Society Research
Zu welchen Themen führst du deine Forschung durch?
Meine Forschungsschwerpunkte liegen in der Politikwissenschaft, besonders im Teilbereich Internationale Beziehungen. Ich interessiere mich vor allem für soziale Bewegungen und, insbesondere im Rahmen des CLICCS Projektes, der Frage der Klimagerechtigkeit. Mein Fokus liegt vor allem auf dem Mittelmeerraum, Westasien und Nordafrika. In meiner Forschung stütze ich mich auf postkoloniale Perspektiven und Normenforschung sowie Forschung zu sozialen Bewegungen.
In meiner Dissertation habe ich mich mit syrischem und transnationalem Aktivismus und der Frage beschäftigt, wie sich diese Aktivismen auf internationale Politik beziehen: Welche Akteure werden in der internationalen Politik wie einbezogen? Welche Exklusionsmechanismen finden da statt? Wie kann und sollte soziale Diversität von zivilgesellschaftlichen Akteuren in der internationalen Politik berücksichtig werden?
Diese Fragen spielen natürlich auch in meiner Forschung zur Klimagerechtigkeit eine zentrale Rolle. Dabei schaue ich mir an, wie zivilgesellschaftlicher Aktivismus im formalen Rahmen von internationalen Verhandlungen Klimaziele und deren Umsetzung, deren Finanzierung und deren Lastenverteilung beeinflusst.
So stellt sich die zentrale Frage, was Klimagerechtigkeit für betroffene Menschen, die vielleicht gar keinen Zugang zu diesen Foren haben, bedeutet oder inwiefern sie überhaupt eine Rolle spielt oder auch nicht. Dieses Wissen ist unglaublich wichtig, um zu verstehen, ob Ziele, die auf der Ebene der internationalen Organisationen getroffen werden, überhaupt realistisch umgesetzt werden können.
Das, was in internationalen Beziehungen und Verhandlungen passiert, ist also einerseits wichtig, aber andererseits werden globale Entwicklungen hier häufig aus einer sehr eurozentrischen Perspektive betrachtet. So ist z.B. den Menschen im sogenannten Globalen Süden schon viel länger klar, dass die Folgen des Klimawandels sehr gravierend sind, nur haben entscheidende Akteure da lange nicht hingehört.
Damit stellt sich die Frage: Was bedeuten konkrete Verhandlungen und Lösungsmöglichkeiten für gerechte Klimazukünfte? Für wen sind erarbeitete Lösungsvorschläge wirklich eine Lösung? Handelt es sich tatsächlich eine nachhaltige und gerechte Lösung für Menschen aus dem Globalen Süden oder wird Ungerechtigkeit weiter reproduziert?
Dieses Spannungsverhältnis interessiert mich und treibt mich an.
Wie schaust du dir diese Sachen konkret in deiner Forschung an?
In meiner Forschung bediene ich mich vor allem qualitativer Methoden. Ich bin selber ausgebildeter Islamwissenschaftler und Politikwissenschaftler und arbeite viel mit Interviews und der Analyse von Dokumenten. Für mich ist der direkte Austausch mit meinen Interviewpartner:innen sehr wichtig. Diese Art der Forschung ist nicht nur forschungsethisch wichtig, sondern erlaubt mir auch, Forschung zu betreiben, die im besten Sinne nachhaltig ist.
Durch die COVID-19 Pandemie ist Feldforschung aktuell natürlich sehr stark eingeschränkt, was für mich wie für viele andere Forscher:innen eine große Herausforderung ist.
Außerhalb der Pandemie ist meine Forschung geprägt durch Reisen in die Regionen, die ich in meiner Forschung untersuche. In den letzten Jahren war ich z.B. viel im Libanon, geplant sind weitere Forschungsreisen in andere nordafrikanische Länder.
Diese Reisetätigkeit verbindet sich wieder gut mit der Frage, und die ist ja auch Gegenstand einer AG im CSS: Was ist nachhaltiges Forschen? Meine Forschung und die vieler anderer Wissenschaftler:innen ist häufig mit Flugreisen verbunden. Insofern sind Forscher:innen natürlich gezwungen zu überlegen welche Dinge vielleicht auch online gemacht werden können. Allerdings stoßen wir da vor allem bei qualitativer Forschung an Grenzen. Insbesondere ist es auf Distanz schwer bis nicht möglich, das erst durch persönliche Interaktion entstehende Vertrauen der Interviewpartner:innen aufzubauen.
Was könnte man in der Klimapolitik verbessern, sodass lokale Stimmen zu Wort kommen?
Die Forderung danach, mehr Stimmen zu hören, ist an sich natürlich einerseits zielführend, andererseits ist sie als solche erstmal nur bedingt aussagekräftig. Gerade, wenn es um Klimaverhandlungen geht, ist es natürlich wichtig sich die Frage zu stellen, wie diese inklusiver gestaltet werden können in dem Sinne, dass wirklich viele Betroffene mit einbezogen werden.
