Society Research
Zu welchen Themen führst du deine Forschung durch?
Meine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Sustainable Development Governance, Lateinamerikastudien mit Fokus auf Brasilien, sowie Klimazukünfte.
Mich interessiert die Sustainable Development Governance mit ihren Herausforderungen aber auch ihren Möglichkeiten, von der theoretischen, abstrakten Diskussion – z.B. auch zur Frage „Was ist überhaupt Nachhaltigkeit? – bis hin zur Umsetzung von Nachhaltigkeits- bzw. Klimazielen.
In meiner Dissertation lag mein Fokus auf der Diffusion der Agenda 2030 in Brasilien: Ich habe gefragt, wie Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen und Akteure des privaten Sektors – also nicht-staatliche Akteure – die Agenda auf lokaler Ebene wahrnehmen, was diese Agenda für sie ist und wie sie sie umsetzen. Ich habe mir angesehen, welche normativen und kognitiven Prozesse da im Spiel sind, aber auch welche Praktiken und Konflikte. Grob gesagt: Mich interessiert, was Sustainable Development eigentlich ist und wie Sustainable Development Governance funktioniert –aus historischer und gegenwärtiger Perspektive, aber auch mit Blick auf die Zukunft.
Generell liegt mein Forschungsinteresse auch jenseits des brasilianischen Kontextes. Im Bachelor Studium habe ich von Brasilien aus einen Blick in die Welt gewagt, und jetzt blicke ich aus der Welt nach Brasilien. Das finde ich besonders spannend, weil Brasilien alle Voraussetzungen hat um eine Sustainable Development Power und ein Vorbild zu sein. Sei es mit erneuerbaren Energien, sei es mit dynamischer Wirtschaft, sei es mit einer sehr interessanten, vielfältigen aber natürlich auch widersprüchlichen Gesellschaft und Geschichte. In der Vergangenheit wurde dort schon viel erreicht, ein gutes Beispiel ist ein Rückgang der Entwaldungsrate und Verbesserungen in der Sozialpolitik zwischen 2003 und 2012.
Natürlich war die damalige Entwicklung nicht in jedem Fall nachhaltig, und ich schaue mir an, warum und versuche zu zeigen, an welchen Stellen Lücken sind, die noch gefüllt werden müssen. Dabei versuche ich aber auch immer die Rolle Brasiliens in der globalen Nachhaltigkeitsgovernance im Blick zu behalten. Wenn z.B. Brasilien die mehrfachen Rückschläge der gegenwärtigen Regierung nicht bald überwindet und den Amazonas-Regenwald weiterhin zerstört, hat das krasse Implikationen für die ganze Welt.
Seit Juni 2020 bin ich Postdoc in CLICCS und arbeite im Syntheseprojekt in einem sehr interdisziplinären und internationalen Team. Im Exzellenzcluster wird untersucht, welche Klimazukünfte möglich und welche plausibel sind. Die Rolle der Synthesegruppe ist es vor allem, die unterschiedlichen CLICCS Projekte und Themen in dem sogenannten „Hamburg Climate Futures Outlook“ zusammenzubringen. Es ist eine tolle Erfahrung, aber auch eine große Herausforderung, mit Wissenschaftler:innen aus den verschiedensten fachlichen und epistemologischen Kontexten zusammenzuarbeiten. Es gibt sehr unterschiedliche Perspektiven auf die gemeinsame Forschungsfrage, aber am Ende soll ein „common ground“ erreicht werden. Das ist nicht immer leicht und birgt Konfliktpotential, aber wir arbeiten hart dafür, dass wir immer Lösungen für eine schöne Zusammenarbeit finden. Und bisher klappt es ziemlich gut!
Mit welchem Verkehrsmittel kommst du zur Arbeit – wenn du nicht gerade pandemiebedingt im Home Office bist?
Ich liebe Fahrradfahren! Vor der Pandemie habe ich eine Kombination aus U-Bahn und Fahrrad genutzt, auch weil ich nicht immer im Hamburger Wetter Radfahren wollte. Neulich habe ich mir sogar ein neues Fahrrad gekauft – vorher hatte ich immer „Schrott-Fahrräder“. Seit Beginn der Pandemie arbeite ich zwar vorwiegend zu Hause, aber wenn ich unterwegs bin – egal ob privat oder auf den seltenen Fahrten ins Büro – dann mit dem Fahrrad! Nach der Pandemie habe ich vor, nur noch mit dem Fahrrad ins Büro zu fahren.
Was gehört für dich zu einem gelungenen Tag?
Ich habe viele Rituale, auch wenn nicht immer alles genau gleich sein muss. Generell mag ich es, wenn ich morgens in Ruhe Frühstücken und Nachrichten lesen kann, und im Anschluss zu einem gelungenen Tag ins Büro fahren. Auf der Arbeit und danach Menschen treffen, ist mir ebenfalls sehr wichtig. Im Anschluss an die Arbeit sollte dann Zeit für Hobbies sein, z.B. Musik machen, Fußball spielen, Buch lesen oder Serie schauen. Ein gelungener Tag ist, wenn gutes Essen mit sozialen Kontakten und gelungener Arbeit integrieren kann. Während der Pandemie ist das leider schwieriger geworden. Allerdings versuche ich die widrigen Umstände mit Yoga, Spaziergänge im Wald und andere Bewegungsart zu überwinden.
Wie bist du zum Thema Nachhaltigkeit gekommen?
