Eduard-Heimann-Colloquium im SS 2017„Ein neues Curriculum für die Wirtschaftswissenschaften?“
27. April 2017
Zur Colloquiumsreihe
Die Eduard-Heimann-Colloquiumsreihe will an den Ökonomen Eduard Heimann erinnern, der ab 1925 einen Lehrstuhl für theoretische und praktische Sozialökonomie an der Universität Hamburg innehatte, bevor er 1933 von den Nationalsozialisten aus der Universität verdrängt und zur Emigration in die USA gezwungen wurde, wo er an der berühmten ‚University in Exile’ an der New School for Social Research forschte und lehrte.
Eduard Heimanns wissenschaftliche Arbeiten zur Sozialtheorie des Kapitalismus verbinden eine ökonomische Analyse des Kapitalismus mit soziologischen Bestimmungen der sozialen Bewegung, die die Sozialisierung des Kapitalismus mittels Sozialpolitik vorantreibt. Eine solche soziale Theorie des Kapitalismus muss geschichtlich vermittelt sein, denn die soziale Bewegung wirkt im jeweiligen historischen Kontext; sie ist aber gleichermaßen theoretisch, denn sie bezieht sich auf geschichtsunabhängige sozioökonomische Zusammenhänge. Eine solchermaßen fundierte Sozialökonomie, die ökonomische Vorgänge nicht ohne soziale Rückkopplungen bearbeiten kann, kann auch heute noch der Arbeit des Zentrums für Ökonomische und Soziologische Studien (ZÖSS), dem Veranstalter der Colloquiumsreihe, als Vorbild und Orientierungspunkt dienen.
Zur Thematik
Spätestens seit der Weltfinanzkrise steht die Wirtschaftswissenschaft massiv in der Kritik: Zu einseitig, zu realitätsfern, zu modelllastig sei sie, wird von Kritikern aus Wissenschaft, Politik und Praxis geklagt. Schon viel länger fordern die ‚Pluralen Ökonomen‘, eine studentische Initiative, die es mittlerweile in vielen Ländern gibt, eine Öffnung ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für neuere methodische Ansätze, alternative Paradigmen, interdisziplinäre Verknüpfungen und Themenschwerpunkte, für die es scheinbar im Rahmen der in BA-Zeiten stark standardisierten Curricular keinen Platz (mehr) gibt.
In den Vorträgen des Eduard-Heimann-Colloquiums im SS 2017 soll es darum gehen, eine Bestandsaufnahme der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und Lehre in Deutschland vorzunehmen, deren Manipulationspotentiale zu hinterfragen und nach Möglichkeiten und praktischen Lehrformen für eine andere, pluralistische Lehre zu suchen.
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Teaser:
Janina Urban: „Mehr Dialog, mehr Kooperation, mehr Materialien? Neues ökonomisches Denken und Forschung für gesellschaftliche Weiterentwicklung“
Über die Jahrzehnte der Kritik an der neoklassisch dominierten Volkswirtschaftslehre wurden unterschiedliche Problemanalysen hervorgebracht: Vom Monismus, über Performativität und deutscher Sonderweg, zur Superiority of Economists. Der Vortrag gibt einen Überblick darüber, welche Analysen bereits empirisch überprüft worden sind, bzw. welche von den Forschungsprojekten im Themenbereich Neues ökonomisches Denken des FGW momentan untersucht werden. Es soll diskutiert werden, welche Analysen den Wesenskern des Problems treffen (könnten) und welche Vorschläge sich daraus unter anderem in Bezug auf die Hochschulpolitik daraus ableiten lassen.
