DFG-Projekt FAMICAP
Das DFG geförderte Forschungsprojekt FAMICAP (Institutionelle Rahmung familialer Pflege zwischen Marktlogik und Familiensolidarität) wird unter der Leitung von Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger durchgeführt; das Team umfasst Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger und die wissenschaftlichen Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen Thurid Eggers und Christopher Grages sowie Jan Meid als studentischen Mitarbeiter.
Ausgangspunkt
Wie organisiert die Gesellschaft die Pflege älterer, pflegebedürftiger Menschen?
Auf der Grundlage des Wandels in Richtung der „alternden Gesellschaft” einerseits und des Anstiegs der Erwerbstätigkeit von Frauen andererseits stehen die Wohlfahrtsstaaten der westlichen postindustriellen Gesellschaften seit dem Ende der 1980er Jahre verstärkt vor der Aufgabe, den Bereich der „care“-Arbeit, der vor allem auch die Kinderbetreuung und die Pflege älterer Menschen umfasst, neu zu organisieren. Die Frage, wie eine Gesellschaft diese Arbeiten jeweils organisiert, berührt wichtige Grundelemente der Ordnung postindustrieller Gesellschaften. Es geht dabei darum, welchen Beitrag jeweils die Familie, der Wohlfahrtsstaat, der Markt und der Non-Profit-Sektor als Bestandteil des „Wohlfahrts-Mix“ zur gesellschaftlichen Wohlfahrt leisten (Evers & Olk 1996; Evers 2005). Darüber hinaus bildet die Konstruktion von „care“-Arbeit als weiblicher Aufgabenbereich in vielen postindustriellen Gesellschaften eine zentrale Grundlage der geschlechtlichen Arbeitsteilung: Die Veränderungen in der gesellschaftlichen Organisation von „care“-Arbeit berühren aus solchen Gründen deshalb auch allgemeinere Prozesse sozialen Wandels, wie Veränderungen in der gesellschaftlichen Funktion der Familie und in den Zuständigkeitsbereichen von Frauen und Männern, Wandel und Veränderungen in den ökonomischen Strukturen sowie die Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Politiken.
Seit den 2000er Jahren ist die Analyse der Entwicklung von „care“-Arbeit zu einem prosperierenden Zweig der international vergleichenden Sozialforschung geworden. Das Konzept von „care“-Arbeit wird dabei heute meist als eine generelle Bezeichnung für Arbeiten verwendet, die dazu dienen, hilfsbedürftige Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags zu unterstützen (Sipilä 1997; Daly & Lewis 1998). Die Analyse des Wandels bezieht sich meist auf Prozesse, die als „Formalisierung“ von Aufgaben wie Kinderbetreuung und Altenpflege bezeichnet werden. Gemeint sind Tendenzen der Herauslagerung dieser Arbeit aus dem privaten Haushalt, wo sie traditionell im Wesentlichen von Frauen informell und unbezahlt ausgeführt wurde, und ihre Umwandlung in formelle, bezahlte und teilweise professionell erbrachte Erwerbsarbeit (Anttonen & Sipilä 2005; Evers & Olk 1996; Evers 2005; Rostgaard 2002; Leitner 2003). Weiter wird untersucht, welche Politiken diesen Wandel unterstützen oder behindern (Anttonen & Sipilä 2005; Daly & Lewis 2000; Rostgaard 2002; Leitner 2003; Ostner 1998).
Tatsächlich hat aber – von der Soziologie der Wohlfahrtsstaaten, der Arbeitssoziologie und der Geschlechterforschung weitgehend unbeachtet – auch innerhalb der informellen „care“-Arbeit ein erheblicher Wandel stattgefunden. Zahlreiche Wohlfahrtsstaaten haben neue, hybride Formen bezahlter Kinderbetreuung und Altenpflege durch Familienangehörige eingeführt. Diejenigen, die ältere Familienangehörige selbst pflegen, zumeist Frauen, haben nun Ansprüche auf Bezahlung der Pflege und auf Elemente sozialer Sicherung. Teilweise wurde durch die neuen Politiken auch ein Arbeitsverhältnis auf der Basis bezahlter „care“-Arbeit zwischen den pflegebedürftigen älteren Menschen und ihren pflegenden Familienangehörigen konstituiert. Dadurch wurde die familiale Pflege teilweise der formellen Erwerbstätigkeit ähnlicher (Geissler & Pfau-Effinger 2005). Damit sind auch die traditionellen Grenzen zwischen informeller Familienarbeit und formeller Erwerbstätigkeit erodiert. Darüber hinaus wurden neuartige, auf Austausch von Geld gegen Leistung beruhende Beziehungen in das Verhältnis der Generationen und Geschlechter in der Familie hineingetragen. Solche neuartigen Pflegepolitiken bilden das Thema des Forschungsprojektes.
