Digitale Kommunikation
und Nachhaltigkeit
Foto: UHH/Denstorf
14. April 2023
Die thematische Analyse der medialen Debatte infolge der Ankündigung eines behördlichen Ausschlusses der drei ukrainischen, vom Kreml unterstützten Fernsehsender hat ein Schlaglicht auf den komplexen und vielschichtigen Prozess der journalistischen Abgrenzungsarbeit in Übergangsdemokratien geworfen.
Kommunikationswissenschaft konzentriert sich in der Regel auf die Rolle alternativer und/oder sozialer Medien bei der Verbreitung von Desinformation, Propaganda und anderen Arten problematischer Informationen, die die demokratische Stabilität und den sozialen Zusammenhalt westlicher Demokratien bedrohen. In diesem Artikel zeigen wir, dass in weniger institutionalisierten und regulierten Kontexten, wie sie in Übergangsdemokratien anzutreffen sind, auch (quasi-)journalistische Mainstream-Medien von verschiedenen Akteuren instrumentalisiert und strategisch eingesetzt werden können, um die operative Logik des Journalismus als Beruf infrage zu stellen. Die Regulierung solcher Medien stellt eine besondere Herausforderung dar, da jede restriktive Entscheidung „dem unvermeidlichen Vorwurf standhalten muss, dass der Ausschluss selbst eine undemokratische Intervention ist“ (Yanchenko et al., 2023, 5). Am Beispiel der Ukraine, deren mediale und politische Systeme seit Jahren Ziele russischer Strategien der hybriden Kriegsführung sind, wird in der Studie untersucht, wie drei Gruppen von Akteuren – Medienbehörden sowie sanktionierte und nicht-sanktionierte Medien – nach dem Ausschluss dreier ukrainischer, vom Kreml unterstützter Fernsehsender um die Deutungshoheit konkurrierten, die Grenzen des legitimen Journalismus in der Ukraine zu definieren.
Theoretisch baut der Artikel auf dem Konzept der Parasiten des Journalismus auf, das von Nordheim und Kleinen von-Königslöw (2021) kürzlich eingeführt haben, und wendet es zum ersten Mal auf empirisches Material aus der Praxis an. Methodisch stützt sich der Beitrag auf eine thematische Analyse dieses Materials aus einem breiten Spektrum von Medienquellen (n = 115), darunter Nachrichtenberichte, Meinungsbeiträge, politische Talkshow-Episoden und Stellungnahmen journalistischer Organisationen.
Die zentralen Ergebnisse der Studie lassen sich im Rahmen des Parasitenmodells zusammenfassen. So betonen die ukrainischen Medienbehörden die zwiespältige Position der sanktionierten Fernsehsender, die gleichzeitig zur ukrainischen Medienlandschaft und zum geopolitischen Instrumentarium eines ausländischen Staates gehören. Im Gegenzug beriefen sich die sanktionierten Fernsehsender und die ihnen angeschlossenen Akteure auf die Pressefreiheit und die Grundsätze von Pluralismus und Kontrolle, um ihre Existenz zu legitimieren – dieselben Grundsätze, die die Regulierungsbehörde durch das Verbot zu schützen versuchte. Die nicht-sanktionierten Medienakteure, schließlich, haben die Sanktionsentscheidung weitgehend unterstützt und sich vom Selbstlegitimationsdiskurs der sanktionierten Akteure distanziert. Auf theoretischer Ebene zeigt die Studie, dass das Konzept der Parasiten des Journalismus ein nützliches Analyseinstrument ist, das zum Verständnis komplexer Diskurse um antagonistische Medienakteure eingesetzt werden kann.
Studie
Yanchenko, K., Shestopalova, A., von Nordheim, G., & Kleinen-von Königslöw, K. (2023). “Repressed Opposition Media” or “Tools of Hybrid Warfare”? Negotiating the Boundaries of Legitimate Journalism in Ukraine Prior to Russia’s Full-Scale Invasion. The International Journal of Press/Politics, 0(0). https://doi.org/10.1177/19401612231167791
Literatur
Nordheim, G., & Kleinen-von Königslöw, K. (2021). Uninvited Dinner Guests: A Theoretical Perspective on the Antagonists of Journalism Based on Serres’ Parasite. Media and Communication, 9(1), 88-98. https://doi.org/10.17645/mac.v9i1.3419