Society Research
Interview mit Dr. Stephan Kirchner
16 January 2018

Photo: pixabay
In den letzten Jahren sind im Internet Unternehmen sehr groß geworden, die Plattformen für den Handel von Waren oder Dienstleistungen anbieten. Amazon, ebay, Uber, Airbnb, sie alle dienen dazu, weltweit Angebote an die Kunden zu bringen. Davon profitieren die Konsumenten: Das Angebot steigt, die Preise sinken. Ein positive Entwicklung oder nicht? Dr. Stefan Kirchner, Soziologe an der UHH, ist Leiter von Research Area 1: Institutional Constellations that Govern Markets and the Economy am Centre for Globalisation and Governance (CGG). Er arbeitet zur Transformation von Arbeit unter veränderten Marktbedingungen und ist Ko-Autor von Artikeln wie „Wie eine Arbeitswelt loser Koppelung den Sozialstaat herausfordert“ (zusammen mit Katrin Cholotta) und „Die Plattformlogik als digitale Marktordnung“ (zusammen mit Jürgen Beyer) und hat vor kurzem einen Ruf auf die Professur für „Digitalisierung der Arbeitswelt“ der Fakultät VI – Planen Bauen Umwelt der Technischen Universität Berlin erhalten. Für den CGG Newsletter stellt er digitale Plattformunternehmen in einen größeren Zusammenhang von Finanzmarktdynamik und sozialstaatlichen Regulierungen.
Herr Kirchner, was sind digitale Plattformunternehmen und was macht sie aus?
Kirchner: Digitale Plattformunternehmen sind Marktplattformen. Sie bieten eine Infrastruktur an, um Anbieter und Nachfrager in einem bestimmten Markt zusammenzubringen. Dazu wird das Internet benutzt. Die Unternehmen verdienen daran, indem sie für die Nutzung der Plattform Gebühren erheben. Die Plattform selbst verkauft oder kauft also nichts, sie schafft nur die Rahmenbedingungen für Transaktionen. Das heißt, sie schafft die Möglichkeit, dass Angebote anschaulich präsentiert werden können, dass Anbieter bewertet werden und der Nachfrager damit die Vertrauenswürdigkeit des Anbieters einschätzen kann.
Damit tritt das Plattformunternehmen in Konkurrenz zu bisherigen Anbietern, z. B. Uber zu den lizensierten Taxis oder Airbnb zu Hotels. Die Konkurrenzsituation wird dabei vor allem dadurch verschärft wird, dass die Plattformunternehmen durch die Nutzung des Internets weltweit agieren und dass sie auf ein erheblich größeres Potenzial zurückgreifen können, als die herkömmlichen Märkte: Uber greift potenziell auf alle Pkws zurück, Airbnb auf alle zu Wohnzwecken vermietbaren Immobilien. Dadurch wird ein enormer Preisdruck auf die herkömmlichen Anbieter in dem betreffenden Segment erzeugt und die Preise für den Nachfrager sinken.
Diese Entwicklung stellt sich für den Verbraucher ja positiv dar, wieso ist sie aus soziologischer Perspektive interessant?
Kircher: Dazu muss man sich vor allem die auf den ersten Blick weniger offensichtlichen Folgen ansehen, die mit der Einführung von digitalen Marktplattformen zusammenhängen. Diese Folgen liegen auf sehr unterschiedlichen Ebenen und sie betreffen die Umstrukturierung von zentralen gesellschaftlichen Bereichen, z. B. von individuellem Transport und von Wohnen.
Was verändert sich denn da konkret?
Kirchner: Ich gebe mal ein Beispiel. Das Taxi-Geschäft war früher stark reguliert, in Form eines Kartells. Um Taxi fahren zu können, brauchte man eine Lizenz und einen Personenbeförderungsschein. Bei Uber muss man lediglich einen Führerschein und einen eigenen Pkw vorweisen können und das erforderliche Mindestalter von 21 Jahren haben. Und natürlich liegt der Unterschied auch im Preis, den der Kunde für seine Beförderung zahlt. Aber daneben gibt es einen weiteren Unterschied: Der Taxi-Fahrer hatte die Möglichkeit, sein lebenssicheres Einkommen mit dem Taxi-Geschäft zu verdienen. Bei Uber ist das nicht mehr so: Alle die Zeit und Lust haben und fahren können, erhöhen das Angebot an ‚Taxi-Fahrern‘ massiv und damit sinken die Preise. Und das läuft so, dass, man, nachdem man seine Kinder zur Schule gefahren hat, am Vormittag noch ein bisschen Geld dazuverdient, dann aber, wenn die Kinder wieder zu Hause sind, umschaltet und wieder die Kinder betreut. Das heißt insgesamt – aufgrund der sinkenden Preise für das Taxi-Fahren und der begrenzten Zeit, die man dafür aufwendet –, dass die Beträge, die man hier einnimmt, ein Einkommen nicht mehr ermöglichen.