Zentrale Fragestellungen und innovativer Beitrag zur Forschung
Das Forschungsprojekt hat zum Ziel, internationale Differenzen in der wohlfahrtsstaatlichen Pflegepolitik zur familialen Pflege und zur extra-familialen Pflege in europäischen Wohlfahrtsstaaten sowie deren Ursachen und Folgen zu untersuchen. Dazu werden im Einzelnen die folgenden Analysen durchgeführt:
- Ursachen für die Entwicklung der neuen Politiken zur familialen Pflege in den europäischen Wohlfahrtsstaaten.
- Erklärung internationaler Differenzen in der Stärkung von Marktprinzipien in den wohlfahrtsstaatlicen Pflegepolitiken.
- Zusammenhang zwischen Pflegepolitik zur familialen Pflege mit der Pflegepolitik zur extra-familialen Pflege im Kontext der einzelnen Wohlfahrtsstaaten im Hinblick auf ihre Generosität.
- Differenzen in den potentiellen Folgen für geschlechtsspezifische soziale Risiken zwischen verschiedenen Typen wohlfahrtsstaatlicher Politik zur bezahlten familialen Pflegearbeit.
- Erklärung des Wahl-Verhaltens von SeniorInnen mit Anspruch auf Leistungen der Pflegesicherung zwischen familialer Pflege und extra-familialer Pflege.
Theoretischer und methodologischer Ansatz sowie innovativer wissenschaftlicher Beitrag
Der im Forschungsprojekt Famicap verwendete theoretische Rahmen zur Erklärung internationaler Differenzen in den Pflegepolitiken, wie auch zur Erklärung der Wirkungen von Pflegepolitiken im komplexen gesellschaftlichen Kontext beruht auf einer Modifizierung und Weiterentwicklung des historisch und international vergleichend angelegten theoretischen Ansatz des ‚Care Arrangements‘ von Pfau-Effinger (2005). Der ‚Care Arrangements‘-Ansatz betont das Zusammenspiel von politischen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Faktoren auf der Grundlage von Akteurshandeln und Machtbeziehungen. Der Ansatz geht im Hinblick auf die Untersuchung und Erklärung von sozialem Wandel und seinen Auswirkungen davon aus, dass eine bestehende Politik und ihre Institutionen normalerweise auf bestimmten kulturellen Weltbildern beruhen und bestimmten Gruppen der Bevölkerung zugutekommen. Die Institutionen können stabil sein, solange ihre kulturellen Grundlagen relative stabil sind, sie gegenüber der Bevölkerung ausreichend legitimiert sind und sie als ausreichend zur intendierten Problemlösung gelten. Es ist ebenso auch möglich, dass Institution und ihre kulturellen Grundlagen sowie ihre Umverteilungseffekte umstritten sind und dass bestimmte Akteursgruppen versuchen auf der Basis von Diskursen, Aushandlungsprozessen und Kompromissen einen Politikwandel herbeizuführen. Im Verlauf dieses Prozesses können sich dabei die Machtbeziehungen zwischen Akteuren verändern. Der Prozess führt jedoch nicht notwendigerweise zum Politikwandel. Im Fall, dass die bestehende Politik und deren Institutionen reformiert werden, beinhalten die neuen Politiken und Institutionen oftmals noch Elemente der früheren Politiken und Institutionen. Oftmals weisen Transformationsprozesse hierbei eine allgemeine „Pfadabhängigkeit" auf, wobei sowohl historische Kontinuitäten als auch Brüche mit Traditionen das weiteren Fortschreiten der Veränderung bestimmen. Dieser Umstand ergibt sich unter anderem auch dadurch, dass die relevanten sozialen Akteure sich immer noch unter der Wirkung von Institutionen und kulturellen Idealen und Weltanschauungen handeln, die de facto bereits reformiert wurden. Die Richtung der Transformation ist somit nicht determiniert, allerdings aufgrund von Elemente der Kontinuität auch nicht vollkommen unbestimmt. Institutionenwandel und der Wandel der kultureller Ideale können müssen nicht gleichzeitig und parallel verlaufen. Oftmals bestehen auch innerhalb einer stabilen institutionellen Ordnung gewisse Handlungsspielräume in den Akteure mit verschiedenen kulturellen Orientierungen ihre Präferenzen umsetzen können.
