Christoph Lütgert: „Ich habe in meiner Zeit als Journalist viel Glück gehabt und bin
immer mit großem Spaß an die Arbeit
herangegangen“
31. Mai 2018

Foto: Jan-Niklas Pries
Hamburg. Christoph Lütgert, ehemaliger Chefreporter des NDR, ist wie kaum ein anderer Journalist für seine konfrontativen Interviews bekannt. Gesprächspartner wie Carsten Maschmeyer oder Ex-Kanzler Gerhard Schröder ging er frontal an. Dabei hatte er auch immer wieder Skrupel und Herzklopfen, wie er selbst bekennt. Am 28. Mai 2018 gab er den Studierenden der Journalistik und Kommunikationswissenschaft Einblicke in seine journalistische Karriere und berichtete über die Techniken des Interviewens.
Von Jan-Niklas Pries
In dem von Professor Volker Lilienthal moderierten Werkstattgespräch schilderte Lütgert zu Beginn, wie er als Reporter bei der Nachrichtenagentur dpa erste journalistische Erfahrungen sammeln konnte. Er habe durch Zufall den ehemaligen Leiter des dpa-Büros in Berlin kennengelernt und dort als freier Mitarbeiter starten können. „Viele meiner Kollegen in Berlin waren unglaublich faul und verbrachten ihre Zeit nur in den Redaktionsräumen, obwohl es die Zeit der 68er-Bewegung war, in der der Asphalt sprichwörtlich brannte. Das war meine Chance.“ Nach eigener Aussage gehörte Lütgert zu den wenigen Reporten, die über das Studium gute Kontakte zur linken Szene gehabt und genau gewusst hätten, wo der nächste Krawall stattfinden würde. Er sei so gut informiert gewesen, dass die Polizei zum Teil sogar die Einsätze nach seinen dpa-Meldungen gefahren sei. „Die 68er Revolte war für mich ein großes Glück, da ich so in den Beruf reinkam“, sagte Lütgert.
Nachdem er sich als freier Mitarbeiter bei der dpa profiliert hatte, wurde Lütgert nach einem Volontariat Redakteur in Düsseldorf. Die Zeit bei der dpa habe ihm viel Spaß bereitet: „Wenn Sie auf der Klaviatur der Agentur richtig spielen können, dann haben Sie unglaubliche Gestaltungsmöglichkeiten und sind journalistisch sehr mächtig“, so Lütgert.
In den 1980er-Jahren wechselte der Journalist dann als Korrespondent zum NDR-Hörfunk und berichtete aus Bonn. Obwohl er kaum mediale Erfahrung im Hörfunk hatte, konnte er sich schnell in die neue Rolle des Hörfunk-Korrespondenten einfinden. „Auch das hat mir ganz schnell großen Spaß gemacht.“ Lütgert erklärte, dass die Arbeitsweisen in Nachrichtenagenturen und im Hörfunk nahe beieinander lägen. „Sie haben einen sehr schnellen und direkten Zugang zum Publikum.“
Der Wechsel zum Fernsehen sei ihm hingegen deutlich schwerer gefallen. Als er 1988 als Erster Reporter beim NDR-Politmagazin „Panorama“ anfing, musste er sich zunächst auf eine ganz neue Form des Journalismus einlassen: „Der Wechsel vom Hörfunk zum Fernsehen war für mich alles andere als leicht und ich habe mich wahnsinnig schwer getan“, so Lütgert. Doch auch beim NDR-Fernsehen konnte Lütgert durch seine guten Kontakte schnell eine „Krachergeschichte“ aufdecken. Nach und nach freundete er sich auch mit dem für ihn damals neuen Medium an: „Das Fernsehen hat unglaubliche Chancen der Emotionalisierung, aber fürs Fernsehen zu arbeiten war für mich schwer und ich musste mich erst einmal einarbeiten.“ Mit Reportagen über den Finanzdienstleister AWD oder den Textildiscounter KiK erregte Lütgert in den vergangenen Jahren großes Aufsehen. Der Journalist wurde für seine investigativen Recherchen unter anderem im Jahr 2010 mit dem Otto-Brenner-Preis und im Jahr 2017 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.
Einen Namen machte sich Lütgert vor allem als Interviewer. Er erklärte den Studierenden, dass die Grundvoraussetzung beim Interviewen darin bestehe, sehr fundiert und präzise vorbereitet zu sein. „Man muss sich wie irre vorbereiten, damit man das Thema kennt und wirklich sicher ist“, so Lütgert. Auf die Frage nach seinem Interviewstil antwortete Lütgert, dass er sich immer wieder auf neue Interviewsituationen einlasse und Gespräche meist behutsam beginne. „Man muss ein Gespräch entstehen lassen, um dann im richtigen Moment die Entscheidende Frage stellen zu können“, sagte Lütgert. Ein guter Interviewstil zeichne sich vor allem durch eine akribische Vorbereitung und durch eine bedachte Gesprächsführung aus. Darüber hinaus sollten ausführliche Vorgespräche immer vermieden werden, um die Spannung vor der Kamera aufrechterhalten zu können.
Immer wieder wurde Lütgert auch für seine konfrontativen Spontaninterviews kritisiert. Gesprächspartner wie Carsten Maschmeyer oder Ex-Kanzler Gerhard Schröder ging er frontal an. Dazu sagte er den Studierenden: „Wenn man diese Form des Interviews negativ benennen will, kann man auch von Überfallinterviews sprechen. Die mache ich aber nicht aus Jux und Dollerei.“ Er sei in der Redaktion häufig derjenige gewesen, der die meisten Skrupel hatte. „Wir prüfen in jedem Fall sehr genau, ob wir ein Spontaninterview machen oder nicht.“ Bei Carsten Maschmeyer etwa und dem Fall des AWD sei seinem Team nichts anderes übriggeblieben. „Wenn Sie unwiderlegbar behaupten, dass dieser Mann Tausende Menschen ins Unglück gestürzt hat und von Herrn Maschmeyer immer und immer wieder ein Interview verweigert bekommen und verladen werden, dann sind solche Spontaninterviews oftmals das letzte Mittel. Da bin ich aber jedes Mal mit Herzklopfen rangegangen.“
Zum Abschluss betonte Lütgert, dass diese Interviews nicht als Effekthascherei genutzt werden sollten, sondern die journalistische Ultima Ratio darstellten.
Der Arbeitsbereich Journalistik und Kommunikationswissenschaft hatte im laufenden Sommersemester bereits mehrere namhafte Praktiker zu Gast. Der Medienjournalist Kai-Hinrich Renner (Funke-Mediengruppe) und der Mitbegründer von Übermedien.de, Boris Rosenkranz, sprachen über die besonderen Anforderungen beim Medienjournalismus. Im Kurs Recherche II sprachen Dr. Manfred Redelfs (Netzwerk Recherche/Greenpeace Deutschland) über die Nutzung von Informationsfreiheitsrechten, Dr. Jan-Henrik Petermann (Deutsche Presse-Agentur) über Recherchen in der Wirtschaft, Reporter Jonas Breng vom Stern über Recherchen im Ausland und in kriminellen Milieus, und Christina Elmer, Mitglied der Chefredaktion von Spiegel Online, über Datenjournalismus. Gastgeber war jeweils Prof. Volker Lilienthal. Weitere Gäste sind angekündigt.