Dissertationen
Prof. Peukert betreut folgende Dissertationsprojekte:
Nora Lege: Die Konstruktion des ,eigenen‘ Kindes. Im Spannungsfeld von Naturalisierung und Individualisierung? (Zweitbetreuung)
Projektbeschreibung
Das Kinderkriegen ist die Grundlage der materiellen Herstellung der Gesellschaft. Darüber hinaus ist es als alltagsweltliche Letztbegründung von Zweigeschlechtlichkeit fundamental für die Ordnung der Gesellschaft. Und darum ist es eben auch hochgradig relevant für die Biographie eines*einer jeden Einzelnen, ob man am Ende ein Kind bekommt oder nicht. Das Kinderkriegen ist demzufolge grundlegend konstitutiv für die Gesellschaft. Und so möchte ich in meiner Dissertation nicht aus einer spezifischen Gesellschaftstheorie (wie so häufig nur nebenbei) das Kinderkriegen in den Blick nehmen, sondern aus einer gegenstandsbezogene Theorie zum Kinderkriegen einen familien und geschlechtersoziologischen Blick auf die moderne Erzählung der Gesellschaft werfen.
Zentral in der Analyse der modernen, alltagsweltlichen Erzählung zum Kinderkriegens ist die Frage nach dessen subjektiver Deutung. Sozialwissenschaftliche Forschungen rund um den Forschungsgegenstand Familie, vornehmlich die konstruktivistische Familienforschung, deuten gerade mit Blick auf Reproduktionstechnologien an, worin diese besteht: es geht um die Herstellung eines ,eigenen‘ Kindes. Diese syntaktische Phrase bleibt jedoch meist hinter dem Schleier der Selbstverständlichkeit unerklärt. Es stellt sich somit die Frage, was alltagsweltlich mit dem ,eigenen‘ Kind gemeint ist. Um dies herausarbeiten zu können, stehen im Zentrum meiner Forschung subjektive Deutungen heterologer Inseminationseltern – Eltern, die mit einer Samenspende und/ oder Eizellspende Kinder bekommen haben. Diese heterologen Inseminationseltern stellen aktiv her, was sonst verborgen bleibt – nämlich was das ,eigene‘ Kind ist. Meine aktuelle Forschungsfrage lautet dementsprechend: Wie wird das ‚eigene‘ Kind in der alltagsweltlichen Erzählung von heterologen Inseminationseltern konstruiert? Mit meinem Interesse an Alltagswissen und subjektiven Deutungen bewege ich mich mit meinem empirisch qualitativen Forschungsprojekt vor dem theoretischen Hintergrund des symbolischen Interaktionismus und Sozialkonstruktivismus und arbeite entlang des Forschungsstils der Grounded Theory mit leitfadengestützten, narrativen Interviews. Mit dem Verständnis des ,eigenen‘ Kindes als alltagsweltliche Konstruktion nehme ich eine sozialkonstruktivistische Perspektive in meiner Forschung ein. Da Sozialkonstrukte nicht ‚natürlich‘ gegeben sind, müssen sie ständig durch menschliche Handlungen rekonstruiert und somit erhalten werden. Es entsteht demzufolge eine veränderbare Wirklichkeit, welche von Menschen durch „Zeichen objektiviert wird und deren Ordnung eine zeichenhafte Wissensordnung ist“1. Dabei gibt es jedoch nicht „die eine wahre Wirklichkeit“2, sondern eine Vielfalt, wobei sich die Wirklichkeit der Alltagswelt als „Wirklichkeit par excellence darstellt“3, welche im Allgemeinen jedoch unhinterfragt bleibt, „[sie] ist einfach da – als selbstverständliche, zwingende Faktizität.“4 Zweifel und Probleme oder Widersprüche werden abgewehrt oder neutralisiert in die Wissensordnung eingebaut, um an der Annahme einer ‚natürlichen‘, objektiven, unveränderbaren Tatsache festzuhalten. Dieser theoretische Ansatz geht demzufolge davon aus, dass erst die Analyse der alltagsweltlichen Konstruktion der Wirklichkeit zum Verständnis der Gesellschaft führt.