Das methodische Vorgehen im Forschungsprojekt in den verschiedenen Workpackages (WP) basiert dem theoretischen Rahmen folgend vor allem auf der Analyse von Institutionen, kulturellen Leitbildern, sozialen Konsequenzen und Handlungsprozesse von Akteuren auf der Basis von primärer und sekundärer Dokumentenanalyse und der Auswertung nationaler und internationaler Surveys, sowie auf problemzentrierten Interviews.
Publikationen im Rahmen des Projekts
Publikationen in peer-review journals
Yueh –Ching, Chou, Pfau-Effinger, Birgit; Kröger, Teppo & Ranci, Costanzo (2017): Impact of care responsibilities on women’s employment: a comparison between European and East Asian welfare states, European Societies, 19, 1: 157-177. [GC1]
Frericks, Patricia, Jensen, Per H.; Pfau-Effinger, Birgit (2014): Social rights and employment rights related to family care: Family care regimes in Europe, Journal of Aging Studies, 29, 66–77.
Flaquer, Lluis; Pfau-Effinger, Birgit; Artiaga Leiras, Alba (2014): El trabajo familiar de cuidado en el marco del estado de bienestar, Cuadernos de Relaciones Laborales, 32, 1, 11-32. [GC2]
Pfau-Effinger, Birgit (2014): Nuevas políticas para cuidados en el hogar en los Estados de bienestar europeos, Cuadernos de Relaciones Laborales, 32, 1, 33-48.
Einreichung von Artikeln in internationalen peer-review journals in Vorbereitung
Pfau-Effinger, Birgit; Eggers, Thurid; Grages, Christopher; Och, Ralf: Re-conceptualising the relationship between De-Familialisation and Familialisation – the Case of Elderly Care Policies
Och, Ralf; Pfau-Effinger, Birgit: Explaining differences in the local policies towards the marketization of eldercare in Germany[GC3]
Eggers, Thurid; Grages, Christopher; Pfau-Effinger, Birgit: The Interaction of Culture, Institutions and Actors in Explaining Cross-National Differences in Care Policy Marketization
Andere Artikel
Pfau-Effinger, Birgit (2015): New forms of care work in European welfare states, Policy & Politics, Blog, April 2015, http://policyandpoliticsblog.com[GC4]
Special Issues
Pfau-Effinger, Birgit; Flaquer, Lluis; Artiaga Leiras, Alba (2014)(eds): El trabajo familiar de cuidado en el marco del estado de bienestar; Special Issue, Cuadernos de Relaciones Laborales, 32, 1.
Buchkapitel
Aurich, P. ; Bigoteau, M. ; Caillaud, P. ; Chaudet, P. ; Dussuet, A. ; Grages, C. ; Och, R. ; Péribois, C. ; Pfau-Effinger, B.; Schwindt, N. (2017): Women’s labour market integration and local social citizenship in the German and French welfare states. In: P.H. Jensen (ed.): The role and impact of EU policies on national and local policy out-puts and out-comes, Cheltenham: Edward Elgar (forthcoming).[GC5]
Pfau-Effinger, Birgit (2017): The development of welfare state policies towards care work within and outside the family. In: P. Kenneth (ed.): Handbook of Social Policy, Cheltenham, London: Edward Elgar (forthcoming).[GC6]
Och, Ralf; Pfau-Effinger, Birgit; Frericks, Patricia (2014): Pflegepolitiken im internationalen Vergleich. In: Martina Löw (ed.): Vielfalt und Zusammenhalt. 36. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (36. Bi-Annual Congress of the German Sociological Association Congress), Frankfurt am Main: Campus.[GC7]
Forschungsverbund OIKON
Das DFG-finanzierte Forschungsprojekt „Institutionelle Rahmung familialer Pflege zwischen Marktlogik und Familiensolidarität“ (FAMICAP) ist eines von vier Forschungsprojekten der DFG, die gemeinsam im Rahmen des Forschungsverbundes "Ökonomisierung und Inkomplementaritäten in institutionellen Konstellationen" (OIKON) durchgeführt werden. Der Forschungsverbund OIKON wird am Forschungszentrum Centrum für Globalisierung und Governance (CGG) der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg (Prof. Dr. Jürgen Beyer, Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger) in Kooperation mit der Universität Leipzig (Prof. Dr. Holger Lengfeld) und der Universität Halle (Prof. Dr. Konstanze Senge) durchgeführt.
Das Forschungsprojekt FAMICAP wird unter der Leitung von Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger durchgeführt; das Team umfasst Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger und die wissenschaftlichen Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen Thurid Eggers und Christopher Grages sowie Maximilian Tom Ring als studentischen Mitarbeiter.
