Society Research
Zu welchen Themen führst du deine Forschung durch?
Meine Forschungsthemen sind sehr vielfältig und bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Wirtschafts-, Arbeits- und Organisationssoziologie und sozialer Ungleichheit. In den vergangenen Jahren habe ich mich innerhalb dieser Themenschwerpunkten aber auf drei Dimensionen konzentriert. Erstens, die Ungleichheitswahrnehmungen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen und zuletzt die Krisenwahrnehmungen während der Corona-Pandemie. Zweitens schaue ich mir konkrete Aushandlungsprozesse sozialer Probleme an, beispielsweise in meiner Forschung zum ethischen Bankenwesen. In einer qualitativen Studie bin ich der Frage nachgegangen, wie sozialökologische Banken – etwa die GLS oder Triodos Bank – zwischen sozialökologischen und ökonomischen Ansprüchen vermitteln und welche Probleme sich daraus ergeben.
Die dritte Dimension meiner Forschung umfasst mein Interesse für sozialen Wandel von Institutionen und Organisationen. Aktuell beschäftige ich mich mit dem Verhältnis von Digitalisierung und Nachhaltigkeit; konkret frage ich, wie sich Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen unter den Imperativen der beiden „Megatrends“ Digitalisierung und Nachhaltigkeit wandeln. Denn wir sehen, dass digitale Technologien sowohl helfen, dem Klimawandel entgegen zu treten, etwa durch energieeffiziente Cyber-Physical-Systems. Gleichzeitig verbrauchen diese und andere Technologien enorme Mengen an Energie. Solch ein Ressourcenverbrauch steht dem Prinzip der Nachhaltigkeit diametral entgegen. Gesellschaften müssen also eine Antwort auf diese Widersprüche finden, ohne noch größere soziale Ungleichheiten zu schaffen. Denn sicher ist, dass es weder eine Zukunft ohne Digitalisierung, noch eine ohne die Notwendigkeit eines nachhaltigen Wandels geben wird.
Mit welchem Verkehrsmittel kommst du zur Arbeit?
Ich mache kein Home Office, da ich es genieße morgens raus zu kommen und ich mich darauf freue, ein paar Kolleg:innen im Büro zu treffen, natürlich coronakonform. Darüber hinaus muss meine Hündin auch vor die Tür.
Normalerweise fahre ich mit dem Fahrrad. Das hat aber gerade einen Platten, also fahre ich mit dem Bus oder gehe zu Fuß. Meine Neujahrsidee war, morgens öfter zu Fuß ins Büro zu gehen. Wie das so ist, habe ich das bisher noch nicht so oft geschafft, unter anderem, weil meine 13 Jahre alte Hündin von dem Vorhaben nicht allzu begeistert ist.
Was gehört für dich zu einem gelungenen Tag?
Das ist eine wirklich schwierige Frage. Als Nachwuchswissenschaftlerin oder Postdoc ist ein Tag gelungen, wenn ich zum Beispiel einen Artikel fertiggestellt habe und mit ihm zufrieden bin, oder wenn es ein außergewöhnliches Erfolgsereignis gibt wie eine Antragsbewilligung. Im Privaten zeichnet sich ein gelungener Tag durch eine gute Balance zwischen Arbeit und Privatleben aus.
Für mich ist das Wetter auch ein wichtiger Faktor. Wenn die Sonne scheint ist der Tag schon fast gelungen, ohne dass etwas Anderes passieren muss.
Wie bist du zum Thema Nachhaltigkeit gekommen?
Persönlich hat das Thema Nachhaltigkeit bei mir schon früh eine Rolle gespielt – auch wenn ich das damals noch gar nicht so bezeichnen konnte; der Begriff war ja noch nicht so verbreitet.
Meine Großeltern hatten einen kleinen Gärtnerbetrieb, in dem ich viel Zeit verbracht habe. Mit meiner Großmutter habe ich schon als Kind lange Wanderungen durch die Eifel, den Hunsrück und an der Mosel durch die Weinberge gemacht. Sie hat mir dabei sowohl im botanischen Sinne erklärt, an welchen Pflanzen wir gerade vorbeigegangen sind. Sie hat aber auch an bestimmten Orten darauf hingewiesen, welche Pflanzen, Tiere oder Insekten in ihrer Kindheit noch zahlreich vorhanden waren, in meiner Kindheit aber verschwunden oder stark dezimiert waren.
An ein Beispiel kann ich mich ganz bildhaft erinnern: den sehr zarten Apollofalter. Er ist weiß mit schwarzen Flecken und hat auf den unteren Flügeln rote Punkte mit einem weißen Kreis in der Mitte, die schwarz umrandet sind. In ihrer eigenen Kindheit hat meine Großmutter diesen Falter vor allem an den Steilhängen der Mosel in rauen Mengen vorgefunden, während ich ihn als Kind vielleicht ein, zwei, wenn’s hoch kommt drei Mal sehen konnte.