Um die soziale Konstruktion des ,eigenen‘ Kindes in seiner Komplexität zu erfassen, besteht das Kernstück des Vorhabens in einer qualitativen Analyse, welche sich am Forschungsstil der Grounded Theory, nach Anselm L. Strauss5 orientiert. Ein solches rekonstruktives Verfahren ist besonders dafür geeignet Regeln, Ordnungen oder Sinnzusammenhänge im Text sichtbar zu machen und bietet sich daher für eine solche Fragestellung an.6 Hierbei verläuft die Datenerhebung und -analyse im Forschungsprozess parallel7, weshalb ich leitfadengestützte Interviews geführt habe und erst daran anschließend eruieren konnte, welche weiteren Daten für die Analyse relevant sind. Das abschließende Sample und Vorgehen hat sich somit erst im Laufe des Forschungsprozesses ergeben, wobei ich mich am theoretischen Sampling orientiert habe. Dabei leiten erste Ergebnisse die weitere Datenerhebung, was kontinuierlich bis zur theoretischen Sättigung vollzogen wird.8
Gesetzt hatte ich jedoch im Vorfeld, dass im Zentrum meines Samples heterologe Inseminationsfamilien stehen – folglich Eltern, die mit einer Samen-, Eizell- oder Embryonenspende ein Kind bekommen haben. Sie sind in dreifacher Weise gezwungen die Norm des Kinderkriegens zu verhandeln: 1. Nach Außen – Sie verhandeln das ,eigene‘ Kind mit dem Außen ihrer Kernfamilie. 2. Paarintern – Sie sind mit einer paarinternen Asymmetrie des Kinderkriegens konfrontiert, die nicht entlang einer naturalisierten Geschlechterdifferenz aufgelöst werden kann. 3. Gegenüber dem Kind – Sie verhandeln die Normabweichung in der (möglichen) Aufklärung ihres Kindes. Am Beispiel der Erzählungen von heterologer Inseminationseltern kann schließlich sichtbar gemacht werden, was an anderer Stelle selbstverständlich und unhinterfragt unsichtbar bleibt.
Als materielle Grundlage der Gesellschaft, Legitimation einer geschlechterdifferenzierten Gesellschaftsordnung und als biographischer Meilenstein der Gesellschaftsmitglieder ist das Kinderkriegen zwar gesellschaftlich konstitutiv, als ,vorsoziales‘ Phänomen disziplinär ausgelagert, findet es jedoch nur selten einen Platz im soziologischen Blickfeld. Mit dem ,eigenen Kind‘, dem Kernelement der modernen Erzählung des Kinderkriegens, setzte ich es dagegen als Fundament von Gesellschaft in das Zentrum meiner qualitativ-empirischen Forschungsarbeit. Mit meiner Dissertation kann ich dementsprechend empirische fundiert entlang einer gegenstandsbezogene Theorie zum ,eigen Kind‘ - dem modernen Kinderkriegen - einen familien- und geschlechtersoziologischen Blick auf die moderne Erzählung der Gesellschaft werfen.
1 Zifonun, D., 2004. Politisches Wissen und die Wirklichkeit der Politik. Zum Nutzen der Wissenssoziologie
für die Bestimmung des Politischen, in: Politikwissenschaft Als Kulturwissenschaft. Springer, S. 259.
2 Berger, P.L., Luckmann, T., 2005 [1969]. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt am
Main: Fischer Taschenbuch. S. 24.
3 Ebd. S. 24.
4 Ebd. S. 20.
5 Strauss, A.L., 2007. Grundlagen qualitativer Sozialforschung: Datenanalyse und Theoriebildung in der empirischen
soziologischen Forschung. München: UTB für Wissenschaft Uni-Taschenbücher. Fink.
6 Vgl. Strauss, A., Corbin, J.M., 1990. Basics of qualitative research: Grounded theory procedures and techniques.
Sage Publications Inc. S. 98.
7 Vgl. Strübing, J., 2013. Qualitative Sozialforschung: Eine komprimierte Einführung für Studierende. Oldenbourg:
Wissenschaftsverlag. S. 121.
8 Vgl. Merkens, H., 2010. Auswahlverfahren, Sampling, Fallkonstruktion. In: Flick, U., Kardorff, E., Von
Steinke, I. (Hg.): Qualitative Forschung. Reinbek: Rowohlt. S. 286–298.
Kai Seidensticker: Ordnungen der Polizei. Die Konstruktion von Männlichkeit in der Alltagsorganisation (Erstbetreuung)
Abstract
Soziale Praktiken zur Herstellung von Geschlecht und Geschlechterunterschieden in der Polizei werden in der Wissenschaft bereits vermehrt betrachtet (z. B. Waddington 1999; Loftus 2009), das Interesse richtet sich dabei allerdings zumeist auf die Integration von Frauen in die Polizei bzw. deren Entwicklung in der Organisation (u. a. Swoboda-Riecken 2001; Wilz 2006). Der nationale Forschungsstand zu Männlichkeit(en), deren Produktion und Reproduktion sowie zu deren Auswirkungen auf die Organisation und das Polizieren, ist dagegen eher unterrepräsentiert (Behr 2006, S. 91). Auch die Frage danach, wie die Kategorie Geschlecht bei der Organisation von Macht und Autorität in der Polizei (re)produziert wird und wirkt, bleibt bislang weitestgehend unbeantwortet (hierzu z. B: Pfeil 2008).