Es klingt vielleicht nach Klischee, aber ich interessiere mich seit meiner Kindheit für soziale Ungleichheit und habe mich früh mit Entwicklungsfragen beschäftigt. Zum Beispiel, als meine Eltern meinen Bruder und mich zur Schule gefahren haben, konnte ich als Kind nicht verstehen, warum Kinder wie ich Bonbons an Ampeln verkaufen müssen, während ich bequem im Auto saß. Als Kind einer brasilianischen Mittelschichtsfamilie habe ich zwar auch mal schwierigere Zeiten erlebt, aber die extremen sozialen Ungleichheiten in Brasilien habe ich nie verstanden. Das hat nicht nur mein Interesse an Politik geweckt, sondern auch an Entwicklungsfragen und dem "Warum". Im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, wie wichtig das Thema Nachhaltigkeit in diesem Zusammenhang ist. Meine Frau hat mich mit ihrer Begeisterung für Nachhaltigkeitsfragen ebenfalls beeinflusst. Seit meiner Promotion beschäftige ich mich besonders mit dem Thema nachhaltige Entwicklung, sowie Nachhaltigkeit als einem ständigen Prozess und einem Wert an sich.
Welches Forschungsinteresse steht nicht in deinem Lebenslauf?
Ich möchte mich bald intensiver mit dem Thema Digitalisierung beschäftigen. Zusammen mit Kollegen habe ich schon ein Projekt im Rahmen von CLICCS initiiert zum Thema Digitalisierung und Klimaschutz. Ein Beispiel für das Thema ist die Nutzung von KI im Rahmen der Optimierung in der Energieversorgung. Besonders interessant ist für mich die Verknüpfung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung und welche Möglichkeiten, aber auch welche Gefahren diese Kombination bergen kann.
Was gehört für dich zu einer glücklichen Kindheit?
Für mich gehören Freiheit, Leichtigkeit, Spielen, Musik, Kontakt zur Natur und ohne Angst zu leben zu einer glücklichen Kindheit. Darüber hinaus ist es wichtig, früh unterschiedliche Perspektiven kennenzulernen, also mit unterschiedlichen Leuten und unterschiedlichen Kulturen in Kontakt zu kommen. All das kann auch in einer vielfältigen Stadt wie Hamburg, mit seinen schönen, grüneren Ecken sehr gut gelingen.
Was fällt dir zum Schlagwort „emissionsfreies Hamburg“ ein?
Ich muss gestehen, ich bin ein kritischer aber gleichzeitig ziemlich optimistischer Mensch. Gramscis Gedanke „Pessimismus der Intelligenz, Optimismus des Willens“ ist übrigens eine sehr schöne Inspiration für mich. Ich weiß nicht, ob wir ein emissionsfreies Hamburg erleben werden, aber dass das möglich ist glaube ich. Wenn die Gesellschaft und wichtige Entscheidungstreffer:innen, mit Unterstützung von der Wissenschaft, sich stark in die Richtung orientieren, dann wird das auch gehen. Konkret nötig sind dafür z.B. starke soziale Bewegungen für Klimaschutz und -gerechtigkeit, Proteste und dementsprechend stärkerer Einfluss in der Politik; die Gestaltung von nachhaltiger bzw. klimafreundlicher Infrastruktur; die Reduktion der Menge von Autos und Steigerung des Anteils von Elektrofahrzeugen; die nachhaltige Produktion durch dekarbonisierte Industrie sowie nachhaltiger Konsum.
Optimistisch stimmt mich die weltweite Aktivität der jungen Generation, die sich in Bewegungen wie Fridays for Future für eine nachhaltige Gesellschaft engagiert. Natürlich sind die strukturellen Probleme und Rahmenbedingungen für nachhaltige Entwicklung in unterschiedlichen Länder und Kontexte nicht gleich, aber ich finde es unglaublich schön, dass das Engagement für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung existiert und sich weltweit verstärkt.
Wann hast du aufgehört zu meinen, dass du nachhaltiger wirst, oder meinst du es noch?
Das ist eine problematische Frage, da das immer im Vergleich zu anderen oder einem Mittelwert gesehen werden muss. In einigen Punkten verhalte ich mich vermutlich nachhaltiger als andere Menschen, aber in anderen Punkten ist das anders. Beispielsweise versuchen meine Frau in ich einmal im Jahr nach Brasilien zu fliegen, um unsere Familie zu besuchen, was ziemlich umweltschädlich ist. Andererseits konsumieren wir ziemlich wenig Strom, kaufen nur selten was Neues bzw. nutze Dinge so lange wie möglich, und versuchen nach Möglichkeit immer nachhaltige Produkte (Essen, Bekleidung, usw.) zu kaufen.
Für mich spielt da nicht nur das Thema Umwelt rein – z.B. Verzicht auf Plastik oder vegane Ernährung – sondern auch Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und Arbeitsbedingungen spielen eine Rolle. Aus einer holistischen Perspektive bringt es bringt nichts, wenn ich total umweltbewusst bin, mich für soziale Ungleichheiten und Gerechtigkeit aber nicht interessiere.
Ich denke, Nachhaltigkeit ist wie Demokratie. Es ist nie eine fertige Sache, sondern ein ständiger Prozess des Werdens (process of becoming). Wir werden nie nachhaltig genug sein und wir werden nie demokratisch genug sein. Das ist auch nicht unbedingt schlecht, da das heißt, dass wir immer besser sein können. Es hilft nicht, sich immer schuldig zu fühlen, sondern ich muss mir die Frage stellen, was ich tun kann, was ist meine Rolle, wie sehen eine nachhaltige Entwicklung und eine nachhaltige Gesellschaft aus.
Nachhaltigkeit ist also ein Wert und gleichzeitig ein Ziel sowie ein Prozess „in the making“. Das erinnert mich an das Sprichwort, auf Portugiesisch: „O caminho se faz ao caminhar“ - Der Weg entsteht wenn wir unterwegs sind.