Ein zweiter Aspekt, der mich zum Thema Nachhaltigkeit gebracht hat, war mein Vater – er ist Imker und hat in den letzten zwanzig Jahren eine Entdeckung gemacht, die mich doch sehr zum Nachdenken bringt: Und zwar musste er vor zwanzig Jahren seine Bienen zwischen Frühling und Sommer nicht zufüttern – also kein Extrafutter geben –, da sie genügend Blüten gefunden haben. Die industrielle Landwirtschaft lässt aber mittlerweile kaum noch Wiesen mit Blüten übrig. Entweder gibt es sie gar nicht oder sie werden schon vor der Blüte gemäht. Eine „grüne Wüste“ nennt er diesen Zustand, in der die Bienen kein Futter mehr finden und ohne Zufüttern schlicht verhungern würden.
Wissenschaftlich betrachtet habe ich mich erst mit meiner Dissertation zu nachhaltigen Geldinstitutionen stärker dem Thema Nachhaltigkeit zugewandt. Im Kontext der Kollegforschungsgruppe „Zukünfte der Nachhaltigkeit“ kann sich das Thema nun richtig entfalten.
Wie sieht eine glückliche Kindheit in 2050 aus?
Eine glückliche Kindheit in 2050 sieht für mich ähnlich idealtypisch aus, wie eine zufriedene Kindheit heute: vor allem sollte es Kindern ermöglicht sein, unbeschwert aufzuwachsen. Das hängt natürlich von vielen Faktoren ab – von sozialen Ungleichheiten, sowohl zwischen Bevölkerungsgruppen in der eigenen Gesellschaft als auch zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden.
Ich hoffe einfach, dass die Generationen, die 2050 Kind sein werden, nicht mehr den Folgen des Klimawandels ausgesetzt sein werden. Das würde ich mir wünschen, ob das realistisch ist, ist eine andere Frage.
Was fällt dir zum Stichwort "emissionsfreies Hamburg" ein?
Spontan fällt mir das Stichwort E-Mobilität ein; vor allem bezogen auf den öffentlichen Nahverkehr. Gerade, da der Individualverkehr, egal ob elektrisch oder nicht, durch die Pandemie stark angestiegen ist, wünsche ich mir, dass die öffentlichen Verkehrsmittel mehr genutzt werden. Ich denke, dass der ÖPNV und die Bahn stärker subventioniert werden müssten, um bezahlbarer zu werden. Solch eine Transformation des Verkehrs sollte dann selbstverständlich auch über die nationalen Grenzen hinausgehen.
Außerdem denke ich bei dem Stichwort an mein zweitliebstes Fahrgerät, nämlich das Fahrrad. Ich habe während der Corona-Pandemie beobachtet, dass an den Hauptstraßen in Hamburg ganz viele Pop-up Radwege entstanden sind, die ich jetzt aber nicht mehr wiederfinden kann. Nicht nur die Bahn oder der Bus müsste attraktiver gemacht werden, sondern auch das Radfahren. Das erreicht man vor allem über Sicherheit auf den Straßen, die durch Fahrradwege enorm erhöht wird. Mich stört, dass Bürgersteig und Radweg teilweise unübersichtlich zusammengelegt werden. Fußgänger:innen und Radfahrer:innen sind überfordert mit den fehlenden Grenzen. Ich habe bisher den Eindruck, dass Hamburg ziemlich Fahrrad-unfreundlich ist. Da gibt es sogar Radwege, die sind im Nichts enden oder vor einem Baum...
Wann hast du aufgehört zu meinen, dass du nachhaltiger wirst, oder glaubst du es noch?
Ich habe noch nie gedacht, dass ich nachhaltig bin, unter anderem, weil ich glaube, dass das Ziel, vollkommen nachhaltig zu sein im Grunde gar nicht zu erreichen ist. Die Vorstellung dessen, was Nachhaltigkeit ist oder sein soll, ist so komplex und umfasst so viele Dimensionen, dass man aus Sicht Anderer viele Sachen „falsch“ machen kann. Was ich für wenig hilfreich halte ist, anderen vorzuwerfen, dass sie nicht „richtig“ nachhaltig sind; oder sie auf Inkonsistenzen in ihrem Nachhaltigkeitsverhalten hinzuweisen, nur um sie zu entlarven oder zu beschämen. Es gibt ja keine eindeutige Definition von Nachhaltigkeit.
Unterschiedliche Personen, Organisationen oder auch Staaten legen den Begriff Nachhaltigkeit sehr unterschiedlich aus, zum Teil auch konträr. Diese Interpretationsoffenheit und Fragilität des Konzepts von Nachhaltigkeit tritt gerade deutlich zutage, nämlich in der Debatte um die EU Taxonomie und der Klassifizierung von Erdgas- und Kernenergie als nachhaltig. Grundsätzlich sollen durch die Taxonomie private Investoren mobilisiert und gelenkt werden, um die Umstellung auf erneuerbare Energien zu finanzieren. Nun ist dieses Vorhaben aber mit dem Problem konfrontiert, dass der Energiemix in Europa stark variiert und die Länder unterschiedliche ökonomische Ausgangspositionen haben. „Nachhaltig sein“ ist dann auch eine Frage des Geldes. Und das führt eben auch zu unterschiedlichen Vorstellungen von Nachhaltigkeit.
Ich finde es also schwierig, sich individuell selbst als nachhaltig zu bezeichnen. Aber hinter diese großen Konzepte und Begriffe zu schauen ist das, was mir an der Forschung so viel Spaß macht.