Diese Studie stellt die Konstruktion von Männlichkeiten in der Alltagsorganisation in den Fokus und betrachtet die Polizei dabei als Produkt ihrer Geschichte und den vielfältigen vermachteten Diskursen, (kollektiven) Subjektivierungen und Praktiken, mithin als Bourdieu’sches Feld. Mit Behr (2000), Behrendes (2013) und Dübbers (2015) wird angenommen, dass Männlichkeitsmuster ein Aspekt des polizeilichen Selbstverständnisses, insbesondere im Umgang mit der Gesellschaft sind. Da Effekte auf Struktur- und Handlungsebene dazu beitragen können, etablierte Muster zu verfestigen, kann die Bestimmung der vorherrschenden Männlichkeitsmuster Aufschluss darüber geben, wo das Feld Polizei bzw. ihre jeweiligen Unterfeld auf der Skala zwischen staatspolizeilicher und bürgerpolizeilicher Ausrichtung zu verorten sind. Die Intention liegt dabei in einem besseren Verständnis von materiellen und diskursiven Praktiken und Denkweisen im Feld Polizei (vgl. Künkel 2014). Den Ausgangspunkt dieser Untersuchung stellt die Verbindung des soziologischen Konzeptes der hegemonialen Männlichkeit von Connell (2015) und der Theorie männlicher Herrschaft von Bourdieu (2005) dar.
Indem gemeinsam geteilte Orientierungen der Mitglieder unterschiedlicher Tätigkeitsbereiche im Feld Polizei herausgearbeitet werden, sollen die Praktiken der (Re-)Produktion dominanter Männlichkeitsmuster in diesen, als konjunktiven Erfahrungsräumen verstandenen Unterfeldern beschrieben werden. Darüber hinaus wird die Frage gestellt, ob bzw. inwiefern sich die organisationalen Strukturen der jeweiligen Erfahrungsräume auf die Ausprägung von Männlichkeitsmustern auswirken.
Da es sich bei dem hier fokussierten Wissen mit Mannheim überwiegend um „atheoretisches“ Wissen handelt, diese Arbeit also die kommunikativen Praktiken in der Polizeiorganisation betrachtet, in denen sich kulturelle Orientierungen dokumentieren, wird methodisch auf Gruppendiskussionsverfahren zurückgegriffen. Das empirische Material ergibt sich aus fünf durchgeführten Gruppendiskussionen in unterschiedlichen Tätigkeitskontexten der Polizei (Streifendienst, Kriminalsachbearbeitung, Bereitschaftspolizeihundertschaft, Polizeianwärter und Aufsteiger in den höheren Polizeidienst). Die Auswertung erfolgt anschließend im Quervergleich und anhand der dokumentarischen Methode (vgl. Bohnsack, Nentwig-Gesemann & Nohl 2013). Die gewählte praxistheoretische Perspektive auf die Konstruktion von Männlichkeiten in der Polizei soll dazu beitragen, in der Alltagsorganisation vorgefundene Praktiken sichtbar zu machen und im Kontext ihrer wechselseitigen Produktionsbedingungen zu reflektieren.
Literatur
Behr, R. (2000). Cop Culture. Der Alltag des Gewaltmonopols. Männlichkeit, Handlungsmuster und Kultur der Polizei. Opladen: Leske und Budrich.
Behr, R. (2006). Polizeikultur. In H.-J. Lange, Wörterbuch zur Inneren Sicherheit (pp. 232-235). Wiesbaden: Springer VS.
Behrendes, U. (2013). Orientierungspunkte einer Bürger(rechts)polizei. In B. Frevel, & H. Groß, Konzepte polizeilichen Handelns (pp. 112-139). Frankfurt am Main.
Bohnsack, R., Nentwig-Gesemann, I., & Nohl, A.-M. (2013). Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Wiesbaden: Springer.
Bourdieu, P. (2005). Die männliche Herrschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Connell, R. (2015). Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit (Vol. 8). Wiesbaden: Springer.
Dübbers, C. (2015). Von der Staats- zur Bürgerpolizei? Empirische Studien zur Kultur der Polizei im Wandel. Frankfurt/Main: Verlag für Polizeiwissenschaft.
Künkel, J. (2014). Intersektionalität, Machtanalyse, Theoriepluralität. sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung, 2(2), pp. 77-90.
Loftus, B. (2009). Police Culture in a Changing World. Oxford: Oxfod University Press.
Pfeil, P. (2006). Polizei und Geschlecht. Opladen: Barbara Budrich.
Swoboda-Riecken, S. (2001). Berufliche Sozialisation und Rollenverständnis der Geschlechter in der Gegenwart. Dargestellt am Beispiel von Frauen in der Schutzpolizei. Kiel: Christian-Albrechts-Universität.
Waddington, P. (1999). Police (canteen) sub-culture. An appreciation. The British Journal of Criminology, 2(39), pp. 287-309. DOI [externer Link].
Wilz, S. M. (2006). Geschlechterkonstruktionen in der Polizei. Retrieved 12 03, 2016, from https://www.fernuni-hagen.de/soziologie/lg3/download/gdiff_org_pol_06.pdf