Society Research
Die Vermarktlichung des öffentlichen Sektors: Internationale Konferenz „Social Finance, Impact Investing, and the Financialization of the Public Interest”
14 June 2017

Photo: CGG
Die Vermarktlichung des öffentlichen Sektors: Internationale Konferenz „Social Finance, Impact Investing, and the Financialization of the Public Interest”
Vom 23. und 24. März 2017 fand am CGG die internationale Konferenz „Social Finance, Impact Investing, and the Financialization of the Public Interest“ statt. Sie wurde von Prof. Dr. Ève Chiapello (EHESS, Paris) und Dr. Lisa Knoll (CGG/MLU Halle-Wittenberg) organisiert, beteiligt waren daran 35 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Frankreich, Großbritannien, den USA, Italien, Belgien, Spanien, Kanada und Deutschland. Die Konferenz wurde aus Mitteln des Anneliese Maier-Forschungspreises der Alexander von Humboldt-Stiftung finanziert, der 2016 an Ève Chiapello verliehen wurde.
Die Redaktion sprach mit Dr. Lisa Knoll, Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Risikopraktiken im Finanzsektor und in der Politik: Eine vergleichende Analyse ihrer Merkmale und der Translationsdynamiken zwischen gesellschaftlichen Feldern“ (CGG/MLU Halle-Wittenberg/FU Berlin) über die Vermarktlichung des öffentlichen Sektors und über die Konferenz.
Frau Knoll, Financialization of the Public Interest meint die Finanzialisierung bzw. Vermarktlichung des öffentlichen Sektors. Warum beschäftigt sich eine wissenschaftliche Konferenz mit diesem Thema?
Knoll: Die Vermarktlichung des öffentlichen Sektors ist keine neue Entwicklung. Die Privatisierung von Krankenhäusern, Wasserwerken oder, aktuell in der Diskussion, von Autobahnen erleben wir bereits seit Längerem. Im Augenblick gibt es aber eine neue Entwicklung vor allem im europäischen Ausland, in Großbritannien und den USA, die die Privatisierung von Sozialleistungen betrifft. Die Konferenz hat sich speziell mit dieser Entwicklung befasst, mit Social Finance und Social Impact Investing.
Was ist denn mit Social Finance und Social Impact Investing gemeint?
Knoll: Social Finance meint grundsätzlich alle Formen von Finanzinvestitionen, die eine soziale Wirkung haben sollen. Darunter fallen solche Dinge wie Genossenschaften, Microfinance, Green Ratings und CSR-Ratings, das heißt Investitionsangebote u. a. an den Börsen, die soziale oder ökologische Nachhaltigkeitsaspekte umfassen. Social Impact Investing zielt darauf, die Wirkung von Investitionen zu messen. Es stellt insofern zunächst einmal eine Art Controlling dar: Es soll sichergestellt werden, dass eine Ausgabe im Sozialbereich, im Augenblick sind das Spenden, aber auch Steuergelder, tatsächlich die Wirkung erzielt, die sie verspricht.
Das macht ja auch Sinn.
Knoll: Genau. Allerdings bleibt diese Art der Wirkungsmessung im sozialen Bereich nicht folgenlos: Social Impact Investing produziert mit der Forderung nach Wirkungsmessung eine bestimmte Form der Bürokratie: Sozialprojekte müssen evaluiert und in quantitativ messbare Zielmargen parzelliert werden. Und diejenigen, die sie evaluieren, müssen wiederum selbst evaluiert werden usw. Das Vertrauens- bzw. Qualitätsproblem lässt sich letztlich über die immer genauere Messbarmachung aber nicht lösen.

Eine Wirkungsmessung im Bereich von Sozialprojekten ist zudem nicht unproblematisch. Es ist ja nicht von vornherein klar, was eine Wirkung hier überhaupt sein kann. Entscheidet man sich für ein quantitatives Ziel, schließt man andere automatisch aus. Und die Frage, wann ein soziale Wirkung erzielt ist, wirklich nachhaltig erzielt ist, lässt sich schwer beantworten. Z. B. kann die Arbeit von Sozialprojekten subjektiv, aus der Perspektive der Teilnehmerin oder des Teilnehmers gesehen werden. Sie kann aber auch nach der Wirkungslogik, die das Impact Investing einführt, betrachtet werden. Dann geht es etwa darum, wie niedrig die Rückfallquoten von ehemaligen Strafgefangenen sein müssen, um ein Ziel zu erreichen, wie viele jugendliche Langzeitarbeitslose für wie lange in Ausbildung oder in Arbeit gebracht werden und was daraus folgen muss, damit ein Ziel erreicht ist. Und daraus folgt, dass dem Staat Ersparnisse entstehen. Aufwendungen für weitere Sozialleistungen entfallen, wenn ehemalige Strafgefangene nicht rückfällig werden und ehemalige Langzeitarbeitslose arbeiten und Steuern zahlen.
