: |
Prof. Dr. Frank Adloff | Prof. Dr. Silke Schicktanz |
Iris Hilbrich M.A. | Dr. Solveig Lena Hansen |
Leonhard Anzinger | |
Madeleine Quindeau |