Informationen für Interviewpartner
DFG-Forschungsprojekt FAMICAP
Vergleichsstudie zur häuslichen Pflege in Österreich und Deutschland
Projektleitung: Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger
Wer wir sind
„FAMICAP“ (kurz für „Institutionelle Rahmung familialer Pflege zwischen Marktlogik und Familiensolidarität“) ist ein Forschungsprojekt, das unter der Leitung von Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger an der Universität Hamburg durchgeführt wird und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wird. Zum Team gehören die wissenschaftlichen Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen Thurid Eggers (Dipl. Soziologin) und Christopher Grages (MA Soziologie) sowie die studentische Hilfskraft Tom Maximilian Ring (BA Pflegewissenschaft) und der Forschungspraktikant Jan Meid (B.Sc. Sozialwissenschaften). Die Interviews im Rahmen des Projektes werden in Zusammenarbeit mit dem WISO-Forschungslabor der Universität Hamburg unter der Leitung von Olaf Bock (Dipl. Politologe) durchgeführt.
Hintergrund unserer Forschung
In den 1990er Jahren wurde in Deutschland und Österreich erstmals eine umfassende soziale Sicherung bei Pflegebedürftigkeit eingeführt. In Deutschland werden ambulante und stationäre Pflegedienstleistungen sowie Pflege durch Angehörige staatlich teilfinanziert. Menschen mit Pflegebedürfnissen haben im Rahmen der Sicherungsleistungen der deutschen Pflegeversicherung die Möglichkeit sich zwischen verschiedenen Formen der Pflege (z. B. Pflege durch Angehörige, ambulante Pflege, Pflegeheime) zu entscheiden.
Wen wollen wir befragen?
Uns interessieren die Ursachen für die Entscheidung von pflegebedürftigen Senioren und Seniorinnen für eine bestimmte Form der Pflege und ihre jeweilige Pflegesituation. Hierzu planen wir 20-minütige Telefon-Befragungen
a) mit Senioren und Seniorinnen die Pflegegeld erhalten und hauptsächlich durch Familienangehörige gepflegt werden,
b) sowie mit Senioren und Seniorinnen die durch ambulante Pflegedienste im Rahmen der Pflegeversicherung gepflegt werden.
Warum wollen wir Interviews durchführen?
Bislang gibt es nur wenig Forschung im Hinblick auf die Entscheidungsprozesse, die auf Interviews mit den Beteiligten beruhen. Mit unserer Studie wollen wir neue gesellschaftlich und wissenschaftlich relevante Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Kriterien eine Rolle für die Wahl einer bestimmten Pflegeform durch die Menschen mit Pflegebedürfnissen spielen und wie sie ihre jeweilige Pflegesituation bewerten.
Datenschutz
Der Schutz der Daten unserer Interviewpartner ist uns sehr wichtig. Selbstverständlich werden sämtliche personenbezogenen Daten der Interviewpartner anonymisiert und getrennt von den Interviewdaten gespeichert. Das gesamte Forschungsprojekt unterliegt der Aufsicht durch den Datenschutzbeauftragten der Universität Hamburg. Das WISO-Forschungslabor setzt den gesamten Forschungsprozess in enger Abstimmung mit dem Datenschutzbeauftragten gemäß geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen für Deutschland, Österreich und Europa um. Im Rahmen der rein wissenschaftlichen Befragung werden selbstverständlich auch keine Daten an die Pflegeversicherung übermittelt.
Kontak
Falls Sie uns bei unserer Forschung unterstützen möchten und sich für eine telefonische oder persönliche Befragung zu Ihrer Pflege zur Verfügung stellen, melden Sie sich bitte telefonisch oder per Mail zur Terminvereinbarung bei:
Universität Hamburg
WISO Forschungslabor
Stichwort: „FAMICAP“
Von-Melle-Park 5
D-20146 Hamburg
Tel.: 040/42838-3759
E-Mail: cati@wiso.uni-hamburg.de
Falls Sie konkrete Rückfragen zum Forschungsprojekt haben oder an weiteren Informationen interessiert sind, melden Sie sich bitte unter:
Projekt FAMICAP (Ansprechpartnerin Thurid Eggers)
Allende-Platz 1
D-20146 Hamburg
Tel.: 040/42838-8617
E-Mail: thurid.eggers@uni-hamburg.de(thurid.eggers"AT"wiso.uni-hamburg.de)
Webseite: www.wiso.uni-hamburg.de/dfgfamicap