Das klingt doch sehr positiv.
Knoll: In gewisser Weise ist es das auch. Auch der klassische Wohlfahrtsstaat hat gute Gründe an Wirkungsmessung interessiert zu sein. Andererseits ist durchaus fraglich, ob es im Wohlfahrtsstaat in allen Bereichen positiv oder überhaupt notwendig ist, dass eine Wirkungsorientierung Einzug hält. Bisher gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, auf eine Krankenversorgung, auf eine Altersversorgung. Es ist egal, welche Wirkung damit erzielt wird. Mit der Einführung einer Wirkungslogik wird dieses Bürgerrecht in Frage gestellt. Oder man kann sagen, dieser Rechtsanspruchslogik wird eine Erfolgslogik nebenangestellt.
Zudem bleibt die Entwicklung im Bereich des Social Finance nicht bei der Quantifizierung stehen. Die Quantifizierung wird gebraucht, um feststellen zu können, dass dem Wohlfahrtsstaat Ersparnisse entstehen, die dann z. B. in sogenannten Social Impact Bonds, einem Investor als Zinsen für seine Investition zurückbezahlt werden können. Aufwendungen für weitere Sozialleistungen entfallen ja, wenn ehemalige Strafgefangene nicht rückfällig werden und ehemalige Langzeitarbeitslose arbeiten und Steuern zahlen. Das ist der Moment, wo aus dem Social Impact Investing, das zunächst einmal nur die Messbarkeit der Wirkung einer Investition meint, eine Gewinnoption für den Finanzsektor entsteht.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Knoll: Okay, ein rein fiktives Beispiel: Beim Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz könnte man die Vergabe von Kindergartenplätzen einer Wirkungslogik unterziehen. Das würde dann bedeuten, wenn sie einen Kindergartenplatz haben, können die Eltern arbeiten und verdienen so und so viel. Sie können damit durchrechnen, was das für den Staat für Ersparnisse erbringt und damit eine Wirkungslogik einführen. Die Ersparnisse könnten sie dann einem sozialen Investor als Zinsen gutschreiben.
Können Sie noch einmal genauer erklären, was ein Social Impact Bond ist?
Knoll: Social Impact Bonds sind besondere Finanzierungsinnovation des Wohlfahrtsstaats. Dabei werden Sozialprojekte von privaten Investoren vorfinanziert, die im Erfolgsfall eine Risikoprämie für ihre Investition zurückbekommen. Für diese Projekte werden konkrete Ziele, d. h. Wirkungen, definiert. Dieser Wirkung wiederum wird, wenn sie eintritt, eine Ersparnis auf Seiten des Staates zugeschrieben, eine konkret in Zahlen, d. h. monetär, ausdrückbare Ersparnis. Diese Ersparnis wird bei Zielerreichung, dem Investor als Gewinn ausgezahlt. Der versprochene Vorteil für den Staat besteht darin, dass der Investor das Risiko trägt: Wird die angestrebte Wirkung in dem Projekt nicht erreicht, wird ihm auch kein Gewinn ausgezahlt. Solche Investitionen von anderen können für öffentliche Haushalte besonders in Zeiten von EU-Stabilitätspakt und Schuldenbremse attraktiv sein.

Im Augenblick befinden sich Social Impact Bonds im Experimentierstadium. Sie werden nicht flächendeckend eingesetzt und sind in Deutschland noch sehr wenig bekannt ‒ vermutlich weil wir in Deutschland einen funktionierenden Wohlfahrtsstaat haben. In anderen EU-Ländern, in Großbritannien, und in den USA ist das anders. In diesen klassischen liberalen Ökonomien besteht eine lange Tradition fiskalischer Innovationen, auch bekannt als Private-Public-Partnership. Aufgrund des EU-Stabilitätspakts sind die Staaten zur Haushaltsdisziplin verpflichtet. Sie haben die Pflicht, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Und damit haben sie weniger Geld zur Verfügung, ihre Wohlfahrtsstaaten auszufinanzieren. Je mehr der Wohlfahrtsstaat unter Druck gerät, je weniger Geld ihm zur Verfügung steht, desto mehr ist er auf alternative Finanzierungsoptionen angewiesen. Und das Versprechen ist hier, dass diese Finanzierungslücke durch private Anleger geschlossen wird, so dass das gegenwärtige System aufrechterhalten – oder gar verbessert werden kann.