Aber dennoch nimmt man ja etwas ein, warum sollte das ein Problem sein?
Kirchner: Problematisch ist das, weil es hier um Arbeit und ihre Bezahlung geht. Und das ist den meisten, die digitale Plattformen für private Zwecke nutzen, nicht klar: Es ist eine Form von Arbeit, Taxi zu fahren. Und wenn man bei ebay etwas verkaufen will, macht das unglaublich viel Arbeit, wenn man es gut machen will und damit Geld verdienen möchte. Also der Zeitaufwand, den man investiert, den man vielleicht gar nicht als Arbeit erlebt, ist aber faktisch Arbeit, die allerdings nicht mehr wie vorher in einem formal organisierten Bereich erbracht wird. Man hat in dem Sinne keinen wirklichen Job mehr. Mit dem Verschwinden der formalen Organisation von Arbeit fallen aber auch die herkömmlichen Regulierungen weg: Mindestlohn, Arbeitszeitregelungen usw. Die alten Regulierungsinstrumente greifen nicht mehr und das heißt, dass wir mit der Arbeitswelt eigentlich auf einen paradigmatischen Bruch zusteuern.
Die zentrale Frage ist für Sie also, wie die Organisation von Arbeit im Zusammenhang mit digitalen Plattformen verändert wird?
Kirchner: Ja, es geht um die Etablierung einer neuen Marktordnung, die die Arbeitswelt in starkem Maße beeinflusst. Im Augenblick wird viel diskutiert, ob und wie hier eine neue Regulierung eingeführt werden kann. Z. B. könnte man arbeitnehmerähnliche Erwerbspersonen definieren. Arbeitnehmer oder Angestellte zu beschäftigen, ist aber etwas, was Plattformunternehmen tunlichst vermeiden.
Aber von Veränderung ist im Zusammenhang mit digitalen Plattformen nicht nur Arbeit betroffen, sondern auch andere Bereiche.
Was meint das?
Kirchner: Zum Beispiel weiß man, dass Zimmer in Abhängigkeit von der Hautfarbe der Vermieter mehr oder weniger gebucht werden oder man als Gast zugelassen wird oder nicht. Das betrifft also Antidiskriminierungsgrundsätze: Ein Hotel hat eine Antidiskriminierungsrichtlinie, die es erfüllen muss und daher niemanden wegschicken darf.
Das Gleiche gilt auch für Sicherheitsbestimmungen: In Hotels sind Rauchmelder zwingend vorgeschrieben, in privaten Wohnungen nur bedingt.
Es hat aber auch zur Folge, dass sich Amateure auf diesen Plattformen professionalisieren: Sie bieten auf Airbnb z. B. mehrere Wohnungen an und geben sie systematisch in den Markt.
Und, ein weiterer Aspekt, in der Folge der Einbettung von digitalen Plattformen sind auch andere Dinge zu beobachten. In San Francisco etwa hat man die Möglichkeit, Wohnungen im Sommer für ein, zwei Monate über Airbnb vermieten zu können, in die Miete eingepreist. Das wiederum hat zur Folge, dass man diese Ressource, die eigene Wohnung, tatsächlich zur Verfügung stellen muss, weil man sich sonst seine Wohnung nicht leisten könnte. Im Endeffekt hat das dazu geführt, dass der Mietpreis in der Region gestiegen ist. Damit resultiert aus der Einführung von digitalen Plattformen eine Einschränkung hinsichtlich grundlegender gesellschaftlicher Infrastrukturen und auf diese Einschränkung wird unterschiedlich reagiert.
Was für Reaktionen gibt es denn hier?
