VeranstaltungshinweisReine Oberfläche - Zum neuen Unbehagen am Glatten
13. November 2015
Die Oberfläche scheint in einer tiefen Krise. War ihr Aufschwung im Pop der 1980er Jahre eine Reaktion auf die Formlosigkeit der Alternativkultur der 1970er, auf deren Konsumfeindlichkeit und Innerlichkeit, so scheint von der ‚postmodernen‘ Feier der Oberfläche – gemäß der in den Nuller Jahren formulierten Diagnose „Irony is over“ – wenig übriggeblieben zu sein. Die neue Ernsthaftigkeit tritt als Skepsis gegenüber Glamour, Geld und Künstlichkeit auf, als politisch engagierte Kunst, handgemachter Pop oder bekenntnisförmige Literatur. Das Natürlichkeitsideal der ‚Ecken und Kanten‘ ist durch das Interesse gesteuert, qua Oberflächenanalyse zur Tiefe der Dinge vorzudringen – und Tiefe bedeutet vor allem die Authentizität zerbrechlicher Persönlichkeiten.
Dass die Alltagssprache Oberflächlichkeit nicht gerade prämiert, ist nicht neu und entstammt einem teils religiösen, teils platonischen Vokabular, das als Synonyme des Oberflächlichen Flachheit, Gehalt- Geist- oder Inhaltslosigkeit vorsieht. Wer ‚Oberflächlichkeit‘ diagnostiziert, spricht im Tonfall der Kulturkritik, weist auf künstlerische Minderwertigkeit oder einen Mangel an Tiefe hinter der Oberfläche hin. Beispielhaft für die Erneuerung der Oberflächenkritik ist der Zusammenhang, den der Philosoph Byung-Chul Han zwischen der „glatten Oberfläche“ in Kunst (Jeff Koons), Enthaarungspraktiken (Brasilian Waxing) und neuen Medien (iPhone) einerseits und „glatter Politik“ andererseits auffindet: Gefälligkeit, mangelnde Visionen und Überzeugungen seien der Preis einer glatten, kalten Welt.
In diesem Kritikmodus muss es bereits irritierend anmuten, Oberflächlichkeit als deskriptive Kategorie zu verstehen, wie Thomas Hecken es in seiner Pop-Definition vorschlägt. Oberflächlichkeit meint hier schlicht ein Prinzip, das sich – etwa im Falle des Schallplattencovers – gegen Funktionalitätsanforderungen richtet. Pop ‚zweiter Ordnung‘ stellt Oberflächen her, die nicht mehr zu sein beanspruchen als reine Oberfläche. Wirksam wurde diese Coolness der Oberfläche in den 1980er Jahren nicht aus sich selbst heraus, sondern durch ihre teils taktische Abwendung vom Pathos in Rock, Alternativ- und Hippiekultur. Während es in der Diskussion um die Postmoderne, ihrem Interesse am Spiel mit Künstlichkeit und Zitation, noch in erster Linie um die Sichtbarkeit von Oberflächen, d..h. Oberflächen als Bilder ging, scheint heute stärker die haptische Dimension in den Vordergrund zu treten, wie die obigen Beispiele glatter Haut und glatter Smartphones zeigen. Diese Dimension des Taktilen, der Fühlbarkeit, verweist zugleich auf die Problematik der Gleichsetzung von Oberfläche und Glätte – und macht mit den Gebrauchsspuren, der verschmierten oder verkratzten Oberfläche jenseits der Glätte auch die Materialität von Oberflächen denkbar. Michel Serres’ Überlegungen zum Zusammenhang von Kosmetik und Kosmologie liefern erste Hinweise zu einem materialistischen Oberflächenverständnis: Kosmetik steht hier nicht – wie in der ‚postmodernen‘ Version – für eine Auflösung der Wirklichkeit in sichtbare Oberflächen, ermöglicht durch einen „Verzicht“ auf Tiefe, sondern begreift (Körper-)Oberflächen als Landschaften mit Markierungen und Hervorherbungen.
Wie verändert sich also das sinnliche Erleben von Oberflächen, wenn diese sich von einer durch Sichtbarkeit geprägten Kultur wegbewegen? Lässt sich hier anschließend ein Verständnis von Oberfläche jenseits der postmodernen Ironie entwickeln, d.h. ist angesichts einer neuen Ernsthaftigkeit ein aktualisiertes Lob der Oberfläche zu erwarten, das ‚postmoderne‘ Prinzipien der Ironie und des Zitats hinter sich gelassen hat? Kann eine gegenwartsbezogene Oberflächenfaszination zu einer Kritik am neuen Kult der Authentizität beitragen?
Ein Abend mit Thomas Meinecke und Thomas Hecken
Donnerstag, 19. November 2015
20 Uhr , 3 Euro Eintritt
Golem , Grosse Elbstrasse 14, 22767 Hamburg