Was wir aber in der Arbeitsgruppe in CLICCS feststellen, ist, dass es sehr unterschiedliche Verständnisse von dem gibt, was Klima- und Natur eigentlich ist. Wir erleben das gerade in unserer Forschung in der Arktis-Region, in der viele indigene Akteure sehr aktiv sind. Hier wird deutlich, dass Klimaverhandlungen und die aktuelle internationale Klimapolitik sehr stark geprägt sind von einem westlichen Verständnis von dem, was die menschliche Beziehung zur Natur prägt. Das Wissen, das es bei den Betroffenen vor Ort gibt, muss ernsthaft in Klimaverhandlungen miteinbezogen werden, um nachhaltige Klimapolitik betreiben zu können.
Mit welchem Verkehrsmittel kommst du zur Arbeit – jetzt und während der Pandemie?
Ich komme mit dem Fahrrad oder dem Lastenrad zur Arbeit. Je nachdem, wie und wen ich morgens noch so transportiere, entscheide ich mich für das Fahrrad oder das Lastenfahrrad. In einer überschaubar großen Wohnung mit Kindern ist Home Office nur sehr bedingt möglich, und es war eine große Herausforderung im letzten Jahr. Daher habe ich mir früh eine Erlaubnis geholt, im Büro arbeiten zu dürfen.
Was gehört für dich zu einem gelungenen Tag?
Zu einem gelungenen Arbeitstag gehört für mich, dass ich dazu komme, an inhaltlichen Themen zu arbeiten, zu schreiben, zu lesen oder eben grundsätzlich mit meiner Forschung weiterzukommen. Ich denke, das ist für jeden Forscher und jede Forscherin ein tolles Gefühl. Aber es ist leider gar nicht so selbstverständlich, dass das jeden Tag passiert. Darüber hinaus gehört für mich zu einem gelungen Tag, und das ist natürlich jetzt in der Pandemie noch viel deutlicher geworden, die Zeit und Möglichkeit zu haben sich mit Kolleg:innen auszutauschen. Ob das jetzt beim Mittagessen ist oder in der kurzen Pause, das ist unheimlich bereichernd und bestärkend. Nach der Arbeit gehört zu einem gelungenen Tag natürlich die Zeit mit den Kindern, unterwegs mit der Partnerin zu sein und natürlich auch persönliche Zeit zu haben. Der Tag muss manchmal aber schon 48 Stunden haben um das alles tatsächlich unter einen Hut zu bringen.
Wie bist du zum Thema Nachhaltigkeit gekommen?
Zum Thema Nachhaltigkeit bin ich aus einer persönlichen Perspektive gekommen noch bevor ich mich wissenschaftlich damit beschäftigt habe. Ich bin in einem ganz kleinen Dorf in einer sehr ländlichen Region aufgewachsen. Mit meinen Eltern bin ich früher viel im Wald unterwegs gewesen und meine Großeltern hatten einen landwirtschaftlichen Betrieb. Da ist die Verbindung zur Natur und dem Umgang mit der Natur einfach früh ein Thema. Als Jugendlicher bin ich schon früh einer örtlichen Agenda 21 Gruppe beigetreten, um mich für den örtlichen Wald zu engagieren.
Andererseits ist die Region, in der ich aufgewachsen bin, von einer intensiven Agrarindustrie geprägt, gerade die fleischproduzierende Industrie ist sehr stark vertreten. Das hat natürlich einen sehr starken Einfluss auf die Natur aber auch auf die sozialen und politischen Dynamiken vor Ort. Die Landwirte und die ganze Region sind von dieser Arbeit abhängig, aber es stellt sich eben auch die Frage: Ist das wirklich nachhaltig? Ist das die Lebensweise, die wir wollen? Diese Komplexität hat mich sehr früh geprägt und hat sich auch nach dem Abitur fortgesetzt: Ich habe meinen Zivildienst im Westjordanland in Palästina gemacht, wo die Natur durch den Siedlungsbau sehr stark verändert wird.
Welches Forschungsinteresse steht nicht in deinem Lebenslauf?
Ich würde mich gerne mehr mit der Frage von religiösen Diskursen in Bezug auf Klima und Natur auseinandersetzen. Gerade weil ich mich mit den Regionen Westasien und Afrika beschäftige, würde mich interessieren, ob und wie religiöse Diskurse sich dort mit der Veränderung des Klimas befassen und wie sie damit umgehen. Das ist besonders interessant, weil es sich um stark vom Klimawandel betroffene Regionen handelt. Beispielweise werden im südlichen Irak enorme Temperaturen von bis zu 49° Celsius erreicht, und gleichzeitig ist mit Folgen des Anstiegs der Meeresspiegel zu rechnen. Es interessiert mich, wie Gemeinschaften auf eine solche Situation reagieren und welche Rolle religiöse Diskurse und Akteure dabei spielen. Aus meiner Forschung zu postkolonialen Ansätzen weiß ich, dass es besonders wichtig ist, die Diversität und Heterogenität der (religiösen) Diskurse hervorzuheben und nicht bestimmte Akteure abzustempeln. Diese Vielfältigkeit kann in der sozialwissenschaftlichen Klimaforschung noch stärker beleuchtet werden.
