Neue Studienreihe zu Gesellschaft und DekarbonisierungPolitische Risiken gefährden deutsche Klimawende
7. Mai 2024
Foto: pixabay/dmncwndrlch
Um die Erderwärmung zu begrenzen, soll Deutschland bis 2045 klimaneutral werden. Technisch und ökonomisch wäre dies machbar, politisch und gesellschaftlich aber droht die Transformation an Fahrt zu verlieren. Dies zeigt Stefan Aykut vom Exzellenzcluster Klima, Klimawandel und Gesellschaft (CLICCS) der Universität Hamburg in einer jetzt veröffentlichten Studie.
Mit seinem Team hat der Soziologe den Stand der deutschen Klimawende untersucht. Dazu stellt er einen Analyserahmen vor und nimmt Schlüsselfaktoren, so genannte gesellschaftliche Treiber, in den Blick: „Der klimaneutrale Umbau Deutschlands fordert bestehende Interessen, Gewohnheiten und Geschäftsmodelle heraus. Es sind folglich gesellschaftliche Prozesse, die die Klimawende ausbremsen, sie aber umgekehrt auch immer wieder antreiben“, sagt Aykut. Zur Untersuchung dieser Prozesse wird eine neue Studienreihe aufgebaut, die von der Stiftung Mercator gefördert wird. Die aktuelle, erste Studie untersucht den Beitrag von deutscher, europäischer und globaler Klimapolitik, sowie von Klimaprotesten und Klimaklagen, zu einer umfassenden Klimawende in Deutschland.
Positive Impulse aus der Zivilgesellschaft
Das Ergebnis fällt ernüchternd aus: Bisher beschlossene politische Maßnahmen reichen nicht aus, um die Klimawende langfristig umzusetzen. Zwar ist inzwischen eine breite Palette rechtlicher Instrumente vorhanden, Emissionen wurden gesenkt und Erneuerbare Energien ausgebaut, und eine Mehrheit der deutschen Gesellschaft unterstützt den Klimaschutz weiterhin grundsätzlich. Allerdings sind erreichte Emissionsminderungen oft nicht dauerhaft abgesichert, während politische Risiken zunehmen: Deutsche und europäische Schuldenregeln und fiskalpolitische Entscheidungen schränken den Spielraum für klimafreundliche Investitionen ein. Und aufstrebende rechtspopulistische Parteien lehnen Maßnahmen zum Klimaschutz insgesamt ab.
Positive Impulse kommen aus der Zivilgesellschaft: Die Klimabewegung ist vielfältiger geworden und kann auf breite gesellschaftliche Solidaritätsnetzwerke zurückgreifen. Erfolge gibt es insbesondere bei wegweisenden Gerichtsbeschlüssen, wie dem erst kürzlich erfolgten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – es gab einer Gruppe von Schweizer Seniorinnen Recht, dass ungenügender Klimaschutz eine Verletzung ihrer Menschenrechte darstellt. Damit folgt das Gericht einem breiteren Trend hin zu einer klimarechtlich progressiven Rechtsprechung. Doch auch Gerichte können die Klimawende nicht im Alleingang umsetzen. Hoffnung besteht daher vor allem in der Verknüpfung positiver Dynamiken in Politik, Zivilgesellschaft und Rechtsprechung, die einander verstärken und den Klimaschutz so vorantreiben.
Veränderte Rolle des Staates nötig
Allerdings werden gerade zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume zunehmend eingeschränkt: „Wenn Möglichkeiten zum Protest und Finanzierungsquellen beschränkt werden, dann ist das vor dem Hintergrund der nötigen gesellschaftlichen Unterstützung für die Klimawende problematisch“, so Aykut. Auch treten vermehrt gesellschaftliche Konflikte um Verteilungsfragen auf, wie im Fall der Proteste um das Heizungsgesetz oder den Abbau von Agrardiesel-Subventionen. In diesem Kontext reicht eine passive Unterstützung für den Klimaschutz nicht. „Um die Klimawende erfolgreich umzusetzen, brauchen wir nicht nur neue Technologien und Märkte – sondern auch neue Formen des Arbeitens, Wirtschaftens und Konsumierens“, so Aykut. Dazu gehört auch eine veränderte Rolle des Staates und eine starke Unterstützung aus der Zivilgesellschaft.
„Die Analyse soll nicht entmutigen, sondern sie soll das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer breit geteilten gesellschaftlichen Trägerschaft für den Klimaschutz schärfen“, erklärt Dr. Lars Grotewold, Leiter des Bereichs Klimaschutz der Stiftung Mercator. „Die jährliche Veröffentlichung der Studie bietet Anlässe für die strategische Reflexion politischer und zivilgesellschaftlicher Akteure, wie gesellschaftliche Kontextfaktoren gestaltet werden können, um mindestens in die Nähe der vereinbarten Klimaziele zu kommen.“
Download
Aykut S, Hüppauff L, Frerichs L, Fünfgeld A, Walter Y, Aguirre F, Mollyk A, Ritterbach L (2024): Klimawende Ausblick 2024. Gesellschaftliche Treiber der Transformation in Deutschland. Band 1. Klimapolitik, Klimabewegung und Klimaklagen. Universität Hamburg
https://uhh.de/wiso-klimawende
Die Studie ist Teil der Analyse „Klimawende Ausblick“, die von der Stiftung Mercator unterstützt wird. In folgenden Veröffentlichungen werden weitere gesellschaftlich relevante Schlüsselfaktoren wie Firmenstrategien, Konsumverhalten, Divestment oder Medien untersucht. Grundlage ist der “Hamburg Climate Futures Outlook“, eine jährliche Studie des Exzellenzclusters „Climate, Climatic Change, and Society“ (CLICCS) an der Universität Hamburg. Hier wurde der Rahmen für die weltweite Analyse der gesellschaftlichen Treiber der Klimawende entwickelt. Die Forschenden prüfen jeweils, welche künftigen Entwicklungen („Klimazukünfte“) weltweit nicht nur möglich, sondern – vor dem Hintergrund einer Abschätzung gesellschaftlicher Dynamiken – auch plausibel sind.
Mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Mercator arbeitet die Universität Hamburg an einer Übertragung des Modells auf den deutschen Kontext. Die Ergebnisse werden unter Federführung der Mercator-Stiftungsprofessur für Soziologie zusammengetragen und in einem jährlichen Bericht zur gesellschaftlichen Dynamik der deutschen Klimawende veröffentlicht.
Der Exzellenzcluster CLICCS wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Er ist am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg angesiedelt und arbeitet mit elf Partnerinstituten eng zusammen, darunter das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, das Helmholtz Zentrum Hereon und das Deutsche Klimarechenzentrum. CLICCS leitet aus seiner Grundlagenforschung immer wieder auch Handlungsempfehlungen für die Politik ab.