Heißt das, man muss solche Ansätze als Chance gegen Armut und soziale Ungleichheit verstehen?
Das ist die Frage, der wir auf der Konferenz nachgegangen sind. Es gibt derzeit noch relativ wenig Untersuchungen zu dem Thema. Auf der Konferenz ging es darum, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammenzubringen, die sich unterschiedliche solche Projekte angesehen haben und empirisch darüber geforscht haben, was genau an der Basis passiert. Und ich muss sagen, die Konferenz war insgesamt eher kritisch. Man hat viele Beispiele dafür gesehen, wie Social Impact Bonds zugunsten der Investoren gestaltet wurden: Z. B. sind diese nicht gewillt, lange auf die Gewinnausschüttung zu warten, sodass in den entsprechenden Verträgen immer frühere Ausschüttungsmodalitäten eingezogen wurden, etwa bei einem Projekt mit Jugendlichen in Essex, wo vereinbart wurde, dass nach jeder Therapie-Einheit eines Jugendlichen eine Gewinnauszahlung erfolgt. D. h. die Wirkung, die hier festgestellt wurde, war sehr stark von der Definition durch den Geldgeber abhängig. Gleichzeitig sind die Abmachungen, die hier getroffen, und die Bedingungen, die gestellt werden, sehr undurchsichtig, weil die entsprechenden Verträge privatrechtliche Konstrukte sind. Sie unterliegen dem Geschäftsgeheimnis und können erst im Nachhinein von der Öffentlichkeit eingesehen werden. Und sie müssen politisch nicht legitimiert werden, da sie auf Verwaltungsebene realisiert werden. Die Mittel sind oft als Sonderausgaben deklariert und müssen nicht über den Staatshaushalt gerechtfertigt werden.
Und was passiert, wenn der Investor sein Geld aus dem Projekt wieder abziehen will? Wenn das Projekt realisiert wurde, ist das Geld ja verbraucht und es gibt keinen realen Gegenwert mehr.
Knoll: Die Investitionen werden im Erfolgsfall zurückgezahlt. Der Investor geht also – je nach Vertragsausgestaltung – durchaus das Risiko eines Totalausfalls ein. Und der Staat, der im Erfolgsfall zahlt, hätte ja auch Geld ausgegeben, wenn er seine Projekte von Beginn an selbst finanziert hätte. Abziehen kann der Investor sein Geld nicht einfach so. Es besteht immerhin ein Vertrag.
Das heißt aber, dass der Staat das Projekt finanziert und, da er die zu erwartende Ersparnis im Erfolgsfall als Gewinn an den Investor auszahlt, davon aber nicht profitiert. Warum wird das dennoch gemacht?
Knoll: Das Problem besteht darin, dass die Staaten ‒ salopp gesprochen ‒ kein Geld mehr ausgeben dürfen. Solche Private-Public-Partnerships wie Social Impact Bonds sind für den öffentlichen Haushalt kurzfristig erst einmal billiger, weil der Finanzmarkt das Geld zur Verfügung stellt. Langfristig sind sie das aber nicht unbedingt. Man kann also durchaus die Frage stellen, welche Art der Umverteilung hier stattfindet. Das muss man sich aber genau ansehen.
Sie sagten, in Deutschland wäre diese Entwicklung noch nicht angekommen. Sie sehen aber auch hier die Möglichkeit, dass sich Social Impact Bonds etablieren könnten – wieso?
Knoll: In Deutschland gab es ein Pilotprojekt im Land Bayern. Seit dem hört man nicht mehr viel. Man kann man im Moment sehen, dass von den großen Stiftungen, und im Stiftungswesen allgemein an der Einführung der Wirkungsorientierung im sozialen Bereich gearbeitet wird. Man kann sagen, dass aus Spenden Investitionen werden sollen. Die großen Wohlfahrtsverbände, die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas u. a. stehen dieser Entwicklung jedoch skeptisch gegenüber. Man wird sehen, wie und ob sich dieser Trend eines finanzialisierten Wohlfahrtsmarkts in Deutschland etablieren kann.