Eine internationale Gruppe von Personen sitzt an einem Tisch und kommuniziert oder diskutiert mit oder über digitale Medien

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Im Wissenschaftsjahr 2014 „Die Digitale Gesellschaft“ und nach dem Hype um MOOCs sehen sich die Hochschulen in Deutschland Diskussionen um die „Digitalisierung der Lehre“ ausgesetzt. Das Schlagwort  „E-Learning“ ist dadurch zwar nicht salonfähiger geworden, im Gegenteil; der Begriff erscheint vielen überholt. Doch die Sache, die er benennt, gerät dafür umso mehr in den Blick. Denjenigen, die sich irgendwie mit dem Einsatz digitaler Medien in der Hochschule befassen, hat die Digitalisierungsdiskussion zweifellos mehr Aufmerksamkeit verschafft, ihr Tun gewissermaßen sogar aufgewertet. In Hamburg wird die Digitalisierung der Hochschulen anscheinend besonders entschlossen betrieben. Das Landesparlament verabschiedete rechtliche Rahmenbedingungen für Online-Lehrveranstaltungen. Hamburgs Bürgermeister verkündete die Grundzüge einer Digitalisierungsstrategie mit einer „Hamburg Open Online University“, für die 3,5 Millionen Euro bis 2016 zur Verfügung stehen. Die Universität benennt eine Professorin zur eLearning-Beauftragten. Und – aber das ist wohl nur eines meiner persönlichen Digitalisierungshighlights – das eLearning-Büro der WiSo-Fakultät hat wieder einen Techniker!
Hier eine Chronik der Ereignisse – bestimmt unvollständig und in Teilen garantiert subjektiv.

Januar 2014: Senat plant Förderung von Online-Kursen durch Änderungen im Hochschulrecht

Der erste Reformentwurf enthielt bereits das Vorhaben, der Digitalisierung der Hochschullehre einen gestzlichen Rahmen zu geben.

Schon mit dem ersten Reformentwurf von 2013 verdeutlichte der Hamburger Senat seine Absicht, der Digitalisierung der Hochschullehre einen gestzlichen Rahmen zu geben.


Der Hamburger Senat übermittelt dem Landesparlament, der Hamburgischen Bürgerschaft, den „Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Hochschulrechts“. Zu diesem Zeitpunkt ist an den sechs staatlichen Hochschulen, in der Öffentlichkeit und mit der Wissenschaftsbehörde bereits monatelang über eine frühere Version des Gesetzentwurfs diskutiert worden, da der Senat zum Teil weitreichende Veränderungen in Kernbereichen der Hochschulstrukturen vorsieht.
Weitgehend unberührt von der Diskussion  bleibt das politische Vorhaben, die Digitalisierung in der Hochschulehre per Gesetz zu befördern:

  • Die Hamburger Hochschulen sollen die „Gemeinsame Aufgabe“ erhalten, Online-Kurse anzubieten – um unterschiedliche Studierangebote zu schaffen und für hochschuldidaktische Entwicklungen offen zu sein, wie es heißt.
  • Darüber hinaus sollen Studierende Prüfungs- oder Studienleistungen in Online-Kursen erbringen können, wenn die bestandenen Anforderungen denen im Präsenzstudium entsprechen.
  • Wissenschaftler sollen bis zu 25% ihrer individuellen Lehrverpflichtung mit sogenannten „Online-Veranstaltungen“ erfüllen können, wenn diese „in interaktiver Form“ durchgeführt und „aktiv betreut“ werden.
  • Die Anrechnung von Online-Veranstaltungen auf das individuelle Lehrdeputat sollen die Hochschulen von der Einhaltung didaktischer oder technischer Mindestanforderungen abhängig machen können.
  • Außerdem soll das neue Recht den Hochschulen erlauben, die Konzeption und Entwicklung neuer Online-Veranstaltungen dadurch zu fördern, dass sie die Lehrverpflichtung von Wissenschaftlern vorübergehend und zweckgebunden verringern oder sogar aufheben.
Mehr dazu: Hamburger Senat macht Online-Lehre zur Hochschulaufgabe