Wie sieht eine glückliche Kindheit in 2050 aus?
Eine glückliche Kindheit in 2050 sehe ich in einer sozial gerechteren Welt, in einer Welt, in der Diversität normaler ist und in der Kinder ganz "normal" damit aufwachsen, dass es kulturelle Vielfalt gibt. Natürlich sollten Kinder auch dann noch einen Zugang zur Natur haben. Diese Aspekte sind mit das Dringlichste, da sie sehr wichtige Rahmenbedingungen für eine gute Kindheit sind.
Was fällt dir zum Stichwort "emissionsfreies Hamburg" ein?
Mir fällt dabei der Bau eines weiteren Terminals für Kreuzfahrtschiffe ein und die große Dichte an Autos... Wenn man jetzt diese etwas zynische Antwort beiseitelässt: Auf der positiven Seite nehme ich wahr, dass sich sehr viele, besonders junge, Menschen – darunter auch mein Sohn, der gerade in die Schule gekommen ist – Gedanken um das Thema Nachhaltigkeit und Reduktion von Emissionen machen und fragen was in Hamburg und darüber hinaus passieren muss, um diesem Ziel näher zu kommen.
Gleichzeitig fällt es mir schwer, eine Stadt isoliert vom Rest der Welt zu betrachten. Stadt global zu denken ist wirklich sehr wichtig. Gerade wenn man sich eine Stadt wie Hamburg ansieht, deren Wirtschaft und Reichtum von einer starken globalen Vernetzung geprägt sind. Es ist zwar toll, wenn es hoffentlich zeitnah in Hamburg weniger Autos auf den Straßen gibt und mehr erneuerbare Energie genutzt werden, aber gleichzeitig stellt sich die Frage, was das bringt, wenn diese Strategien nicht auch an Orten, mit denen Hamburg global vernetzt ist, umgesetzt werden.
Wann hast du aufgehört zu meinen, dass du nachhaltiger wirst, oder glaubst du es noch?
Ich kann mich nicht entsinnen, jemals bewusst gedacht zu haben, dass ich nachhaltig bin. Je mehr ich mir als Sozialwissenschaftler der Komplexität von einer nachhaltigen Lebensweise bewusst bin, umso weniger glaube ich daran. Besonders deutlich wird das im privaten Umfeld, z.B. bei Diskussionen darüber, ob das Nutzen von Strohhalmen jetzt nachhaltig ist oder nicht. Natürlich ist es toll, wenn in der Gastronomie auf nachhaltige, Müll reduzierende Produkte geachtet wird, gleichzeitig birgt das die Gefahr, das damit vielleicht wichtigere Punkte verdeckt werden, an denen wir eigentlich ansetzen müssten. Dieses Spannungsverhältnis zwischen dem, was ich persönlich tun kann, und dem, was sich strukturell ändern muss, ist einfach immer da.
Mir ist es persönlich wichtig nachhaltige Produkte zu verwenden. Gleichzeitig habe ich das Privileg, reisen zu können und mir ist bewusst, dass etwa ein Flug, zumindest was CO2 Emissionen betrifft, tägliches zur Arbeit radeln direkt zunichtemacht.
Die gestellte Frage ist trotzdem gut, weil sie einen zur Reflektion zwingt, auch der eigenen Privilegien. Denn die Forschung zeigt deutlich, dass gerade privilegierte Menschen die meisten CO2 Emissionen verursachen. Klimagerechtigkeit, als Prozess verstanden, bedeutet eben auch über die eigene Verwobenheit in bestehenden Ungerechtigkeiten zu reflektieren.
Gibt es noch etwas, das du zum bisher Gefragten ergänzen möchtest?
Ich möchte noch einmal auf das Thema „nachhaltiges Forschen“ zurückkommen. Nachhaltigkeit sollte hier nicht nur in Bezug auf Schonung von Ressourcen, insb. in Bezug auf Reise- und Flugtätigkeit, betrachtet werden und wie wir das in Zukunft organisieren.
Sondern ich denke, wir sollten die Debatte um #ichbinhanna und die Situation von jungen Wissenschaftler:innen nicht nur aus einer ökonomischen Perspektive betrachten, sondern auch aus Perspektive der Nachhaltigkeit. Einerseits wird erwartet, dass junge Wissenschaftler:innen exzellente Forschung betreiben und ein klares Profil ausbilden, andererseits sind die Arbeitsbedingungen, insb. im Hinblick auf Befristungen, strukturell so erschwert, dass ich denke, dass das keine nachhaltige Form des Forschens sein kann. Dazu müssen sich alle Universitätsmitglieder, auch die Professor:innen, Gedanken machen. Wenn klar ist, dass nicht alle jungen Wissenschaftler:innen am Ende eine Professur bekommen können, müssen andere Arten von Stellen geschaffen werden. Allerdings wird das nur möglich sein, wenn wir die bestehenden Strukturen der Universitäten in Zukunft ändern.