Mogens Madsen: „Problem-based leraning: A non-mainstream way of teaching economics“
For decades now, in general, teaching in economics has been characterized by uniformity: not only do most economics departments focus exclusively on the mainstream economic understanding; at the same time, there is, in general, little room for addressing phenomena or problems of real life in a thorough manner. However, due to the financial crisis and the severe international economic crisis that followed after the extensive financial turbulence of 2008 and onwards, many economists have become critical of the modern mainstream macroeconomic understanding. Did economics departments teach economics the right way? Surprisingly enough, the way we teach economics does not seem to have changed significantly in any way in recent years. Economics is, in general, still dominated by the mainstream economic understanding. However, some universities have given way to progressive teaching methods in economics. As a case study, we try to highlight some aspects of the way we teach economics at Aalborg University, Denmark. Economics is taught in a pluralistic way, allowing for the incorporation of both the orthodox, and a range of heterodox approaches to addressing issues in economics. Especially, we have tried to give economics a Post Keynesian flavour. In addition, the way we teach economics is based on the approach of Problem Based Learning
Alexander Lenger: „Modern Economics: Zur verdrängung der normativen Ökonomik aus dem Curriculum der Wirtschaftswissenschaften“
Der Vortrag diskutiert die gegenwärtige Bedeutung und zukünftige Entwicklung normativer Inhalte im wirtschaftswissenschaftlichen Curriculum. Ausgangspunkt der Überlegung ist die Beobachtung, dass einer wachsenden Zahl von Lehrstühlen für Wirtschafts- und/oder Unternehmensethik sowie verschiedenen Kursen zu wirtschaftsethischen Inhalten an Universitäten und Fachhochschulen eine systematische Streichung von Kursen mit normativen Inhalten im wirtschaftswissenschaftlichen Curriculum entgegensteht. Folge ist somit nicht ein institutionalisierter Bedeutungsgewinn der Wirtschafts- und Unternehmensethik, sondern vielmehr ein weiterer Bedeutungsverlust normativer Fragestellungen an den meisten wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten.
Stephan Panther: „Pluralistische Ökonomie als Möglichkeitswissenschaft“
Pluralistische Lehre und Forschung öffnet den Raum für das Mögliche in der Ökonomie, für die Fähigkeit, die Dinge auch anders sehen zu können, um schließlich auch anders handeln zu können. Der Vortrag setzt sich mit diesem Gedanken u.a. anhand zweier „Altmeister“ des Möglichen, G.L.S. Shackle und Albert O. Hirschman auseinander und fragt nach der Relevanz für institutionellen Wandel.
Stephan Pühringer: „Zum Profil deutscher Volkswirtschaftslehre im internationalen Vergleich“
Obgleich die globale Finanz- und Wirtschaftskrise in vielen Punkten Anlass zu einer intensivierten Kritik an gängigen ökonomischen Argumenten und Denkfiguren gibt, gewinnt der neoklassische Mainstream innerhalb der ökonomischen Disziplin weiter an Dominanz und Bedeutung. Daneben setzt sich die Marginalisierung alternativer theoretischer Ansätze ebenso ungebrochen fort und geht in Deutschland mit der weitgehenden Verdrängung heterodoxer ÖkonomInnen an vielen Universitätsstandorten einher. Vor dem Hintergrund dieses allgemeinen internationalen Trends im Bereich der ökonomischen Forschung und Lehre soll in diesem Vortrag die Genealogie und mögliche Zukunftsperspektiven der deutschen ökonomischen Forschungs- und Diskurslandschaft beleuchtet werden.
Frank Beckenbach: „Zur Pluralität der volkswirtschaftlichen Lehre in Deutschland“
Die Debatte um den Pluralismus in der Volkswirtschaftslehre wird in starkem Ausmaß von Wunschvorstellungen und Projektionen geprägt. Die Reflexion über die moderne Universität und ihre normalwissenschaftliche Strukturierung spielen dabei bisher ebenso eine untergeordnete Rolle wie empirische Befunde zur Lehrpraxis. In diesem Vortrag werden daher konzeptionelle Überlegungen und empirische Befunde zum status quo in der volkswirtschaftlichen Lehre an den Universitäten in Deutschland präsentiert. Auf Basis dieser Erkenntnisse werden wissenschaftspolitische und curriculare Veränderungsnotwendigkeiten skizziert und exemplarisch erläutert.