Februar 2014: MOOC-Hype erreicht die Universität

Der Erste Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz, empfängt Vertreter aller öffentlichen Hochschulen der Stadt zu einem ausgedehnten Arbeitsfrühstück mit Vorträgen und Diskussionen über die Digitalisierung der Hochschullehre. An der mehrstündigen Sitzung nehmen Senatoren und weitere hochrangige Vertreter der Stadt teil.
Der Bürgermeister stellt die Finanzierung einer gemeinsamen Digitalisierungsstrategie der Hochschulen in Aussicht. Unter Leitung der Behörde für Wissenschaft und Forschung und der Senatskanzlei wird eine AG „Digitales Lernen“ gegründet. Sie besteht aus Vertreterinnen und Vertretern der sechs staatlichen Hamburger Hochschulen einschließlich des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und des Multimedia Kontors Hamburg (MMKH).

Dr. Frank Hoffmann (Screenshot moocfellowship.org)

Dr. Frank Hoffmann (Screenshot moocfellowship.org)


Unterdessen ereilt das Phänomen der MOOCs die Hochschulöffentlichkeit. Nachdem sich der Chemiker Dr. Frank Hoffmann mit seinem Konzept für einen MOOC in dem Förderwettbewerb des Stifterverbands und der MOOC-Plattform iversity durchsetzen konnte, veröffentlicht die Universität Hamburg ein Streitgespräch Hoffmanns mit dem eLearning-Experten Prof. Dr. Rolf Schulmeister. Der hatte dem Phänomen der frei zugänglichen Massenkurse zuvor einen kritischen Sammelband gewidmet.

Das Interview im Newsletter der UHH

März 2014: Geteilte Meinungen zu den Gesetzesänderungen

Unter Praktikern und Experten rufen die geplanten Änderungen im Hochschulrecht ein geteiltes Echo hervor. „Die anstehende Novellierung von Hamburgischem Hochschulgesetz und Lehrverpflichtungsverordnung ist – bezogen auf Online-Lehre – umfassend und fördert die Umsetzung moderner Lehr-Lernkonzepte“, äußert sich etwa die damalige eLearning-Beauftragte der Universität Hamburg, Dr. Angela Peetz, in diesem Blog.
Doch Professoren bleiben zunächst skeptisch. „Onlinelehre wird und sollte einen Zweck nicht erfüllen: An der Zeitinvestition in die Lehre zu sparen. Wer Onlinelehre gut machen will, muss Zeit investieren, wie für jede andere gute Lehre auch“, sagt etwa der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Kai-Uwe Schnapp. Eine ältere Kollegin, Prof. Dr. Christine Landfried, fürchtet, „diese Angebote werden zum Einsparen verwendet. Und dieses ist wiederum für alle von Nachteil“. Ähnlich kritisiert ein Student, „digitale Lehrveranstaltungen zerstören den direkten Kontakt der Studierenden untereinander „und damit die Essenz der Universität“.

Prof. Dr. Rolf Schulmeister

Prof. Dr. Rolf Schulmeister


Der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Rolf Schulmeister verweist auf die Lehr- und Forschungsfreiheit und betont, die Entscheidung für oder gegen Online-Kurse solle sich allein nach den Bedürfnissen oder Merkmalen der Studierenden richten. Dass die Forderung nach Online-Kursen im Hochschulgesetzentwurf überhaupt auftaucht, sieht er kritisch. Weiter beanstandet er, dass die Hochschulen keine zusätzlichen Kapazitäten erhalten, mit denen sie Online-Kurse entwickeln lassen könnten: „Online-Kurse bedeuten für den Hochschullehrer erheblich mehr Arbeit. Eine Kompensation für diese Mehrleistung vorzusehen, wäre ein vernünftiges Vorhaben der zuständigen Behörde“.