Kirchner: Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Ideen dazu. Die eine ist, dass man diese Entwicklung laufen lässt. Das passiert in den USA. Dort sieht man, dass etwas Innovatives entsteht. Der Ansatz, der u. a. in Deutschland verfolgt wird, ist der, dass man bestimmte Plattformangebote einschränkt, wenn man feststellt, dass da etwas ins Rutschen kommt, z. B. was die Arbeitskraft betrifft oder die Verfügung über Wohnraum. In Deutschland gibt es Uber daher jetzt nicht mehr und auch was Airbnb betrifft, wurden Einschränkungen vorgenommen, z. B. in Berlin, wo in zu starkem Maße Wohnraum abgezogen wurde, um damit durch kurzfristige Vermietung Geld zu verdienen.
Was meinen Sie denn, wie man in Zukunft damit umgehen wird?
Kirchner: Das ist im Moment noch offen. Die Zukunft wird aber stark davon abhängen, als was wir digitale Plattformunternehmen verstehen. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob wir sie als eine praktische und hilfreiche Randerscheinung ansehen, wie etwa eine Art Gelbe Seiten, oder eine grundlegende gesellschaftliche Infrastruktur, wie etwa die Deutsche Bahn. Dann wäre die Frage, ob das eigentlich mit einem starken Privatinteresse überhaupt betrieben werden sollte.
Wie würden Sie dieses Privatinteresse denn derzeit beurteilen?
Kirchner: Das Geschäftsmodell der Plattformen besteht darin, ökonomischen Austausch mittels neuer Technologien so zu organisieren, dass Personen, die sich weltweit an beliebigen Orten befinden, zusammenzubringen und für diese Dienstleistung Gebühren zu verlangen. Neu ist daran – abgesehen von der Technologie selbst –, dass die Unternehmen weltweit ein System etablieren und dabei die Fähigkeit besitzen, dieses System relativ schnell groß zu machen und viele Anbieter und Nachfrager darin zu organisieren. Das gelingt den Plattformunternehmen dadurch, dass sie sich auf bereits vorhandene Märkte praktisch draufsetzen: Sie haben für die Märkte einen positiven Effekt, da die Angebote schneller sortiert und wahrgenommen werden können und damit die Verteilungslogiken verändert werden. Das Marktvolumen, das dabei entsteht, ist riesengroß – zumal, wie bereits gesagt, bisher brachliegende gesellschaftliche Ressourcen (das private Auto, die Privatwohnung etc.) einbezogen werden. Und aus diesem Grund wird die Digitalisierung an dieser Stelle auch stark durch Risikokapital angetrieben.
Worin besteht denn der Zusammenhang?
Kirchner: Das ist sozusagen die Bonusrunde für den Finanzkapitalismus: Alle derzeit erfolgreichen Plattformen werden durch Risikokapital betreiben. Risikokapitalanleger haben großes Interesse an den Monopolstellungen dieser Plattformen und sind daher bereit, sehr viel Geld dafür zu geben. Die Plattformunternehmen haben dann für drei, vier Jahre das Kapital, um sich etablieren, überzeugende funktionierende Lösungen finden, Wettbewerber verdrängen und sich im Zweifelsfall mit der Regulierung herumstreiten zu können. Die Idee ist dabei, ein Modell aufzuziehen, über das – wie gesagt – Gebühren eingenommen werden können, und zwar in einem Maße, dass der Risikokapitalgeber zufriedengestellt werden kann. Ihm wird ein Return on Investment geliefert, das für ihn interessant ist. Vor allem aber greifen diese Modelle weltweit. Wenn man sich etwa vorstellt, was es heißt, ein Auto zu entwickeln und zu bauen und soweit zu expandieren, dass man weltweit produzieren kann, hat man einen Vergleich hinsichtlich der Geschwindigkeit, in der sich digitale Modelle etablieren. In der analogen Wirtschaft dauert das viel länger. Die Geschwindigkeit erhöht sich, da sich die Plattformunternehmen quasi auf Märkte draufsetzen und diese organisieren.
Das heißt abgesehen vom Profit geht es am Ende um das Monopol?
Kirchner: Genau, hier liegt ein starker Verdrängungswettbewerb vor. Es gibt Netzwerkeffekte, die dazu führen, dass wenige Plattformen übrigbleiben, die dann natürlich sehr mächtig werden. Es geht nicht darum, die Preise durch eine Konkurrenzsituation dauerhaft zu drücken, sondern darum, irgendwann höhere Transaktionsgebühren einnehmen zu können. Das heißt aber dann auch, dass das Angebot für die Abnehmer wieder teurer wird. Das ist allerdings etwas, was momentan eher noch ausgeblendet wird.