Sozialwissenschaftliche Klimaforschung
Anita Engels beschäftigt sich seit Mitte der 1990er Jahre mit theoretischen und empirischen Zugängen zum Verhältnis von sozialem Wandel und anthropogenem Klimawandel. Ihre Arbeiten versteht sie als Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Klimaforschung. Der Klimawandel findet durch vielfache Deutungsprozesse vermittelt seinen Weg in die Gesellschaft, wo er als Kristallisationspunkt für Veränderungen wirksam wird. Allerdings ist diese Gesellschaft keine Einheit, sondern sie ist in sich differenziert und spezialisiert. Es gibt daher nicht die „eine“ Sicht auf den Klimawandel, und Vorschläge zum Umgang mit dem Risiko des anthropogenen Klimawandels sind unvermeidbar – und legitimerweise – gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen ausgesetzt. Auch steht Klimaschutz in Konkurrenz zu vielen anderen Zielvorstellungen, wie sich z.B. anhand der UN-Nachhaltigkeitsziele zeigen lässt (Sustainable Development Goals – SDGs). Klimaschutz ist hier nur eins von 17 Zielen, auf die sich die UN-Gemeinschaft im Jahr 2015 geeinigt hat.
Auffallend ist die große Diskrepanz zwischen der Verabschiedung von völkerrechtlich verbindlichen Klimaschutzzielen und den weiterhin hohen weltweiten Treibhausgas-Emissionen. Auch wenn in einzelnen Bereichen eine Trendwende im Hinblick auf den CO2-Ausstoß erreicht zu sein scheint, werden diese Emissionsminderungen durch Steigerungen in anderen Bereichen oder durch so genannte Rebound-Effekte aufgezehrt. Von der deutlichen Umkehr im Sinne einer Dekarbonisierung, die notwendig wäre, um z.B. die Pariser Klimaziele zu erreichen, ist die gegenwärtige Gesellschaft weit entfernt. Die sozialwissenschaftliche Klimaforschung, wie sie hier am Arbeitsschwerpunkt verstanden wird, beschäftigt sich deshalb mit den Fragen, welche gesellschaftlichen Dynamiken den fortgesetzten Treibhausgas-Ausstoß befördern, und welche gesellschaftlichen Voraussetzungen erforderlich wären, damit eine umfassende Dekarbonisierung überhaupt stattfinden könnte.
Dabei geht es nicht darum, zu einem moralisierenden Diskurs über dringende Lösungen für das Klimaproblem beizutragen, sondern um eine problemorientierte soziologische Grundlagenforschung. In zahllosen Forschungsarbeiten - von der Bachelor- und Masterarbeit über die Promotion bis zum Verbundforschungsprojekt in der Exzellenzinitiative – werden diese Fragen theoretisch und empirisch bearbeitet. Konkrete Untersuchungen beziehen sich z.B. auf Projekte zur Förderung erneuerbarer Energien, auf Emissionshandel und andere politische Instrumente des Klimaschutzes, auf den Umgang mit einer CO2-regulierten Zukunft in Wirtschaftsunternehmen sowie auf die Verbindung von Klimaschutz und Stadtentwicklung im Hamburger Stadtteil Lokstedt. In allen Fällen wird vorausgesetzt, dass CO2 nur ein Nebenprodukt gesellschaftlicher Aktivitäten ist. Die Entwicklung des CO2-Gesamtausstoßes ist somit immer bedingt durch komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge, die einem gesellschaftlichen Wandel unterliegen, der sich nur zu einem kleinen Teil direkt auf den Klimawandel zurückführen lässt.
Es kommt daher darauf an, die Prozesse des sozialen Wandels selbst zu verstehen, um sozialwissenschaftliche Klimaforschung betreiben zu können.