Mehr dazu: Sechs Experten und Praktiker kommentieren die neue Hochschulaufgabe “Online-Kurse”

Juni 2014: Senat empfiehlt Hochschulen die Weiterentwicklung ihrer Digitalisierungsstrategien

Screen_Strategie_BWFDie Wissenschaftsbehörde veröffentlicht ein 69-seitiges Arbeitspapier über die “Strategischen Perspektiven für die hamburgischen Hochschulen bis 2020“. Ähnlich wie beim Gesetzentwurf für das neue Hochschulrecht, kommt es zu intensiven Diskussionen.
Das Strategiepapier enthält unter anderem die Aufforderung an die Hochschulen, „im Rahmen von Digitalisierungsstrategien neue Konzepte zu entwickeln und zu nutzen“. Angesichts eines deutlichen Trends zur Digitalisierung von Lehrangeboten müssten sich die Hochschulen strategisch positionieren und die Potenziale zur Verbesserung der Lehre und für einen breiteren Bildungszugang nutzen. Das an der Universität etablierte Netzwerk der eLearning-Büros würdigt das Papier gleichsam als Basis für einen Kulturwandel.
Mehr dazu: Senat empfiehlt Hochschulen die Weiterentwicklung ihrer Digitalisierungsstrategien

Juli 2014: Bürgerschaft verabschiedet neues Hochschulrecht

Nach weiteren Diskussionen seit dem Frühjahr, die sich aber nicht in Änderungen am Thema Hochschuldigitalisierung niederschlagen, verabschiedet die Bürgerschaft mit der absoluten Regierungsmehrheit das neue Hochschulrecht.
Mehrere Einzelpreise des von der Wissenschaftsbehörde jährlich an den Hochschulen ausgelobten Hamburger Lehrpreises würdigen digitale Aspekte der Lehre.

September 2014: Uni-Präsident befürwortet Digitalisierung nach den Vorstellungen der hochschulübergreifenden Arbeitsgruppe

Der Präsident der UHH, Prof. Dr. Dieter Lenzen. Foto: UHH

Der Präsident der UHH, Prof. Dr. Dieter Lenzen. Foto: UHH


In seiner Stellungnahme zu dem Strategiepapier der Behörde vom Juni betont Universitätspräsident Prof. Dr. Dieter Lenzen, die Universität arbeite seit Jahren daran, „Digitalisierungsstrategien im Lehrbereich weiter umzusetzen“.
Die Universität folge den “in Entwicklung befindlichen Vorstellungen” der AG Digitales Lernen sowie dem Positionspapier der Hochschulrektorenkonferenz zu MOOCs.

Oktober 2014: Universität stärkt das Thema Digitalisierung in Forschung und Lehre

Foto: UHH/Schöttmer

eLearning-Expertin Prof. Dr. Kerstin Mayrberger
Foto: UHH/Schöttmer


Die ersten beiden Professuren ihres soeben gegründeten Interdisziplinären Zen­trums für uni­ver­si­tä­res Leh­ren und Ler­nen (IZuLL) besetzt die Universität Hamburg mit den eLearning-Expertinnen Prof. Dr. Kerstin Mayrberger und Jun.-Prof. Dr. An­drea Zoyke. Mit Kerstin Mayrberger hat die UHH nun eine Professorin als eLearning-Beauftragte – und mit dem IZuLL eine zentrale Institution, die sich gemeinsam mit den eLearning-Büros „für die nachhaltige und integrative Verankerung von digitalen Medien in Forschung, Lehre und Dienstleistung an der Universität einsetzt“ (vgl. Hamburger eLearning-Magazin #13, S.7).
Anlässlich des vom BMBF ausgerufenen Wissenschaftsjahrs „Die Digitale Gesellschaft“ veranstaltet die Universität eine gleichnamige Ringvorlesung.

November 2014: Bürgermeister verspricht “Hamburg Open Online University”

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Bürgermeister Olaf Scholz skizziert Digitalisierungsstrategie für die Hochschulen
Foto: C. Barth/MMKH


Etwa drei Monate vor der nächsten Wahl verkündet Bürgermeister Scholz auf der Fachtagung „Campus Innovation“ die Grundzüge der Digitalisierungsstrategie, die die AG Digitales Lernen vorgelegt hat. Kern ist eine „Hamburg Open Online University“ mit frei zugänglichen Online-Studienangeboten der sechs öffentlichen Hochschulen Hamburgs. 3,5 Millionen Euro sollen die Hochschulen in den ersten zwei Jahren für die Umsetzung erhalten. Didaktisches Leitbild der eLearning-Angebote soll das problemorientierte Lernen sein.
Die frei zugänglichen Medien sollen einem Qualitätsstandard unterliegen und dieser als Markenzeichen für “Open Educational Ressources” etabliert werden. Lehrenden sollen in den Bereichen Qualifizierung und Support zusätzliche Angebote gemacht werden. Außerdem versprach Scholz ein Förderprogramm. Zudem stellt der Bürgermeister in Aussicht, sich dafür einzusetzen, dass die Lehre bundesweit an den Hochschulen einen höheren Stellenwert erhält.

Dezember 2014: Aufgaben warten

Dem Zeitgeist der Hochschuldigitalisierung entsprechend, hat das eLearning-Büro für die Fakultäten WiSo und BWL mit Bastian Piotraschke wieder einen Mitarbeiter in der Systemtechnik.
Die Vizepräsidentin für Studium und Lehre sowie die eLearning-Beauftragte der UHH, die Professorinnen Susanne Rupp und Kerstin Mayrberger, berichten erstmals öffentlich, wie die vom Bürgermeister skizzierte Digitalisierungsstrategie nun konkretisiert werden soll. Unabhängig von der hochschulübergreifenden AG Digitales Lernen (aus der nun die „Lenkungsgruppe“ wird), soll sich „eine eigene Arbeitsgruppe mit dem Beitrag der UHH zum gemeinsamen OER-Portal der Freien und Hansestadt Hamburg und der Hamburger Hochschulen befassen“.

Und was kommt nun?

Foto: iStock

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Die vom Bürgermeister skizzierte Digitalisierungsstrategie mit Leben zu füllen, wird keine leichte Aufgabe sein. Die erste Beschreibung der Plattform verspricht viel, und 2015 soll eine erste Version online sein. Hier sind technische Systeme miteinander zu verbinden, die zunächst nicht füreinander bestimmt waren. Das erweist sich gern als tückisch.
Lehrende müssen dafür gewonnen werden, die Plattform mit ansprechenden Angeboten zu füllen. Das laut Strategieskizze geplante Förderprogramm wird sie motivieren, und die Qualifizierungsangebote werden didaktisch inspirieren.
Oder wäre ein anderer Anreiz noch wirksamer, eine Kompensation für den Mehraufwand, wie von Rolf Schulmeister vorgeschlagen? Vielleicht ein Didaktiksemester analog zum Forschungssemester? Das neue Hochschulrecht erlaubt so etwas.
Man darf gespannt sein auf das Jahr 2015. Werden die Hamburger Hochschulen die rechtliche Möglichkeit ausschöpfen, didaktische oder technische Mindeststandards zu verlangen, wenn es um die Anerkennung von Online-Veranstaltungen auf die Lehrverpflichtung geht?
Dafür empfiehlt sich ein erprobter Qualitätssicherungsrahmen, das sogenannte „eLearning-Label“, wie es unter anderem in Darmstadt, Gießen und Frankfurt eingeführt wurde. Ein „eCamp“ des Multimedia Kontors Hamburg, das für den 16.4.2015 an der Uni geplant ist, wird sich solchen Fragestellungen widmen.
Vielen Dank für Ihr Interesse an diesem Blog, schöne Feiertage und alles Gute im kommenden Jahr!

Vielen Dank für Ihr Interesse an diesem Blog, schöne Feiertage und alles Gute im kommenden Jahr! H.W.